„das Fleischherz dem Maß enthoben“

Sehr Punk und sehr urgewaltig ist „Die Anthologie der Gedichte betrunkener Frauen“ von Lisa Jeschke, ein 2019 bei hochroth München erschienenes Büchlein. Ursprünglich war „The Anthology of Poems by Drunk Women“ eine englischsprachige Publikation der auch in London sozialisierten Autorin, umfassend ungefähr die ersten zwei Drittel des Bandes in seiner jetzigen, von Jeschke selbst ins Deutsche übertragenen Gestalt.

Reicht es zur Veranschaulichung des Sachverhalts, zu sagen, dass die Stimmen der „betrunkenen Frauen“ bei Jeschke ungefähr so klingen, als würde uns Mark E. Smith Donna Haraways Cyborg Manifesto weniger erklären und mehr performen? Vermutlich nicht …

Die Texte sind nicht um Geschlossenheit bekümmert, um Wohlverständlichkeit ebenso wenig; doch gerade darin bieten sie ihren Kosmos als ein geschlossenes und klar nachvollziehbares Ganzes dar: bilden in dieser Hinsicht die im Titel genannten „betrunkenen Frauen“ hervorragend ab. Immer wieder mal bricht ein brillanter, oder (besoffen-)begeisterter, oder auch schon mal selbstbewusst pathosgetränkter Textfaden ab oder verläuft sich in einem Gestammel, welches sich, in Gegenrichtung, auch oft genug als Medium so überraschender wie zwingender Denkbewegungen vernutzen lässt. Oder halt ebenso oft auch nicht – darin, in der Lizenz zur Nutzlosigkeit des rebellisch-schmutzigen kleinen Details, liegt die Selbstgewissheit von Punk als Grundgestus, und wäre die nicht gegeben, das Ganze könnte nie richtig zu sich kommen.

Man muss allerdings, als habitueller Konsument sanfterer, bildungsbürgerlicherer Lyrik, eine Mindestbereitschaft mobilisieren, sich auf diesen Gestus auch einzulassen – denn sie sind mitunter böse, stellen sich gern auch primitiv, nehmen keine Rücksicht auf Verluste oder Haltungsnoten. Das dürfen sie auch nicht, denn worum es geht – wovon Jeschkes „betrunkene Frauen“ dichten – das ist die Frau, die frau nicht ist, sondern zu der frau, mit de Beauvoir gesprochen, gemacht wird; das ist der Umgang mit (dem Verlust von) Würde (aus Geld- und Geschlechts-, überhaupt lauter sehr diesseitigen Gründen).

Hätte Jeschke zur Stimmung (sehr betrunken), zum Ur-Befund (zur Frau wird frau gemacht), zur strategisch-naiven Neugier und zum spürbaren inhaltlichen Ausdruckswillen nicht auch noch einiges an Ahnung zu bieten – sprachliche Ahnung, akademisch-theoretische Ahnung – die Texte kämen inhaltlich nicht über ca. „Community-Kabarettabend im besetzten Haus“ hinaus. Da sie das doch tun, ist die „Anthologie“ unbedingt zu empfehlen, insbesondere solchen Leser*innen, die mit der Möglichkeit bis jetzt unvertraut waren, es könne derzeit gänzlich verwirklichte, auf der Höhe ihrer Möglichkeiten operierende Sprache geben, die sich zugleich nicht – nicht hauptsächlich – aus den institutionellen Gedächtnissen der Unis und Redaktionen herschreibt.

Der vorletzte Text des Buches (einer von denen, die es nicht zuerst in der englischsprachigen Version gab) macht – aber das ist vielleicht nur die gelungene Anordnung des Materials – den Eindruck, in ihm würde so etwas wie eine Befreiung des betrunkenen Subjekts geschehen – Ernüchterung, mitten in der Nacht, (wir kennen das:) plötzlich hellwach den Gedankenstrom, der einen ins Jetzt gespült hat, neu sortieren, überrascht sein, wie ruhig man sich selbst zur Kenntnis nimmt. Das klingt, in Auszügen, dann so:

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POESIEGALERIE 2019, TAG 2

Zweiter Tag, 18:08, „Das Publikum“, so Kawasser, „ist noch sehr ausgewählt„, sprich: heiße zehn Leuts in den Rängen, da die Anthologie „Wo warn wir? Ach ja …“ von ihren Herausgebern Robert Prosser und Christoph Szalay präsentiert wird. Ungerecht. Jetzt geben die beiden über das Projekt – eine Sammlung jüngerer österreichischer Lyrik – und seine Geschichte Auskunft, und langsam, langsam trudeln unterdessen weitere Publikumme ein (zwei gingen inzwischen, drei neue kamen).

Time for disclosure inzwischen: Wie gestern gilt, dass es sich hier nicht mehr um Rezensionen handelt, aber hoffentlich auch noch nicht ganz um freies Assoziieren; irgend etwas Energieschonendes dazwischen als gestern; berichterstatterliche Gerechtigkeit jedem Beitrag gegenüber bleibt auf der Langstrecke des Leseformats liegen.

Zurück … Um 18:22 betritt Graz in Gestalt Helwig Brunners den Raum und lacht leise … schon vierzehn (!) Zuhörs, wo gestern um die gleiche Stunde siebzig-achtzig waren … Wo sind sie nun alle, die Damen und Herren Szene? Was werkt das Netz? Ist gar die wahre Lyrik nur im Kopf und nicht in der IG Architektur, also hier? Die Vielfalt österreichischen Schreibens, von der gerade Szalay/Prosser reden? Gut: Es ist Essenszeit an den Familientischen …

… Kawasser stellt gerade Christian Metz‘ literatursoziologisches Thesenbuch vom letzten Jahr neben die Ergebnisse der Anthologisierungsbemühungen von Szalay/Prosser. 18:27 – fünfzehn Zuhörer – jetzt Lesung in Auszügen … und die beiden Sammler lesen Vermischtes anderer Autor*innen aus der Sammlung; das ist reizvoll: Prossers kraftvoller Vortragsgestus (ca. „Sepp Forcher als belesener MMA-Fighter“) und Szalays leiserer, borduntonhafter (sagen wir „Ezra MC Pound“) – beide je angewandt auf Texte, von denen wir nicht sicher wissen, mit was für einem Klang im Ohr ihre Verfasser*innen sie je geschrieben haben. Gleichungen mit zwei Unbekannten zu lösen. Könnte man einen ganzen Abend draus machen.

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POESIEGALERIE 2019, TAG 1

Die Poesiegalerie, heuer zum zweiten Mal von Udo Kawasser, Monika Vasik und Team am Rande der Buchwien ausgerichtet, versucht ca. die Totalität des österreichischen Lyrik-Outputs im jeweiligen Jahr zu fassen. Gemeinschaftliches Szene-Wasserloch mit Schaulauf-Bahn, Büchertisch und Buffet – das umfasst dann dreimal sechs Stunden Lesung …

… und wenn man eine solche sechs-Stunden-Lesung mehr oder weniger live mitschreibt, so liegt in der Natur der Sache, dass die relative Länge der Notate zu den einzelnen Darbietungen niemals „fair“ sein kann: Ausführlichkeit oder Knappheit, Freundlich- oder Flapsigkeit der Statements verdankt sich da mindestens so sehr dem wellenförmig brandenden Denk- und Schreib- und Hörvermögen des Verfassers wie etwelchen Eigenschaften des Materials …

… warum dann aber überhaupt in dieser Form, an dieser Stelle, über die Poesiegalerie schreiben? –  Atmosphäre bleibt dann doch hängen; die Zusammenstellung der AutorInnen sei dokumentiert und mit ihrer Wirkung auf den einen Hörer abgeglichen; die erwähnte Wellenbewegung selbst als scheints erwünschter Teil des als „Galerie“ hochgezogenen Kraftfelds wird dokumentiert.1 Will sagen: Der Sinn der Übung ist, dem/der geneigten LeserIn Appetit zu machen, morgen und übermorgen selbst vorbeizukommen (also, da dieser Text auf Fixpoetry erscheint, heute oder morgen), oder nächstes Jahr … Gumpendorferstraße 63 B, in der Nähe vom Haus der Meeres …

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Kulinarik

Den Titel dieses Gedichtbands wird man sich, passenderweise, erst einmal auf der Zunge zergehen lassen müssen: „Die Reduktion der Pfirsichsaucen im köstlichen Ereignishorizont“. Wir könnten jetzt natürlich „Pfirsichsaucen“ als poetisierte Körperflüssigkeiten lesen, und ihre „Reduktion im Ereignishorizont“ sowohl als Ankündigung von Orgasmen als auch im Sinne von freudscher Triebsublimierung, Zivilisierung, Charakterstiftung – doch der Klappentext schlägt uns einen mehr gesellschaftlichen Interpretationsmodus zu Titel und Texten vor: … (Weiterlesen auf Fixpoetry)

„We are Yes“

Diaphanes ist eine Zeitschrift für „Kunst · Literatur · Diskurs“, in ihren production values erkennbar orientiert an Ersterem und mindestens teilfinanziert über ganzseitige Werbeanzeigen für diverse internationale Vernissagen, Messen, Festivals. Das bedeutet auch – da es sich bei den meisten genuinen Beiträgen ebenfalls um ästhetisch irgendwie überformtes Zeug handelt – dass (zumindest mir) der Unterschied zwischen redaktionellen Beiträgen zur Kunst und künstlerisch gestalteter Werbung für Kunst nicht immer augenfällig ist.1 Das ist für das Verhandeln der Themen und den Informationsgehalt des Hefts kein Problem; es reproduziert halt in derselben Weise die institutionalisierten und informellen Netzwerke des kulturellen Feldes, wie das in „normalen“ Literaturzeitschriften, -instituten, -forschungskontexten geschieht, mit dem Unterschied, dass hier sichtlich mehr Geld im Spiel ist. (Ach, Produzent auf einem Markt für singuläre Originale müsste man sein …) Warum es dann lohnt, diesen ersten Eindruck überhaupt zu erwähnen? – … (Weiterlesen auf Fixpoetry)

steine unterm gleisbett

Zu sagen, es wäre der Band „Grenzwerte“ von Max Czollek so etwas wie die lyrische Nachreichung zu „Desintegriert Euch!„, ist nicht ganz richtig – nicht ganz. Denn wenn es Czolleks viel diskutierter Streitschrift aus 2018 vor allem um die diskursiv wirkmächtige Zurückweisung jener Identitäten ging, welche „Randgruppen“ (in erster Linie: Jüdinnen und Juden) von der deutschen Mehrheitsgesellschaft „angeboten“ (in erster Linie: umgehängt) werden, so geht es in dem Gedichtband, der soeben im Verlagshaus Berlin erschienen ist, um Geschichte/n, Orte und Figuren jüdischer Selbstverständigung im einundzwanzigsten Jahrhundert. Ein Identitätsdiskurs also, ja, aber nicht unter „Folklore“ abzuheften, und zwar genau insofern nicht, als die Grundbedingung des Textsubjekts hier seine prinzipielle Fremdbestimmtheit, Fremdbestimmbarkeit … (weiterlesen auf Fixpoetry)

Fernsehen mit Schmitzer mit dem Hl. Leopold

Nach dieser Wahl, wenn wir zur eingehenden Reflexion von Politik und Fernsehzeug uns anschicken, ist uns, als könnten wir in unsern Hinterköpfen die Dienerinnen der Khaleessi zirpen hören: “It is known …”

… nämlich erstens, dass wir eine unumgehbare, 2019 mit einer weiteren Zementschicht überzogene Mehrhheit rechts der sogenanten Mitte in Österreich haben. Und damit ist nicht das Übereinstimmen der Wähler*innen mit dem solchen oder solchen Programmpapier gemeint, sondern ihre Zugehörigkeit zum solchen oder solchen Stamme. Woraus sich wiederum erklärt, dass sich die Programme ändern und die dazugehörigen Leute aber die gleichen bleiben können; die Wunderbastisekte plus die ibizinischen Freischaren kommen gemeinsam auf jene knapp 55 Prozent, auf welche das politisch gewordene Identifikationsgefühl des Selbst mit dem jeweiligen Eigentum bei uns schon immer kam (Mein Auto! Mein Haus! Mein Grenzzaun!); dem stehen 43 Prozent gegenüber, die Pamela Rendi-Wagners Zweckoptimismus-Selbsthilfegruppe, oder die rosa Neigungsgruppe Haselsteiner, oder schließlich, (Gratulation!), die Partei für Webdesign, Psychotherapie und halbcoole Erdkundelehrer gewählt haben. An dieser groben Verteilung ändert sich seit dem geschichtlichen Fehler der Alliierten, 1955 das Land zu verlassen, nix: 5 von 10 Österreichern wählen denjenigen Kandidaten, der für sie glaubhaft verkörpert, dass man sich eben abzufinden, durchzuwurschteln, einzureihen habe; weitere 4 von 10 wählen den je bemühtest vernünftigen Vorschlag-zur-Güte betreffend mögliche Verbesserungen; macht zusammen 9 von 10, und fraglich blieb stets nur, was der Zehnte tut ( … und, ob die SPÖ es schafft, sich zeitweise als ebenso hemdsärmelig-autoritäre Oaschpartie zu tarnen, wie der Gegner eine darzustellen schien; was dank so ruhmreicher Performaces wie der von Landeshauptmann Dipl.Ing. Hans-Peter Doskozil auch immer wieder gelingt) (und die Mobilisierung wäre eigentlich auch nicht zu vergessen, aber die ist für unseren Vergleich wurscht, weil der auch Zeiten mit einbezieht, da wir noch eine Wahlpflicht hatten, und sich am Ergebnis trotzdem nix ändert).

… zweitens, dass es innerhalb dieser beiden ideologischen Lager mit ihrer größenmäßigen Stabilität jeweils die proletarisch geprägten Parteien waren, die zusammen sechzehn Prozent verloren, und die bürgerlichen Parteien, die ebensoviel dazugewonnen haben: NSDAP und SPÖ hier, Vaterländische Front und Grüne da. Nichts liegt also näher als eine “große”, das heißt der objektiven Tendenz entsprechende Koalition der Eigentümer an Produktionsmitteln mit ihren (nach fortgesetztem Wienaufenthalt entfremdeten) Kindern. Eine solche Koalition hätte den großen Vorzug, dass sie das verständliche emotionale Bedürfnis der Bessergestellten nach falschen, weil moralischen Antworten auf die richtigen, weil politischen Fragen in nützlichere Bahnen lenken könnte, als dies unter dem Regime der türksiblauen Volksfront gegen Fortschritt und Menschlichkeit möglich war.

Es wird am grünen Juniorpartner liegen, solche moralischen Antworten zu formulieren: als einen Haufen humanitärer, ökonomischer, ökologischer Maximalforderungen, die freilich trotzdem stets bloß an den Oberflächen der echten Probleme kratzen werden (weil: Abschaffung des Bauernstandes, der Kirche und des Bundesheeres im heutigen Sinne, Enteignung von allen G’stopften usw. usf. wird vermutlich sachlich nicht zur Debatte stehen).

Dann – wenn ihm Werner Kogler in den Sondierungsgesprächen mit einem Katalog solcher unverhandelbaren grünen Minimaximalpositionen gegenübersitzt – dann wird der Heilige Sebastian der Schmachthöfe, oder wird halt die Kabale aus Benko, Mahrer, Mateschitz und Dompfarrer Faber, die ihn im Labor gezüchtet und mit Fernsteuerung im Gnack versehen in die weite Welt hinausgeschickt hat, eine von zwei möglichen Entscheidungen treffen müssen:

Entweder, Kurz sitzt am Ende der Verhandlungen als Kanzler einer Bürgerregierung vor, die im Interesse des eigenen Machterhalts jedes ihrer schlechten, falschen, rückschrittlichen Ziele (Privatisierung, Eigenverantwortung, Waldorfschulen) an eine Sorte Rechtsstaats- und Sozialklimbim knüpft, unter der sich’s leben wird lassen und auf Sicht komfortabel Opposition üben. Eine solche Regierung wird Stabilität besitzen, weil die Grünen ein paar vernünftige Leute mit genug Selbstausbeutungsbereitschaft haben, um dem blanken Wahnwitz der Heiligen der Kurz’schen Tage entegenzuwirken und niemanden ernstlich aufzubringen, der wählen wird dürfen. Mit ein bisschen Glück und gutem Timing kann es uns in dieser Konstellation sogar passieren, dass Österreich in der sogenannten Flüchtlingsfrage auf EU-Ebene so zu agieren beginnt, dass es bei genauerem Nachdenken nicht sofort Ekel und Scham auslöst!

Die andere Variante wird sein, dass Sebastian (Sallallahu ‘alaihi wa Aalihi wa sallam!) angesichts der Kompromisslosigkeit Koglers entnervt das Handtuch wirft und sein Glück mit einer Minderheitsregierung sucht, oder mit einer Neuauflage von Türkisbraun; beides heißt weitere Neuwahlen im Frühsommer 2020, und dann sind wir ihn los, und das weiß er.



… natürlich alles immer vorausgesetzt, es knicken die Grünen nicht ein und machen nicht brav Männchen, kaum, dass ihre schwürkisen Verhandlungspartner mit der veganen Wurst der Macht vor der Nase rumwedeln. Denn dann wird es egal gewesen sein, wer wen gewählt hat. Dann werden wir nämlich wieder, und vielleicht zum ersten Mal seit Ende der Donaumonarchie, so eine richtige Obrigkeit bekommen. … also: so eine ordentlich unverkrampft-verkrampfte, kreuzbiedere, von der eigenen Bedeutung selbstverständlich überzeugte und dem normalen Leben normaler Menschen vollends entfremdete Clique reicher Bubis, Mädis, Herrenreiter und grand dames, die dann soeben die Erfahrung gemacht haben werden, dass demographische Verschiebungen wurscht sind; Wählerstromanalysen wurscht sind; Motivationen und Bedürfnisse “der Menschen da draussen” wurscht sind; dass alles wurscht ist, weil sich eh alle von ihnen blenden und an der Nase rumführen lassen (zuerst ein Jahr lang die Faschisten, dann aber auch die Gutmenscherln). Will sagen:

(…) (Beitrag zu Ende lesen auf KiG!)

„Unfreiwillig zugerüstet“

„Hier sind Löwen“ von Katerina Poladjan ist, für sich genommen, ein tadelloser Roman mit stringentem, schnörkellosem Aufbau. Eine Protagonistin, geboren und aufgewachsen in Deutschland, eignet sich Elemente einer Nationalidentität an – der armenischen –, die, nur der Herkunft nach, auch die ihre wäre, wobei sie tatsächlich nicht einmal die Sprache spricht. Dies vollzieht sich quasi mit Naturgesetzlichkeit: Einerseits die Bedürfnisse der Mutter, unzuverlässige und unstete Hüterin einer Familiengeschichte; andererseits die Erfordernisse des Restauratorinnenberufs der Protagonistin, der sie nach Armenien führt, wo sie eine Bibel restaurieren soll, die sie, … (weiterlesen auf Fixpoetry)

ich wünsche mir …

abschaffung des AMS und seine ersetzung durch indoor-spielplätze mit riesenballpits und kuschelecke (ohne schweinkram) für alle, ermöglicht durch abschaffung des arbeitszwangs bei sozialhilfebezug; ebenso abschaffung der bewaffneten verbände des heeres (katastrophenhilfe ist eh lieb); umwandlung der kasernen in landschaftsgärten mit fkk-bereichen, saunas, wasserrutschen, minigolf; öffnung aller grenzen; gesamtschule mit zehnmal soviel geld wie jetzt und latein sowie altgriechisch auf dem lehrplan ab dem zehnten lebensjahr; wahlrecht allen, die hier sind; vollbeschäftigung durch den flächendeckenden ausbau und betrieb von luxuriösen gratis-öffis bis in alle käffer; der jedermann bei den festspielen muss ab jetzt jedes jahr von einem anderen unterhaltsam verwahrlosten fpövp-bezirksfunktionär gespielt werden; entschuldigungstour der … [weiterlesen auf ausreißer. Die Grazer Wandzeitung]

„(Zusammendrehen mehrerer Fäden)“

Beim Passagen-Verlag ist Anfang des Jahres unter dem Titel „zwirnen“ ein Text von Gertrude Maria Grossegger erschienen, den wir ungefähr einen Gesang werden nennen dürfen, oder ein Epos, oder, wohl am passendsten: ein grob 150-seitiges Garn, gegliedert in ca. zwanzig- bis ca. hundertzwanzigzeilige Abschnitte. Der Klappentext (bzw. die Seite mit den Auskünften zur Person, die bei einem Hardcover die Innenklappe wäre, und die sich hier auf Druckseite drei befinden) erklärt das Unterfangen:

Vom ursprünglichen  Wortsinn des Wortes „zwirnen“ (das Zusammendrehen mehrerer Fäden) ausgehend, werden unterschiedliche Bewusstseinsebenen, fassbare äußere und traumhafte innere Bilder, miteinander verzwirnt.

Aha. Eine nicht neue, aber doch entlegene Generalmetapher für das Verhältnis Ich-Welt-Sprache; zu Grunde gelegt einer nicht neuen, aber doch eher entlegenen Textform … Wie sieht das dann in der Praxis aus, fragen wir uns; denn … [weiterlesen auf Fixpoetry]

„cinema“

Es handelt sich bei der Lyrikanthologie „Cinema“ um ca. 170 Seiten deutschsprachige Gegenwartslyrik über das Kino, großteils bisher unveröffentlicht – für einen Gedichtband also eine ziemlich geballte Dröhnung, bestückt mit Beiträgen eh der meisten üblichen Verdächtigen1 und dank ihres rein inhaltlichen Fokus völlig unbelastet von jenen Erwägungen zu Kanon und Theorie, die sonst für Anthologien meist konstitutiv sind. Über die Auswahl schreiben die Herausgeber Wolfgang Schiffer und Dinçer Güçyeter in ihrem Vorwort:

Der ELIF VERLAG hat Lyrikerinnen und Lyriker eingeladen, Gedichte über das zu schreiben, was sie mit CINEMA verbindet.

Klug, an diese Stelle das Wort „CINEMA“ zu setzen und nicht „Kino“ oder so – so wird den 64 (!) Autor*innen ermöglicht, auch von allerhand Serien u. ä. zu sprechen, die sich ihrerseits auf den Erfahrungshorizont Film beziehen, und vermittels derer auch die veränderliche Wirklichkeit unseres Medienkonsums in den Blick zu bekommen ist – von den diversen Wirklichkeiten der Institutionen, die ein CINEMA heißen können, noch geschwiegen.

Das Konzept des Bandes geht auf, weil Gedichte und Filme sich (trügerisch) leicht in einander übertragen lassen. Eine der … [weiterlesen auf Fixpoetry]

über Max Wolf, „Glücksreaktor“

„Glücksreaktor“ ist ein Roman über Raves, Jugend und Drogen gegen die öde Kleinstadtkulisse ca. Mitte der Neunziger, also: darüber, Raves, Jugend und Drogen darauf zu verwenden, dass die öde Kulisse selbst verschwinde; über ein drängendes Bedürfnis nach Wirklichkeit, welches sich am Reflexionsniveau des Icherzählers ebenso zeigt wie am Niveau seines Drogenkonsums.

Das Buch lässt sich sehr kurzweilig lesen. Sein Verfasser verschwendet keine Zeit und eröffnet es mit einem klaren, elegant aufgebauten mission statement; die Verschiebung des Tonfalls auf den ersten paar Seiten – von der abstrakteren, entspannteren Beinahe-Anrede-an-die-Leser hinein in die spießige Kleinstadt, „Samstags, nach dem Frühstück…“, an und in der sich das Revoltenwerk des Techno vollziehen soll, sie geschieht unmerklich. Eine gekonnte Setzung, die sich in ähnlicher Weise oft wiederholen wird: Hier das souveräne, an keinen Zeitpunkt innerhalb der Erzählhandlung gebundene Ausbreiten von naturwissenschaftlicher Theoriesprache als Medium der Selbst(ab)setzung, der inneren Distanz unseres jugendlichen Helden Fred zu seiner Umgebung – da die Ereignisse einer gestörten (zu störenden) Reproduktion des Systems „Siemensmitarbeiter“-Kleinfamilie nebst Drogenerlebnisse – und die Übergänge zwischen den beiden stets fransenlos, unaufdringlich, effizient gesetzt.

Überhaupt ist die Komposition … [Weiterlesen auf Fixpoetry]

Fernsehen mit Schmitzer mit Bordieu: “Too Old to Die Young”

eit dem 14. Juni können wir uns auf Amazon “Too  Old to Die Young” ansehen, eine dreizehn Stunden lange, auf zehn Folgen unterteilte Extravaganz des dänischen Filmemachers Nicolas Refn (“The Neon Demon”) und des Comicautors Ed Brubaker. ( https://www.youtube.com/watch?v=I4Dol6VpmWc ) Das Gebilde, das technisch gesehen als Fernsehserie durchgeht, ist ein sorgfältig symmetrisch angelegter, halluzinatorischer, streckenweise ultrabrutaler Neo-Noir. Jede der neunzigminütigen Folgen ist um vielleicht zehn-zwölf gemäldehaft statische Tableaus herum gebaut, mit Menschen, die in farbübersättigten, körnigen Frames weniger agieren als vielmehr herumstehen, auch mit kunstvoll bedeutungsschwangeren Dialogen, mit komplexen, stoischen Antihelden und einem moralischen Kosmos, in dem das harsche Macht-Ohnmacht-Gefälle eine vorsintflutlich enge Verknüpfung von Ethik, Schicksal, Zauberei bewirkt: Kapitalismus –> Flachbauweise zwischen den Highways von Los Angeles –> Märchenwaldlogik.

Manifest ist “Too Old to Die Young” eine Erzählung über Rache und Schuld: Sie kommt in Gang, weil ein Narco-Prinz Rache für den Tod seiner Mutter zu üben versucht, aber dabei zunächst den Falschen erwischt; der “Richtige”, ein korrupter Polizist, arbeitet derweil an seiner Transformation vom nebenberuflichen Auftragsmörder zum moralisch gerechtfertigten Vigilanten. Was Refn und Brubaker uns mit diesen beiden Hauptfiguren auftischen, ist eine Gegenüberstellung unterschiedlicher Ethikmodelle oder Sinnstiftungsmodi, und der tatsächliche Gehalt des Spektakels besteht darin, dass beide gleichermaßen hohl erscheinen.

Sehr knapp unter dieser Oberfläche geht es  für die beiden spiegelbildlichen Protagonisten um die ödipalen Verstrickungen der Ich-Werdung / Mann-Werdung: Der Prinz bezieht für seinen Kreuzzug, das verlorene Territorium der Mutter zurückzuerobern, deren Villa, wo er umgeben ist von Bildern dieser Mutter, und seine Braut – die “Hohepriesterin des Todes” (nicht fragen) – schlüpft beim Sex explizit in die Rolle dieser Mutter; dem gegenüber mutet die Figur des erwachsenen Bullen mit seiner siebzehnjährigen Freundin und deren grindig-jovialem Vater beinahe subtil gezeichnet an …

Zusammengefasst: Alles das hat ordentlich mythologische Wucht, aber es fragt sich, wer sich “Too Old to Die Young” ansehen soll: dreizehn Stunden Lebenszeit, von denen erstmal ungefähr sieben nur darauf vergehen, dass wir unseren Figuren beim Schweigen zusehen, während sich die Kamera langsam von hier nach dort bewegt, und erst, wenn diese Bewegung zu Ende ist – plus nochmal ein, zwei Sekunden – sagt wieder wer was … und damit ist von der Effizienz der Szenenfolge noch gar nicht mal geredet. Freilich, es gibt Effekte, die sind schlechterdings nur genauso zu erzielen, vermittels eines Flows, der eintritt, wenn solche Langsamkeit nur konsequent genug durchgehalten wird. Aber Unterhaltung in einem intuitiv verständlichen Sinn des Worts ist das nicht. Es ist vielmehr Arbeit, sich durch diese Serie zu beißen, so, wie es Arbeit ist, sich die Bilder ins Gehirn zu schaufeln, die in der Albertina hängen, oder ein selbstgesetztes Fitnessstudio-Regime einzuhalten. Also: Lohnende Arbeit, potentiell genießbare Sublimation, aber Arbeit nichtsdestoweniger. Man könnte den Sachverhalt so deuten, dass …

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Weltenraum und Plattenbauküche

Márió Z. Nemes‘ Nachwort leistet einen knappen Überblick über den geschichtlichen Kontext der Gedichte, die Herausgeber*innen Orsolya Kalász und Peter Holland in ihrer deutschsprachigen Anthologie ungarischer Gegenwartslyrik versammeln: Die Texte stammen von Autor*innen mit Geburtsdatum ab 1980, die vor dem Hintergrund einer schwindenden Bedeutung der Gattung und zerbröselnder ideologischer Gewissheiten schreiben. Der programmatische Bogen ist aufgespannt zwischen einerseits (pseudo-)privaten „End-of-History-Schreibweisen“ mit oder ohne explizit postmodernem Theoriegehalt, und andererseits der Strömung einer „Neuen Ernsthaftigkeit“, die sich tendenziell gegen den ironischen Gestus wende, eine „Virulenz von Körperpoetiken“ aufweise und sich

immer mehr vom humanistischen Menschenbild und dem anthropozentrischen Subjekt entfernt. Anstelle eines anthropomorphen Naturbildes steht in den Texten (…) die Natur als Textgenerator im Mittelpunkt, die ihre Formlosigkeit (…) entfaltet.

Wir können, was Nemes über diese beiden Pole ungarischer Gegenwartsdichtung im Einzelnen schreibt, mit den jeweils von ihm referenzierten Einträgen in die Sammlung selbst einigermaßen zur Deckung bringen. Das steigert die Gewissheit, es werde an seiner Darstellung alles seine Richtigkeit haben, und so überlassen wir uns der Anthologie als einem, sozusagen, Zoobesuch unter fachkundiger Führung: Auf … [Weiterlesen auf Fixpoetry]

In automatensprachlicher Klammer – zu tau #2

Unter dem Menüpunkt „über tau“ steht auf der Homepage der seit Anfang 2018 halbjährlich (also zweimal) erscheinenden Hamburger Literaturzeitschrift unter anderem dies zu lesen:

tau widmet sich der zusammenführung von literatur und leser*innen über die hanseatisch-nordische perspektive hamburgs. uns vereint das gemeinsame interesse an neuentdeckungen sowie neuem von bereits bekannten autor*innen, dazu das anliegen, zeuge und förderin eines spannenden umschlagplatzes frischer texte – des literarischen pendants zum hamburger hafen – zu sein.

Thema von tau Nummer 2 ist das Schlagwort „Wertekind“. Das ist eine kluge Setzung: Literatur reagiere hier auf die Feuilleton- und Talkshow-Behauptung von „Wertedebatten“, „Europäischen Werten“, auf die stets mitgemeinte, rhetorisch vernutzte Mehrdeutigkeit des Wertbegriffs (postmarx‘sche Wertkritik; wirtschaftlich-greifbarer Wert vs. metaphysischer Besitz, ethisches Substrat), auch auf den Hauch von Alte-Männer-Dunst über den so diskutierenden Hinterzimmern der Republik; sie reagiere aber vor allem – „-kind“ – mit verjüngender Geste und planvoll unangreifbar, selbst-zurücknehmend, ambivalent. (Das Editorial schlägt darüber hinaus noch die Brücke vom „wertekind“ zum frühlingserwachenden „Wedekind“, aber der bleibt uns dankenswerter Weise auf den folgenden ca. 220 Seiten weitgehend erspart). Die weit gefächerte Auswahl hält, was die oben zitierte Homepage verspricht (wir verkneifen uns an dieser Stelle die Metapher vom grobmaschigen, weit in die hanseatische Nordsee gehängten Fangnetz; wir müssten sonst den einzelnen Autor*innen emblematische Typen von seafood beiordnen). 

Anfang und Ende von tau 2 gehören mit Texten von Hannes Bajohr und Gregor Weichbrodt dem Algorithmus; der Erkenntnis …

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zu Sonja vom Brocke, „Düngerkind“

Unter „Düngerkind“ steht auf der Innentitelseite von Sonja vom Brockes Engstler-Heft das Wort „Gedicht“, Singular. Gut zu wissen: Was uns vom Brocke aufbietet, ist keine Sammlung und kein Zyklus, sondern eine einzelne, 33 Seiten umfassende Sprechbewegung. Eingerahmt wird diese Bewegung vorn von drei Motti –

gescheitelt werden im /dreckigen Wetter, das sollst du
Oskar Pastior

Das Wehen der Luft das Rieseln des Wassers das
Wachsen der Getreide das Wogen des Meeres
das Grünen der Erde das Glänzen des Himmels
das Schimmern der Gestirne

Adalbert Stifter

Wenn wir weinen, sprechen wir mit den Sternen
Marianne Fritz

– und hinten von einer einzelnen Quellenangabe:

S. 9: kommt … kamen
Vgl. Invocations to the U‘wannami
(rainmakers), in: Technicians of the Sacred.
A Range of Poetries from Africa, America,
Asia, Europe, and Oceania. Hg. J.
Rothenberg, Epigraph und S. 437

Diese Angaben versichern uns des Settings, und unserer Leseweise darin: Brocke hat ein langes Naturgedicht gebaut, das die Funktionsweise der klassisch Stifter’schen Naturmetaphern anerkennt, aber über sie hinausgeht: Weder meinen die Erdkrumen und Gebüsche in „Düngerkind“ eigentlich irgendeine Wirklichkeit in der Psyche eines Textsubjekts, noch (…)

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Fernsehen mit Schmitzer mit beispielsweise Arthur Harris: Zeit im Bild 2, Kulturzeit, …

Wir denken uns ein paar Kraniche, die sich gemeinsam im Besitz eines Fernsehempfangsgeräts befinden. Nun stellen wir uns den Abend über dem Schilf am Neusiedler See vor, und das Surren der Mücken, und den Gatschgeruch von der Böschung her, und wie der Wind den Gatschgeruch immer wieder mal mit sich fortträgt – nicht ganz vorhersagbar, und nicht immer, aber doch regelmäßig genug, dass man den Gestank auf Dauer irgendwie aushält und fast heimelig zu finden lernen kann, wenn man denn möchte. Es handelt sich hierbei um eine ausgesprochen fein gesponnene Metapher.

Die Kraniche jedenfalls, da die Sonne sich senkt, sie glotzen und brüten, glotzen und brüten. Was sie glotzen, sind Programme des Österreichischen Rundfunks. Der Fernseher, den sie sich gemeinsam angeschafft haben, er steht auf einem biedermeierlichen Stockerl, welches im Schlick stakt und vor sich hin verrottet. Der Empfang ist leidlich gut, nur ein bisserl blaustichig, aber das gibt eh gute Kontraste im Zwielicht über dem See. Die Kraniche glotzen und brüten, brüten und glotzen, und gelegentlich klappern sie glotzend mit ihren langen Kranichschnäbeln in den Mückenhimmel.

Zuerst sehen sie, also wir, auf diesem Fernseher die “Zeit im Bild 2” vom 23. April 2019 – das war jene Sendung, wo Harald Vilimsky, EU-Spitzenkandidat seiner Partei, den Interviewer Armin Wolf vor laufender Kamera wissen ließ, der Stil seiner Fragen werde “nicht ohne Folgen bleiben [können]”. Dann ist Werbung (schaut aus, als wär’ die aus der Vorweihnachtszeit 2016), und nach der Werbung kommt der Kulturmontag vom 06. Mai 2019, wo sich die arme Clarissa Stadler namens des Rundfunks von ausgerechnet Jan Böhmermann distanzieren muss, bloß, weil der zuvor zutreffenderweise erzählt hat, es habe in Österreich derzeit Faschos in Regierungsämtern, das sei Oarsch, und es wäre seit den Tagen Thomas Bernhards die Anzahl der Debilen nichts als gewachsen (und freilich drückt er das alles viel gewählter aus, der arrogante Piefke). Hintendrauf flimmert eine Folge “Columbo” durchs Schilf, ganz, wie es früher mal war.

Nun ist es in der wirklichen Wirklichkeit ja so, dass jene erwähnten, zeitlich disparaten Stückeln ORF-Programm nur deshalb direkt hintereinander laufen können, weil es sich hier um einen äußerst unernsten und rasch zusammengeschusterten Text handelt. Innerhalb der fiktionalen Bubble dieses solchen Texts aber befindet sich das Land, und mit ihm der Neusiedler See, und mit diesem wiederum die Kranichkolonie da, in so etwas Ähnlichem wie einem Time-Loop … nein, stimmt nicht, es ist kein Loop, es ist mehr so ein Moment, wo das Gewebe der Zeit dünn und brüchig ist. Fast, dass du durch die Zeit hindurchschauen und die perspektivischen Hilfslinien dahinter sehen kannst, wenn du gegen’s Licht in den flach dunstigen Himmel blinzelst, so, wie es die Kraniche jetzt tun … will sagen: Alle Zeiten, nein, nicht alle Zeiten, aber doch mehrere Momente fallen da in eins unter der Dunstglocke, die der Himmel über Österreich ist; und mit ihnen sind nicht alle, aber doch einige ORF-Programme ebenfalls eins geworden. Geschichte reimt sich.

Von irgendeinem Rascheln aufgestört, fliegen die Kraniche davon. Sie streben dem Horizont zu. Werden sie gegen die Dunstglockenwand knallen, die den Himmel über dem Land zusammenhält, und dann leblos zu Boden fallen, von der Schwerkraft der sehr geehrten Voralpenlandschaft bis zum Ersticken in den braunen Bodensatz gedrückt wie so viele andere Textsubkjekte vor ihnen? Oder werden sie die Bubble durchstoßen und dabei die Souveränität unserer Außengrenzen zerstören? Wir sehen es nicht, denn sie verlieren sich in der Ferne. Ihre zurückgelassenen Eier frisst im Lauf der kommenden zwei Tage zitzerlweis’ der Fischotter. Der Fernseher läuft weiter, durch die Nacht und das Morgendämmern und den ganzen folgenden Tag weiter, und woher die Elektrizität kommt – auf welche waghalsige Weise das Teil verkabelt ist – fragen wir uns erst gar nicht.

So, wie sie da auf den wackeligen Biedermeierbeinchen ihres wackeligen Fernsehtischerls steht, hat diese alte Röhrenglotze durchaus das Zeug, ein möglicherweise bald vorbeischwimmendes Liebespärchen vermittels eines Stromschlages zu killen – muss nur eins der Tischerlbeinchen im Gatsch hinreichend vermodert sein, um von der achtlosen Berührung eines Schwimmerfußes umgeworfen zu werden. Auch dies ist eine ausgesprochen fein gesponnene Metapher, und wir wissen immer noch nicht, woher das Gerät den Strom ursprünglich nimmt.

… genauso gut nun, wie wir uns den solchen Unfalltod des solchen Schwimmer*innenpaares in den wirklich sprichwörtlichen Binsen vorstellen können – als Nebenereignis, wenn ein altes Österreichisches Fernsehen in dem braunen Gatsch kaputt- und untergeht, der ausgebreitet ist unter der Oberfläche eines heimlich-heimatlichen Nest- und Nistgeheges (das aber niemand sieht, weil niemand mehr zusieht, nichtwahr) …

… genauso gut können wir uns auch, im Sinne eines feierlichen Chorgesangs aus jenen Binsen, die da stehen, vorstellen, dass inzwischen alles das hier fürn Oarsch ist … Wir können dem Verschwinden der Kraniche zusehen; oder wir können das Stillleben der hinnichen Eier im hinnichen Neste kontemplieren, unter Röhrenglotzen-Röhrenstrahlung; oder wir können das Kräuseln des Neusiedler Seewassers anschauen, und uns dabei besinnlich vorkommen, höchst gleichnissig können wir das finden, wenn wir uns dazu denken, dass inzwischen eh alles fürn Oarsch ist:

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zu schreibheft #92, 02/2019

Die Schwerpunkte, die den beiläufig 170 Seiten starken Kern dieses Schreibhefts (Nummer 92, erschienen Februar 2019) ausmachen, werden flankiert von: Erstens ganz vorn Gedichten aus dem Nachlass von Inger Christensen, zweitens einem kurzen Text, der nicht nur als Nachruf Thomas Stangls auf Oleg Jurjew gelesen werden zu wollen scheint, und drittens Texten der jungen weißrussischen Lyrikerin Valzhyna Mort ganz hinten. Den beiden poetischen Blöcken ist dabei gemeinsam, dass sie auf unterschiedliche Arten einen vage archaisierenden Eindruck erwecken – was wohl mit dem knapp unterschiedlichen Stellenwert von Metapher, Natur, Strophenformrequisite zwischen den Lyrikmuttersprachen zu tun hat.

Die großen Themenkapitel dazwischen behandeln das hundertjährige Jubiläum von Kurt Pinthus‘ Expressionismus-Anthologie „Menschheitsdämmerung„, die Stadt Glasgow sowie den schwedischen Künstler Öyvind Fahlström in seiner Eigenschaft als Autor.

Wer, wie der Rezensent, von Fahlström noch nie gehört hat, wird von diesem letzteren Kapitel wohl am meisten profitieren. Der Reader, zusammengestellt von Stefan Ripplinger, vermittelt uns einen Überblick über die literaturgeschichtliche Einbettung und das Wirken Fahlströms sowie, in zwei Texten von Peter Weiss, einen Eindruck von seiner Präsenz als Kunstwelt-Kunstfigur. Vor allem aber legt er uns das Primärvergnügen der Lektüre seines Gegenstands nahe bzw. ermöglicht es erst. Er präsentiert nämlich Übersetzungen von Texten Fahlströms, die es (soweit halt eine rasche Google-Suche als Recherche durchgeht) nirgendwo sonst auf Deutsch zu lesen gibt: Eine Kritik, Texte und Bilder an der Kante von bildender Kunst und konkreter poesie sowie, von Ripplinger selbst übersetzt, drei sehr lustige Auszüge aus der Prosa „Der heilige Torsten Nilsson“. Hier (…)

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Fernsehen mit Schmitzer mit Shatner: Game of Thrones

Da müssen wir jetzt durch. So sicher, wie die Kirschblüten an den Bäumen uns vom Frühling künden, so sicher weist uns das Auftauchen von Emilia Clarke und Kit Harrington in unseren YouTube-Feeds, dass es soweit ist. Am vierzehnten April blüht uns die erste Folge der letzten Staffel von Game Of Thrones, oder blüht halt zumindest jenen unter uns, die entweder überteuertes Bezahlfernsehen oder ein minimales Bissl kriminelle Energie haben.

Der weltweite kulturelle impact wird später mal vermutlich auf der gleichen Skala gemessen werden müssen wie jener der Beatles – und im eng analogen Sinne: GoT verhält sich zu dem ganzen aufkommenden, derzeit noch um langfristig plausible Geschäftspläne ringenden System des Serienstreaming-Fernsehens genau so, wie sich Anfang der Sechziger die Beatles zur industriell jüngst erneuerten recording industry verhielten (nämlich: als zu einem Feld, das durch technologische Veränderung in Monopolisierungsk/r/ämpfe gestürzt wurde und sich noch nicht einmal auf die praktikabelsten technischen Standards geeinigt hat): yin-und-yang-eske Verschlingung, gegenseitige Stiftung bedeutungsgebender Sachzwänge zwischen den studios/platforms und artists/producers in einem noch offen Prozess, dessen Zufälle auf Jahrzehnte hinaus die Normen eines ganzen Wirtschaftszweigs präg/t/en: “Wer bezahlt wen, wofür, in welcher Höhe?” “Was ist das urheberrechtlich geschützte Produkt, was ist das bloße Epiphänomen der Produktionskette?” “Was ist, mit einem Wort, der gesellschaftliche Ort jener Unterhaltungskünstler, deren Prototyp man da augenscheinlich vor sich hat/te?” “Wie wirk/t/en Geldmaschine, Publikum und Kunst zusammen?” “Wie soll/t/en sie zusammenwirken?” “Wer darf welche Ansprüche stellen?”

Dass unter all den vielen zeitgenössischen Serien just diese zum großen Branchenzugpferd (bzw. -drachen) werden konnte – also: dass die Serienmacher von GoT überhaupt mal in die Situation kamen, Budgets, um die anderswo opulente feature films hergestellt werden, für einzelne Fernsehserienfolgen zu verbraten – liegt neben nackten Zufällen argumentierbar auch an einer Eigenheit des Materials. GoT ist im Kern vollends desillusionierte High Fantasy und damit offen für zwei unterschiedliche Rezeptionsmodi mit distinkten Interpretationsspielräumen – Desillusion UND Fantasy eben; das vergrößert Kundenkreis enorm und ermöglicht dem Material, als alleiniges Kommunikationsanbahnungsvehikel zwischen Leuten zu dienen, die sonst nix gemeinsam haben.

Entweder, wir beschauen uns das Spektakel identifikatorisch. Wir finden dann …

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zu spritz #228 – „Holocaust als Kultur“

Wie Kertész gerade in seiner Rede anlässlich der Verleihung des Nobelpreises gesagt hat, ist ’seit Auschwitz nichts geschehen […], was Auschwitz aufgehoben, was Auschwitz widerlegt hätte.'“

Dieser Satz findet sich in László F. Földyénis Beitrag zu jenem Imre-Kertész-Symposion an der Akademie der Künste zu Berlin von April 2018, dessen Materialien den Hauptteil des Hefts Nummer 228 von spritz („Sprache im technischen Zeitalter“ – „Begründet von Walter Höllerer“) ausmachen. Wir lesen ihn Ende 2018, Anfang 2019, also zu einem Zeitpunkt, da eine Regierung auf dem Gebiet, das mal ein deutsches Reich hieß, die Wiedereinführung von „Schutzhaft“ sowie“€ 1,50,- Maximallohn für Flüchtlinge“ diskutiert. Mehr ist denn auch nicht zu sagen über die greifbare politische Aktualität und Brisanz eines Ereignisses, welches sich gleichwohl strikt im Gehege der Gelehrtenwelt abgespielt hat: eines deutschsprachigen Poetik-Symposions über jenen 2016 verstorbenen ungarischen Autor, dessen Werk eine distinkte und einzigartige Position unter den Ansätzen markiert, mit dem Holocaust umzugehen, was stets auch meint: literarisch umzugehen

Die vierzehn Beiträge dieses Thementeils, deren Verfasser …

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Offen zur Formalität

Über Ver- und Misstrauen gegenüber dem Literaturbetrieb, über bildende Kunst und mangelndes Wissen spricht Stefan Schmitzer für Fixpoetry mit dem aktuellen Alice-Salomon-Poetik-Preisträger Christoph Szalay.

Schmitzer: … Du hast mir eben erzählt, dass du kein besonders Vertrauen mehr in den Literaturbetrieb hast, lieber Christoph …

Szalay: Das stimmt, ja.

Möchtest du elaborieren?

Ich kann’s direkt machen: Wenn mich jemand fragen würde, ob ich an die Literatur glaube, dann wäre meine Antwort: „Nein“. Damit meine ich dann aber nicht die Literatur an sich, sondern ich meine vor allem […]

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„Grüsse mir, Flieger …“

Verlagshaus Berlin, „Quartheft #68“ (irgendwer muss mir mal den Sachzwang erläutern, aufgrund dessen deutsche Literaturverlage nicht einfach Bücher, sondern stets Reihen machen) – ein Gedichtband von Crauss. Der Klappentext sagt so:

… folgt Crauss den Piloten der 60er Jahre auf DIE HARTE SEITE DES HIMMELS: Er setzt seine körperlichen, feinen, wie aus Porzellan gegossenen VErse den elementaren Kräften des Fliegens aus. Zwischen den Staubwolken der Rollfelder und der furchtbaren Schönheit von Nachtflügen liegen sehnsuchtsvolle Träume (…)

… und das darf uns ein bisschen hoch (in den harten Himmel) gehängt erscheinen. Bzw. ein bisschen gar zu fixiert aufs manifeste Oberflächenthema. Freilich, der Band versammelt Persona-Lyrik, extrapoliert ein pansexuell-cooles Ich und eine Bondfilmhaft drapierte Kosmopolitenwelt, aber das war’s nicht (es handelte sich dann auch bloß um die Fortführung der Modemagazinfotografie mit den Mitteln der zeitgenössischen Lyrik – das müsste wirklich niemand lesen). Erstens hat dieses Ich mehr zu tun als bloß in etwelchen Lounges und an international landmarks herumzuhängen, und es entfaltet Reflexionen, die über solches Inventar weit hinausgehen – in beispielsweise Kindheiten, Lektüren, Sozialwissenschaft. Zweitens geschieht hier sprachlich deutlich mehr als bloßes lyrisches Abmalen symbolträchtiger Settings; Crauss‘ lyrische Rede kommt durchaus zu sich selbst. Drittens wird nicht nur vom Ich des manifesten Gehalts über die Erdoberfläche geflogen, sondern auch von Crauss‘ Text über die Oberfläche eines anderen Texts: (…)

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„… die schwarzen see lert mich ain vas begreiffen …“

Der zweite Gedichtband von Tristan Marquardt, Ende ’18 erschienen bei Kook, heißt „Scrollen in Tiefsee“. Schon klar: es geht um die Verselbständigung der Interaktion Mensch-Maschinengedächtnis, eine neue Sorte aufmüpfigen Unterbewusstseins. Oder: Neuverhandlungen darüber, was zwischen Naturzeug und Menschenwelt die Metapher ist, und was das metaphorisch Bezeichnete … Wir rechnen also, bevor wir den Band aufschlagen, mit ca. folgendem:

Abgrundtiefe Kataloge, in denen versunken wird; Neuerungen der Technik als Neuerungen des Bewusstseins- und Sprachvorrats; Externalisierung->Internalisierung->Versinken->Vereinsamen im Sprachstrom der Maschinen, als wäre er ein menschenleeres Andersland under the sea; die Sprache zeitgenössischer Sachtexte als eine Sprache, die dem Unbewussten (drei Uhr morgens, den Finger an der Maus-Taste, nur noch ein! Wikipedia-Artikel …) zu Gebote steht.

Wie sich schnell herausstellt, wenn wir tatsächlich blättern, fehlt in dieser Liste etwas: nämlich das Mittelhochdeutsche, mit dem sich Marquardt gut auskennt, im konkreten Fall: Texte des Eschenbachers, Reinmars und Heinrichs von Morungen. Eine andere Sorte Tiefe, das, können wir denken: Grammatikalische, semantische, klangliche Kräftefelder, die so im Neuhochdeutschen nur noch halb vergessen herumliegen; Vorbewusstes, Tiefsee auch hier.

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Fernsehen mit Schmitzer mit Hayek. Über „She-Ra and the Princesses of Power“

Wir erinnern uns an den heldenhaften He-Man im Fernsehen unserer Kindheiten (+/- 1985): im ewigen Kampf mit seinem Gegenspieler Skeletor um die Macht auf dem Planeten Eternia befangen; so ostentativ überdrüber-heteromännlich und so spärlich bekleidet, dass er es rasch und verdient zur Camp-Gay-Ikone brachte; die Dialoge so eindimensional und hölzern, dass es das identifikatorische Schauen unterminierte und selbst noch den doofsten Knaben daheim am Empfangsgerät zu höherer Hermeneutik zwang; die immer gleichen paar Ringkampfsequenzen, wenn‘s nach fünf Minuten Exposition an die Action der jeweiligen Folge ging; karge (lies: unaufwändig zu animierende) Felslandschaften mit gelegentlichen Wäldchen und Burgen, durchaus ohne erkennbare Straßennetze oder sonstige Infrastruktur … Die High-Tech-Jungsteinzeit am Samstagvormittag im Kinderzimmer; und weil’s als Dauerwerbesendung für überteuerte Plastikmantschgerl angelegt war, auch noch der Serviervorschlag ans kindliche Publikum, wie denn mit diesen neuartigen Mantschgerln zu spielen sein werde: Schlachtensimulationen für eine Kindergeneration, der die Idee von Krieg selbst, zum Glück, wie ein völlig jenseitiges Phantasiekonzept erscheinen musste, mit dem man so unbefangen umgehen durfte wie mit all den anderen Spielzimmer-Phantasmen …

… nun kannten wir damals die abstruse Geschichte nicht – und hätten auch nichts mit ihr anfzufangen gewusst – der wir die Präsenz jenes Herrn He-Man und seiner rauflustigen Freunde in unseren Fernsehern verdankten. Zu jener Zeit, Anfang der Achtz’ger, hatte nämlich soeben George Lucas mit “Star Wars” das Prinzip der Werbung für Pastikmantschgerl im populären Bewegtbild perfektioniert und zur Haupteinnahmequelle eines ganzen Franchises gemacht. Das war neu und alle Welt wollte mitspielen. Doch was mit feature films funktionierte, war im US-Kinderfernsehen zu jenem Zeitpunkt noch explizit verboten. Es musste erst Ronald Reagan (…)

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LesArt zu Muriel Pic, „Elegische Dokumente“

Ein übersichtlich zweisprachiger Band, (links französisch, rechts deutsch). Drei sagen wir Zyklen, in sich zusammengehalten von strikten Gliederungen – stets drei Strophen, stets zehnzeilig im ersten Zyklus, zwölfzeilig im zweiten, vierzehnzeilig im dritten – und inhaltlich vom Bezug auf Archive – hauptsächlich denen des Seebads Prora, denen von Kibbuzim aus der Frühzeit des Zionismus, denen Kafkas und schließlich dem etwas sinnbildlicheren Archiv einer

… Fotografie vom Sternbild des Orions, aufgenommen von einem Amateurastronom zur Stunde, als der Zweite Weltkrieg erklärt wird.

Wir sehen schon am Stoff, es geht, passend elegisch, um den Auseinanderfall von Vision und Wirklichkeit, bzw. um verfehlte Hoffnung, bzw. um Möglichkeiten, die von ihren Verwirklichungsbedingungen verraten sind. Das gipfelt im ganz Weiten eines astronomischen Blicks, der über den heraufziehenden Weltbrand buchstäblich hinweg-sehen muss, um zu seinem Ziel zu kommen; und das meint natürlich in allen drei Iterationen die Ur- und Vorgeschichte jener Nachkriegsordnung, die derzeit (2018) ökonomisch, moralisch, intellektuell und selbst spirituell auch schon wieder beim Teufel ist.

Wir bekommen die Faktoren, die so zusammenlaufen und über denen Muriel Pics Text-Ich schwebt, dank der Orientierung an tatsächlichen Archiven auch tatsächlich auf dem Silbertablett serviert – es geht um Beweisketten, …

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„22. Iss gut. 23. Schreibe.“

Narr #24. Fast, dass es nicht mehr die aktuelle Ausgabe des narrativistischen Literaturmagazins ist, die mir vorliegt … fast. Hat lange genug gedauert, bis ich endlich dazu komme, es zu lesen, geschweige denn zu rezensieren.

Wohlverdient, das fällt als erstes ins Auge, ist die Nominierung für den Schweizer Design-Preis 2018 – die relativ wenigen, aber strikt durchgezogenen gestalterischen Entscheidungen entfalten klare Wirkung; es erzählen schon allein die zwei gewählten Schrifttypen in ihrem Spannungsverhältnis zueinander und in den Assoziationen, die sie aufrufen, recht genau, wenn auch auf ungewohnte Weise vermittelt, wie nach Ansicht der Zeitschriftenmacher*innen zu lesen wäre … wie erstmal das Narr zu lesen wäre, aber (denken wir uns) dann überhaupt die Literatur, oder zumindest das, was diese Crew recht junger Schweizer Autor*innen zu ihr beiträgt. Und wie ist nur zu lesen? – Sagen wir: Unsentimental (Schrifttype „Real Beta“), aber …

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Verprasst! Passt!

Robert Striplings „Verpasste Hauptwerke“ gehört in die Reihe jener Bücher, die man durchaus mit Gewinn lesen und wiederlesen kann, deren wahre Pointe aber im Konzeptuellen liegt: Stripling wählt das Zitat-mit-Quellenangabe – sagen wir: das Motto – als Textsorte, mit der er sich einen Spaß macht, und zwar gerade nicht den naheliegenden Spaß der nesting dolls und infiniten Regresse von Wirklichkeitsebenen. Statt dessen bekommen wir: eine Führung durch das Reich nie geschriebener Bücher von fiktiven, die jeweiligen Epochenklischees komisch übererfüllenden Autoren … und außerdem ein Nachwort, von dem wir nur sehr kurz denken, dass es uns tatsächlich etwas erklärt, oder dass es uns zumindest in das eh schon durchschaute Bauprinzip dieses Haupttexts nochmal autoritativ einführt. Tatsächlich aber funktioniert dieses Nachwort als eine kurze Erzählung von den Freuden der phantasievollen Hochstapelei (und hier tauchen sie dann auf, die nesting dolls, denn gewissermaßen macht das Nachwort retroaktiv aus dem ganzen restlichen Text eine weitere solche Erzählung).

Wären die „Verpassten Hauptwerke“, inklusive jenes Nachworts, nicht bloß lustig, sondern auch noch über irgendeine Bande tragisch-katastrophisch – man wäre versucht zu sagen, das Ganze habe den Charakter einer Modernisierung der Prosabauweise von ca. Alasdair Gray. Die Übermacht der Gesamtanlage gegenüber den einzelnen Elementen würde dazu passen, ebenso der Umstand, dass das Buch besonders anfällig für die Gefahr erscheint, sofort entzaubert und langweilig dazustehen, kaum, dass der Gestus des jeweiligen Pasticchios mal nicht genau getroffen wird. (Es gibt Textsorten und selbst Stilspiel-Konzepte, die da weniger gefährdet sind.) (Und dass aber die Entzauberung nicht eintritt, dass der Ton sich halten lässt, ist genau die Attraktion.) Indes – Katastrophen finden wir bei Stripling nicht, zumindest nicht im Großen-Ganzen. Das braucht auch nicht mehr zu sein als freundlich, gelehrt und gerade das entscheidende Bisschen frivol.

Kritisieren könnte man gegebenenfalls, dass …

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Alles richtig: Alles falsch.

Nicht beklagen dürfen wir uns angesichts von Christian Metz‚ umfangreicher Monographie „Poetisch denken“. Die Lyrik der Gegenwart“ über einen Mangel an Stringenz, Struktur und Materialfülle. In einem Eröffnungskapitel, vier erschöpfenden Fallstudien und einem knappen Outro nebst Apparat verfolgt Metz konzentriert das Projekt eines systematischen (oder sagen wir: theoriegeleiteten) Überblicks über Entwicklung und Gegenwart der derzeitigen deutschsprachigen Lyrik. Realgeschichte, Sozialgeschichte und Ästhetik werden zusammen gedacht. Dies wird dem*der interessierte*n Leser*in so übersichtlich und in so beruhigender, pointierter Folgerichtigkeit dargeboten, als würden wir dem BBC-Tierdoku-Onkel Sir David Attenborough zuhören.

Über die vier eingehenden Gedichtlektüren, die den Hauptteil des Buches ausmachen (je über eines von Monika Rinck, Jan Wagner, Ann Cotten, Steffen Popp), kann an dieser Stelle nicht gerechterweise gehandelt werden. Metz nimmt seine Vorgaben ernst, liest genau, verknüpft über das ganze Buch hin; über manche Details seiner Einschätzung mag man je anderer Meinung sein, aber das gehört dazu. Sie sind, was sie sein sollen, und lesenswert genug, um den Band um ihretwillen zu empfehlen.

Schwierig dagegen ist ein formaler Aspekt, der inhaltliche Eigendynamik gewinnt (was ja so ganz gut zu Metz‘ Gegenstand passt): Die …

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Fernsehen mit Schmitzer mit Kierkegaard. Über Lodge 49.

Lodge 49 ist eine schwer kategorisierbare, unaufdringlich tragikomische und ungefähr “realistisch” gemeinte Serie über einen vage freimaureresken social club in der krisengebeutelten Industriehafenstadt Long Beach, Kalifornien. Sie ist unbedingt empfehlenswert, denn erstens kann man, während sie läuft, ohne allzu flashy Ablenkungen bügeln oder kochen, wobei es einem aber auch nicht fad werden wird, und zweitens darf Serienmacher Jim Gavin für seine Hervorbringung ein zwiespältiges Alleinstellungsmerkmal beanspruchen: Im ersten Staffelfinale, also nach zehn Folgen und damit knapp ebenso vielen Stunden Programm (bei uns legalerweise anzusehen auf Amazon), gibt es eine Stelle, da erreicht der Triumph des bekanntermaßen alternativlosen Kapitalismus über eh alles in unserem Leben, die In-Dienst-Nahme auch der entlegensten Daseinsbereiche durch seine Verwertungslogik, eine neue Qualität:

Nicht bloß, dass die Hauptfiguren von Lodge 49 – Angehörige der sogenannten unteren Mittelschicht an der Kante zum Prekariat, von der sehr greifbarenDrohung der Obdachlosigkeit ebenso real zermürbt wie von ihren diversen emotionalen Krisen (die alle keine wären, wenn sie jeweils nur ein kleines Bissl mehr Geld hätten) – jede, aber auch jede Ressource und jede Facette ihres Soziallebens vernutzen und verwerten müssen, um irgendwie, und knapp, über Wasser zu bleiben; und nicht bloß, dass sie diesen mühsamen Zustand auch noch wacker toll finden und positiv denken sollen; nein: Während der letzten paar Takte des Finales legt sich die Serie (zumindest uns Zuseher*innen gegenüber, und vielleicht, Cliffhanger Cliffhanger, nur zum gut inszenierten Schein) darauf fest, dass die “mystischen Versprechungen” der namengebenden Lodge nicht alle bzw. nicht nur Bullshit sind. Man stelle sich vor, was das in diesem Zusammenhang und für die bis dort hin wie gesagt “realistische” Serie bedeutet:

Alle Kindergebete sind dann wahr – es gibt Magie – es obwaltet definitiv ein verborgener Plan hinter den Dingen, und er belohnt korrektes Verhalten wirklich – so etwas Ähnliches wie “erlösendes Eingeweihtenwissen” is a thing … aber selbst alle diese feinstofflichen, metaphysischen Instanzen sind dem Gesetz des galoppierenden Oarschloch-Neoliberalismus nach- und untergeordnet, will sagen: Selbst Gott in seinen Himmeln untersteht der gig-economy. Nicht mehr nur das Ende der Welt ist, wie der bekannte Kalauer geht, im Gehege der Unterhaltungskünste leichter zu denken als das Ende des Kapitalismus – auch die Option auf wie immer geartete individuelle Mystik wird, statt den bestehenden Scheißdreck in der jeweiligen Story zu transzendieren, von diesem ins Immanente herabgezwungen.

Wieviel gnädiger und menschenfreundlicher wäre das selbe Narrativ doch, wenn …

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Triebabfuhr

Thilo Sarrazin beschreibt im Vorwort dieses seines vorliegenden Islam-Buchs unter dem Titel „Feindliche Übernahme“ sein Vorhaben so:

An [den] Anfang [des Buchs] stelle ich die Frage nach dem ‚Wesen‘ des Islam. Meine Antwort suche ich im Text des Korans, so wie ich ihn als verständiger Laie ohne Kenntnisse des Arabischen (…) verstehe. Von daher versuche ich, das Spektrum der Deutungen des Islam aufzufächern …

… und es fiele uns wesentlich leichter, dieses Ansinnen als einen zwar strukturell rechten, aber redlichen und daher respektablen Beitrag zur sogenannten „Integrationsdebatte“ anzunehmen, wenn der Verfasser nicht in den wenigen einleitenden Absätzen, die diesem Zitat vorausgehen, gleich mehrere sich gewaschen habende Schenkelklopfer für die besonders feinsinnigen Freunde der rassistischen Implikation untergebracht hätte … und solchermaßen from the get-go klargemacht, dass er Religionssoziologie nur genau so weit bemühen wird, wie leider, leider unbedingt nötig, um es den doofen Gutmenschen mal so richtig reinzusagen.

Will sagen: dass wir es entgegen allem Vorschein eines Besseren (Fußnoten! Literaturapparat! Ganze Sätze!) mit xenophober Triebabfuhrlektüre für die bücherbesitzenden Stände zu tun haben, bemerken wirauf Seite +/- 16 von knapp 500, irgendwo zwischen Stilblüten wie den folgenden hier:

Der in Europa weit verbreitete Antisemitismus erklärte sich nicht nur aus der religiösen Sonderrolle der Juden, sondern auch aus ihren besonders großen Erfolgen in Wirtschaft und Wissenschaft. Das führte zu Neidreaktionen, die sich teilweise in Antisemitismus übersetzten.

Lies: Irgendwas muss ja dran gewesen sein an dem Gerücht von den Juden; ganz so umsonst hat da das deutsche Wir-Subjekt da keine „Reaktionen“ gehabt.

Umgekehrt ist es auch nicht gut, wenn sichtbar abgegrenzte Minderheiten, wie die Schwarzen in den USA, bei Bildungserfolg, Einkommen und Lebenserwartung deutlich schlechter abschneiden. Die vernünftigste Lösung wäre eine Aufhebung der Unterschiede durch Vermischung der verschiedenen Ethnien. Dies widerstrebt aber offenbar den Wünschen der meisten Menschen: Schwarze, Weiße und Ostasiaten heiraten in den USA zumeist unter sich.

Das letztere ist so blöd, dass noch nicht einmal das Gegenteil stimmt. Während wir aber Ausschau nach einem Soziologie-Zweitsemester halten, der Sarrazin und seinen Eleven vordeklinieren könnte, wie man Statistiken interpretiert und wie nicht (Korrelation und Kausation und all that jazz), dürfen wir …

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always with the nahverkehr . 1 geschehnis mit flügeln .

es trafen sich drei amseln . und tzschiwiwiwirpten mir ein lied das gieng :

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sie kreisten dabei über sanktus leonhard sein’ stadtbezirk. genauer : kreisten über der engelgasse zwischen elisabeth- und leonhardstrasse . so ging ich näher hin genauer zuzuhören . war eine riesenbaustell’ . lastautos und baufahrzeuge piep piep piep . und war krawall . weil auch der bim-ersatzbus der statt dem siebmer und dem einser fährt . muss durch die engelgasse umgeleitet werden . weil hinter den ursulinen alles gesperrt ist wegen noch einer anscheinend anderen baustelle . und dann gibts noch den ganz normalen busverkehr der da durch durchmuss . und die autos die autos . war auch erster schultag morgens morgens . so gieng ich näher hin genauer zuzuhören . und fand mich stehend an dem rand des solchen pandaemoniums piep piep . war erster schultag und es trafen sich drei amseln .

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und die busse wussten werder vor noch zruck . es standen zwei am ende engelgasse richtung elisabethstrasse . einer war eben links in die engelgasse hinein abgebogen und stand entsprechend nicht ganz hundertpro gerade . ihm versperrte ein lieferwagen die weiterfahrt der war fahrerlos stand schräg zwischen straße einfahrt gehsteig hatte die ladeklappe offen . der andere bus hielt in der gegenrichtung an der weißen linie und hätte wenn er weiter wär gefahren einen schlenkerer mit seinem heck gemacht das gänzlich proppenvoll gefüllt erschien mit menschen . der heckschlenker die sagenwir ausscherung sie würde unvermeidlich in der schnauze des anderen busses mitten darinnen geendet haben . das würde aua aua ergeben haben tatü tata . alles hupte und wartete und auf der elisabethstrasse stadteinwärts da bildete sich ein schweif eine linksabbiegerschlange . und der nächste schienenersatzbus richtung stadtauswärts wartete auch schon hinter den so solcherart verkeilten. und die vogerlan oben darüb sie zwitscherten

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so schien mir da ich sah und lauschte einen augenblick lang nicht mehr ganz so sicher dass das gattungswesen mensch der liebe haarlose trockennasenaffe wirklich und wahrhaftiglich die krone der schöpfung sei . wenn er es denn so gár nicht möcht’ vermöchten in der zweitgrößten stadt der siebtreichsten volkswirtschaft der erde am ersten schultag einen g’scheiten öffentlichen nahverkehr organisiert zu kriegen nichtwahr . da brauch’ ich dacht’ ich mir da brauch ich einen taschenrechner und zwei hawis die ein maßband halten können dann hab ich das (hinreichend steuergeld vorausgesetzt) an einem nachmittage ausbaldowert wo wann womit gefahren wird . zahlen abmalen und in eine excel-liste tippen können tatert auch nicht schaden . und die vogerln sie zwiepten und der wind er raschelte in baugeräten und er zupfte an den overalls des personals das zwischen hupen brummen piepen ächzgeräuschen von metall und glas und gummi auf asphalt und stein hin und her den vormittag durcheilte . wie muss dachte ich mir da : wie muss es droben in den lüften lustig sein wo diese amseln flatternd singen

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. wie muss es dort so schön und so viel freier sein . wie muss es lustig sein uns dodeln in der engelgasse zuzusehen da busse vollbesetzt und autos sich verkeilen bis nichts weiter geht . die amseln sahen mich ohne mitleid an und zwiepten . die leute in dem heck des einen und dem fonds des andern busses sahn mich ohne mitleid an und zwiepten auch schien’s mir . mir wuchsen flügel . tatsächlich brach die welt in massenchoreographiertheit aus . wir denken zirka sergej eisenstein . (wie das mit meiner kleidung funktionierte ob die auf schulterhöhe hinten riß oder sich schmiegte oder ob das anders (magisch) gieng vonstatten weiß ich nicht zu sagen wurscht oder ?) . dass ich geflügelt war hieß nun durchaus nicht dass ich fliegen konnt’ . im gegenteile . schwer hingen jene haut-und-daunen-lappen unter der schillerschicht aus schwarz-und-weißem deckgefieder an mir hinten runter . teil meiner selbst da rundherum die baustell’ . schwer schleiften sie am boden . ein arbeiter stieg beim verrichten von verrichtungen darauf . das schmerzte und ich musste erste federn lassen . eins zwei drei vier fünf federn die führten kleine wirbelwindchen an der bordsteinkante weiter weg.

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riefen die drei zauberamseln immer noch . und weiter glosten letzte sommerüberreste im septemberhimmel hin . stumpf sah man mich aus einem PKW der ratternd heißlief an . da nix weiterging . stumpf sah ich zruck und dann zu boden . mir fiel nun auf es waren elsternflügel die ich hatte . und führte eins zum andern und die ohrringe der damen im bus begannen mir zu glänzen . wurscht . schwer die flügel . schwer der nahverkehr verkeilt . so war ich (wie g’sagt) fest am boden festgemacht von dem gewicht der flügel . und ebenso der fluß von menschen durch die gegend von den bussen fest gehindert in ein blech gebannt . dies ist ein gleichnis nichtwahr . eine parabel . hier ich da der verkehrsfluß . hier die flügel die haängen und drücken satt schweben . da die busse die stehen und hindern statt fahren .

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ich sehe hilfesuchend zu den schwarzen gelbgeschnabel-viechern droben die sich eben niederlassen . und fühle mich wie so ein ganz ein dicker bub beim fangenspielen . ich so : ach koommts schon amserln ! gebts mir aan hinweis wie das geht mit fliegen ? die amseln zwiep : wie sollten wir ? was wissen wir von menschen schwergewicht und trägheitsdings (hihi haha) von grund auf ? ich drauf : ihr wissts doch was ? die amseln :

du musst die musskelln exerzieren
und tirillieren
dann könnt das was werden
mit dem abheb’ von der erden …

ich stirnrunzelnd gegen den amselhimmel auf der baustelle . dass der security-hawi mit dem funkgerät kommt und drohend fragend schaut so lang steh ich schon rum . und immer noch die buse an ort und stelle . wir stehen aug an auge in der gasse wo der ganze äusserts provisorisch angeordente verkehr der GVB für leonhard in richtung krankenhaus hindurchmuß . wir schauen uns an eisenstein . oder eastwood. steh auge in auge der security mit den guten jobchancen und ich . nichts rührt sich am wenigsten meine flügel . zwiep zwiep.

AANGEBOT SCHAFFT NACHFRAGEE
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während dem allem schiebt sich der statdauswärtse bus um zentimeter zentimeter quietschend weiter auf die elisabethstrasse . metall quietscht auf anderem metall. die buse reiben aneinander . woran ich denke da dabei mein linker flügel erstlich erstmals zuckt ist nicht der sittlichen entwicklung der jugend förderlich . jetz kommt außerdem der fahrer von dem kleinlaster hinzu der den stadteinwärtsen bus blockiert . der kann aber nicht wegfahren weil seinerseits von einem stapler mit palletten zugeparkt . oider hier gehts zu . und wuuuui ein auffahrunfall vorne in der stauung . hauptsach während der security und ich uns westernmäßig anstarren . hauptsach dass zumindest der eine bus ohnr fremde hilfe rauskommt . yay !

AANGEBOT SCHAFFT NACHFRAGEE
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schreien schon wieder die amseln und meine elsterflügel drücken unterm gwicht der baustellenschutzbefugtenblicke . da habe ich eine epifanie . so wie der bus irgendwie weitergekommen ist halt zumindest der eine . so kann auch ich . fliegen lernen .

und muss die musskelln exerzieren
und tirillieren
dann könnt das was werden
mit meinem abheb’ von der erden

ich habe dan mehrere jahre in den wu-dang-bergen im kloster verbracht und gelernt wie alles ist . und abenteuer und staub . und immer die flügel hinter mir her geschleppt . und meditiert . wasser vom fluß holen . flügel geschleppt . reis ernten . flügel vollgesogen . und schulterübungen . dass teile meiner flügel ließensich bewegen . nie richtig nie gscheit . aber langsam langsam . dann wars mir z blöd . bin ich nach amerika hab mir lassen geben pulver mit hormon . hat auh nur bissl g’holfen . und war ich in der mojave wüsenei . an einem abend . in einem großen dämmern . dass ich der vogerl über graz st. leonhard gedachte wie sie ihr lied gesungen:

AANGEBOT SCHAFFT NACHFRAGEE

und fiel mir wieder ein . dies alles was mir wiederfahren . als parabel nichtwahr . erst weil ich elstern flügel an mir hängen hatte . zog ich das selberfliegen ernstlich in erwägung . und hatte nebenbei kungfu gelernt in den wudang-dings . und war jetzt in amerika . und konnte mich als superheld verdingen oder ? genauso mit dem nahverkehr in graz . also parabolisch . fiel mir wie schuppen von den augen : wenn man will dass die leute eine idee kriegen was sie in der stadt wollen sollen ausser arbeiten und daheim hocken . dann muss man bessere öffis einrichten . solche die nicht noch alles blockieren . nicht die pflicht sondern das geile und supere muß her . und da konnte ich . weil dies ein kitsch ist hier . endlich fliegen . da ging das endlich mit den schwren flügeln . und war das in den hellen himmeln eine parabel war das .

was aus den amseln und den bussen war was weiß ich . zwiep .

[Beitrag zuerst erschienen bei KiG!]

Reue, Herrschaft, Feuilleton

Die Kurzfassung der Positionen, die Max Czollek für dieses Buch aufbereitet, geht ungefähr so: Das offizielle Deutschland nebst seiner Exportwirtschaft und denjenigen seiner Bewohner*innen, die sich in der sicheren Gewissheit dünken dürfen, im Zweifelsfall noch jeder beliebigen Definition zur „Mehrheitsgesellschaft“ gezählt zu werden – sie profitieren alle immens von der immer wieder erneuerten Inszenierung eines bestimmten Geschichtsbilds und seines ideologischen Korrelats in einem sich geläutert, weltoffenen und unverkrampft patriotisch wähnenden Deutschland. An diesem Geschichtsbild und an dieser Inszenierung hat Czollek zunächst auszusetzen, dass sie den jüdischen Bewohner*innen Deutschlands einen sehr bestimmten Platz im „Erinnerungstheater“ zuweisen, nämlich: allzeit als Repräsentant der (Nachkommen der) Opfer des Nationalsozialismus zur Verfügung zu stehen, um die jeweils anstehende Läuterungs- bzw. Sühnegeste der (Nachkommen der) Täter abzunicken, dabei Versöhnlichkeit auszustrahlen und im Übrigen zur neuen Deutschen Vielfalt (resp. zum christlich-jüdischen Abendland) den einen oder anderen nicht zu sperrigen Beitrag1 bereit zu haben.

Diese Indienstnahme, so Czollek, werde den real im gegenwärtigen Deutschland anwesenden Juden2 weder historisch noch kulturell gerecht. Sie verwandle all die offiziell Deutschen Reuebekundungen über „das Geschehene“ in ebenso viele erneuerte Dominanzgesten – „Erinnern“ wird zur Herrschaftsideologie. Hieran hängt als zweite Beobachtung die, dass sich das Kollektivsubjekt der „Deutschen“, da es solcher Rollenzuschreibungen bedarf, über die eigene Natur belügt, wenn es

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Feuilletozän

Dass nicht nur die deutschsprachigen Lyriker*innen, sondern auch die Weltgemeinschaft der Geologen das Zeitalter des Anthropozän ausgerufen haben, entnehmen wir Hartmut Böhmes einführendem Beitrag in der eben erschienenen ersten Ausgabe der Zeitschrift „Dritte Natur“. Nicht ganz klar ist (mir), ob die Schlagworte „Technik – Kapital – Umwelt“ auf der Titelseite das Thema der Ausgabe oder das Motto des Zeitschriftenprojekts insgesamt darstellen. Böhmes Aufsatz deutet eine mögliche Leserichtung an –

Vergessen wir nie, dass dem biophysikalischen Universum der Erde ein semiotisches Universum entspricht. Die Erde ist auch eine aus Zeichen gesponnene Textur, seit der Urgeschichte bis heute ohne Unterlass besprochen, besungen, benannt, bezeichnet, beschriftet, vertont und bedichtet.

–, aber ob die vorliegende Textsammlung (meiner Interpretation) dieses Serviervorschlags gerecht wird, ist eine andere Frage. Es geht schon auch einen ganzen Abschnitt lang (vier Aufsätze und vier Gedichte) um „Wege der Literatur“ angesichts des Anthropozäns, und Herausgeber Steffen Richter, selber vertreten mit „Die große Erzählung. Literarische Narrative des Anthropozäns“, ist nicht umsonst Literaturwissenschaftler. Doch die Mehrheit der Beiträge (sieben der restlichen acht) darf eher der Textsorte „Naturwissenschaftsfeuilleton“ (bzw. halt Technikphilosophie) zugeschlagen werden. Gemeinsam ist den Beiträgen, dass sie um die prinzipielle Möglichkeit von Perspektivenwechseln (Plural) zwischen Welt, Mensch, Erde kreisen. Das heisst, hier kaum übersehbar, auch: um die Möglichkeit multipler Perspektivenwechsel zwischen Akademia/Diskurswelt, „erster Natur“ und dem Menschen als Gattungswesen:

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trifft!

Das poetologische Gespräch zwischen Pamela Granderath und Nora Gomringer beinahe am Ende des vorliegenden Bandes löst (in mir) das dringende Bedürfnis aus, dazwischenzurufen: Ihr verwechselt da, Kolleginnen, diese Effekte, diese Art von Schreiben-fürs-Ohr, diese Sorte Bühnenpräsenz mit den Effekten, der Ohrenschreibe, der Bühnenpräsenz überhaupt. Das verzerrt in my humble opinion Eure Selbstwahrnehmung, und dazu noch das Bild, das Ihr von Eurem gewählten Genre der slam-poetry zu haben scheint …

… und wir können die Dringlichkeit dieses (meines) Einspruchsbedürfnisses getrost als Zeichen verbuchen, dass es Herausgeberin Frauke Tomczak gelungen ist, mit ihrer Zusammenstellung „Bekannt trifft Unbekannt #2“ (zumindest diesen, aber wohl noch weitere) Nerven poetologischer Zeitgenossenschaft genau zu treffen.

Das Konzept ist dabei simpel und tragfähig: Der Band versammelt vier Paarungen eines/einer bekannten und eines/einer unbekanntern Lyriker*in1 (letztere, wenn ich richtig verstehe, ‚aus Düsseldorf‘), zum einen mit Gedichten, zum andern mit einem dezent moderierten Gespräch des jeweiligen Duos übers Schreiben, das bei einer Lesereihe aufgenommen wurde. Dem Buch liegt die Audiofassung sowohl der Texte als auch der Gespräche als CD bei. Erfreut kann man …

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… zusammen machen ist prekär

Das Vorwort zur aktuellen BELLA schließt mit den Worten:

Weich soll der Umgang miteinander sein und der Text beweglich, damit er anschlussfähig bleibt. Damit wir anschlussfähig bleiben, kommt die BELLA mit ausgestreckter Hand, zum Aufnehmen und Aufgenommen werden. Schön, dass ihr uns eine Weile begleitet.

Auch, wenn man das mit der Anschlussfähigkeit und der Weichheit nicht so selbsterklärend findet wie offenbar die Verfasser*innen (und man zumindest die Wortwahl, wenn schon nicht den Inhalt, für ein Symptom von triumphaler Markt- und Netzwerklogik in der Textwelt hält, welches freilich den einzelnen Beteiligten nicht als etwas aktiv Betriebenes vorgeworfen werden kann/soll) – man darf sich doch versucht fühlen, ihnen zu antworten: Danke für die Einladung! Gerne!

Sichtlich hat die BELLA sich auf ein Format eingespielt, das die Abbildung einer Pluralität von korrespondierenden, dabei aber nicht kongruenten Positionen ermöglicht; will sagen: auf einen komfortablen Gesamtumfang mit nicht zu vielen oder wenigen einzelnen Beiträgen, und auf einen ebensolchen Modus der Zusammenstellung. Es ist diese Art von stabiler Fundierung im Organisatorischen, die wohl ermöglicht, „Herkommen und Hinwollen immer wieder neu [zu] erzähl[en]“, wie es im Vorwort ebenfalls heißt, und: „Diesmal könnte alles anders werden.“ Dies „anders“ heißt konkret, dass wir uns acht Einträgen gegenübersehen, von denen sich einige mit Standortbestimmungen auf dem Feld der Identitätspolitik beschäftigen oder dieses zumindest streifen (und unter denen keiner ist, der sich gegen die hiervon emanierenden Obertonreihen sichtlich sperren würde).

Entscheidend für die Ausgabe ist die Kollaboration von Annette Pehnt und Guido Graf, „Lehm und Regen. Über kollaboratives und politisches Schreiben“, die ganz am Schluss steht. Nicht sofort erschließt sich, ob die streng gegliederte Form die eines Axiomenkataloges, eines Manifests oder eines, äh, Theoriegedichts ist, und natürlich stellt solche Unschärfe den Sinn der Übung dar. Behandelt der manifeste Text vermittels zahlreicher und kenntnisreich gewählter Zitate so etwas wie ein präsentes Bewusstsein für die Historie literarischer Kollaborationen, verschiedener Wir-Bildungsstrategien im Textfeld; so stellt der Subtext jenes „Wir“ in Frage, das sich da bilden kann – also: Auch das eigene Subjekt eines Texts, der mit den Worten beginnt

Was wir zusammen machen, ist prekär.

Heißt:  An zahlreichen Stellen, an denen es manifest um den soziologischen Ort eines Subjekts geht, das politisch wirksamer Rede mächtig sei (wie gesagt: „Moderne“ vs. „IdPol“), passiert entweder die Verschleierung eines grammatikalischen Subjekts – „Solidarität, die als Selbstzweifel … den Bewohnern demokratischer Staaten eingeimpft wurde“ (von wem?) –  oder Entgrenzung zwischen Text und Leser qua rhetorischer Frage – „… warum halten wir (…) so vehement an der anderen Geschichte fest, die von Eigenem und Ursprünglichem erzählt, von (…) Schöpfung, Ziel und Anfang?“. Wir tun gut daran, hierin …

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de consolatione philosophiae

… Und uns?! …

… uns, Schatzi, uns scheint derzeit nicht mehr und nichts Besseres zu tun zu bleiben, als dass wir das anscheinend unvermeidbare Herabsinken der zivilisierten Umgangsformen in Mitteleuropa schreibend begleiten. (Bekanntlich ist es gar nicht so lange her, dass man höflichkeitshalber davon Abstand nahm, jenes massenhafte Ersaufen von Negern und/oder Islamisten im Mittelmeer auch noch lautstark grölend abzufeiern, das man als stabil schweigende Mehrheit bislang bloß billigend zur Kenntnis genommen hatte …) Blöd, dass der Erkenntniswert unserer diversen Empörungen verschwindend gering bleiben muss, auch und gerade dann, wenn diese Empörung rechtschaffen, treuherzig und rhetorisch brillanter als hier vorgetragen wird (… und leider selbst noch im Bann des sonst so krisensicheren Textproduktionszweigs von faktenbasiertem Journalismus:

Der Neuigkeitswert noch der sauberst recherchierten Meldung, nach der ein österreichisches, ungarisches, u.s.-amisches Regierungsmitglied wieder irgendetwas atemberaubend Dummdreistes und/oder Bösartiges getan, veranlasst oder in die Propagandamedien hinein-diktiert hat … oder der zufolge es eine weitere offensichtliche Connäkschn zu rechtsradikalen Abenteurern und den von ihnen herbei-ruinierten Krisenherden im Umkreis gibt … oder wonach irgend jemand aus der bekannten Clique mit den Pfoten in einer der verbliebenen Steuergeld-Keksdosen erwischt wurde … er bleibt zwischen Washington, Wien und Wladiwostok äquivalent zu der Schlagzeile: “Bär scheißt im Wald”: Was sollen sie sonst machen, da sie sonst nix können, die Herren Hierarchietrotteln?)

Alles, was es über die derzeitige politische Lage in der “entwickelten Welt” zu sagen gibt, wurde in den letzten zwei Generationen Faschismusforschung und Kritischer Theorie bereits aberhundertfach gesagt, sowohl, was die psychische Verfasstheit der Akteure und die sozioökonomischen Ursachen ihres Treibens “gerade jetzt” betrifft, als auch in Hinblick darauf, womit hierzulande auf Sicht noch zu rechnen ist:

Aus Arriviertheit scheuebeklappt, oder sträflich naiv,oder schlicht blöd muss sein, wer das Aufploppen von “heimattreuen” Schlägertrupps nach Art der Hahnenschwanzler unseligen Andenkens oder der Nachtwölfein Österreich noch immer für unmöglich hält und weiterhin nicht fürchtet. Der derzeitige Vizekanzler der Republik hat nicht umsonst einen Teil seiner primären Sozialisation bei Wehrsportübungen erfahren; Männerbünde, “Kameradschaften” und Bikerclubs,die sich der männlichen Selbsterfahrung beim Einschüchtern politischer Gegner und Drangsalieren von Sündenböcken für die jeweilige Hysteriedujourhingeben,sie werden – sollten sie entstehen – nach anfänglichen Widerständen damit rechnen dürfen, polizeilich halbwegs unbehelligt zu bleiben, solange sienicht “über die Stränge schlagen” (also der Handelsbilanz schaden).

Appelle an den guten Willen der “politisch Gemäßigten”, sich dem Dreck en masse entgegenzustellen, sind zum Scheitern verurteilt. Was diese Gemäßigten nämlich gemäßigt macht, ist ja der Umstand, dass sie einerseits keine charakterliche Deformierung aufweisen, aufgrund derer sie das Drama der eigenen Unzulänglichkeit in den Augen des Übervaters wieder und wieder ausagieren müssten, und andererseits keine individuellen wirtschaftlichen Sorgen, die ihnen die Unterordnung unter solche Übervater-Obersöhne als plausible Karriereoption erscheinen lassen würden. Sie haben schlicht Besseres zu tun, als sich in jenen permanenten Ausnahmezustand einzuklinken, der für die Räuberbande, welche Kurz in die Regierung geholt hat, den einzigen Modus von Politik darstellt.

Es gibt von Theodor “Rückbezügliches Fürwort” Adorno in seinem Vortrag von 1967 …

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Mohn und Stroboskop

durch hohes gras, neben der spur, wo die kelchblätter des mohns schon am verblassen, kaum daß sie sich aufgefaltet, indes das licht ohne gnade hinfälliges richtet …

Solche Zeilen finden wir, unter der Überschrift „Neben der Spur“, im ersten der sieben Abschnitte dieses Gedichtbandes, und sie sind instruktiv: Prosagedichtform; eine Auftaktkette ohne Hauptsatz (dh: etwas verschwindet in einem Nichts); Naturmetaphern, und zwar so richtig fest konnotierte (dh: es gibt gleichwohl Kontinuitäten), deren genaue Darreichung zu kontemplieren wir eingeladen sind – was bei „Mohn“ und „Licht“ so aussieht: wenn die Blätter des Mohns „verblassen“, heißt das, die von ihnen signalisierte gnadenreiche Vergessenheit (wovon?) schwindet, und wir erinnern uns wieder (woran?), bei Tageslicht sozusagen, oder heißt das, irgendwas ist völlig gegessen und fertigverdaut von der Welt? Ersteres, dürfen wir vermuten. „I can’t forget, but I don’t remember what„, sang Leonard Cohen, und wir, zusammen mit Jayne-Ann Igels Textsubjekt in ihrem Band „die stadt hielt ihre flüsse im verborgenen“, wir erinnern uns also unserer Vergänglichkeit.

Die drei erwähnten Elemente – Prosagedichtform, traditionalistische Metaphernreservoirs, das Thema der Sterblichkeit – schrecken (mich) in dieser Kombination zunächst ab, gerade auch, da es sich um sehr konkrete Sterblichkeit handelt, von der (mir) nicht klar ist, warum sie uns Leser etwas angehen soll (und das ist dann der Nachteil einer solchen Schreibweise, die sich gegenüber ihrem Thema skrupulös zurücknimmt, nichtwahr? Wenn den Leser das Thema nicht zufällig von Anfang an interessiert, dann findet er zumindest auf der sprachlichen Ebene keine unmittelbaren Zusatz-Anreize, und zwar gerade, wo die Form gelungen und gut durchdacht ist). Igels Textsubjekt, darum geht es im Wesentlichen, erinnert sich des toten Vaters und besonders seines Sterbens, erinnert sich des eigenen Einst-und-Jetzt, da es (da sie) durchs Ostdeutsche reist, zur Mutter, die

nur noch über ein zimmer im heim verfügt, mit ein paar eigenen möbeln und dingen,

(wie das in dem Gedicht „Ohne geltung“ formuliert ist, in dem es um das wiederholte Aussortieren von Erinnerungsstücken, Hausrat, Büchern geht).

Wie gesagt: Geschmacksfrage, ob uns die individuelle Würde des individuell verstrickten Verlöschens dieser bestimmten Person/en so weit interessiert, dass wir uns auf einen ganzen Gedichtband einlassen, der sie, mit wie großer Genauigkeit, Einfühlsamkeit, Mittelbeherrschung immer, umkreist.

Ganz ohne Rückgriff auf zufällig-individuellen Geschmack können wir dagegen die Beobachtung machen, dass es Igel gelingt, …

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„Impeach Lyrik now!“

Kurzfassung: Es handelt sich um lustige Landschaftsgedichte, sehr sehr punk, sehr sehr meta, manche bestehend „bloß“ aus gedruckten Buchstaben, manche aus collagierten Schnipseln (der Klappentext dazu: „(…) z. B. zufällige Vorkommnisse von Distichen innerhalb der letzten Ausgabe der Financial Times Deutschland (…)“), manche aus Lego-, Barbie-, Playmobil-Figuren, angeordnet und abfotografiert im Grünen. Der Band bietet gebildeten Humor bzw. Gebildeten-Humor, ohne aber bildungsbesoffen zu sein, d.h.: Was daran lustig ist, das erschließt sich uns auch, wenn wir nicht jeden, oder auch nur jeden zweiten, LitWiss-Fachschaftswitz als solchen erkennen, und der Bonus-Track bleibt also erfreulicherweise ein solcher. Das Zitat1 auf dem Backcover verheißt:

„Es ist ein großer Abgesang auf das schöne Buch alten Zuschnitts, kein Gedichtband, sondern eher ein Gedankenbuch, harte Rhapsodie.“

Konstantin Ames scheint jedenfalls getreu der Maxime zu handeln, jede Permutation seines Materials durchzuführen, die sich „im Vorbeigehen“ noch mitnehmen lässt – Servierbeispiel:

Man fängt so  an/ders.

–  ohne dabei übertriebene Rücksicht auf konzentrierte Materialorganisation o.ä. zu nehmen. Das ist auch gut so, denn der „ernste Kern“ des Buchs – die faktische Kleinheit, Lächerlichkeit, Partikularität der europäischen (Stadt-) Landschaften angesichts jener „großen Ideengebäude“, mit denen sie von allerhand Ideolog(i)en in Eins gesetzt und zu Erinnerungslandschaften ausstaffiert werden (sollen) – wäre lyrisch wie humoristisch eher unergiebig. Das Spielerische erweist sich dagegen als die wahre Ideologiekritik – und ist von Ames durchaus absichtlich in diese Funktion gesetzt, wie an mehreren Stellen ausgestellt wird. Das geht von

Jedem Direktor sein eigenes
Gleiwitz. RTEs Gleiwitz
heißt Rotterdam. RTE ist
natürlich keine Abkürzung für
Ratte und reimt sich so ziemlich
auf RT, es fehlt nicht mehr viel.

            (Gefahr eines Augenreims<< 13.03.2017)

bis zu jener Assemblage, wo das Foto mit mit den Ortsschildern „Repente“ und „Heimland“ so überschreiben ist –

Factus est es gibt kein Bild dazu, doch Freundlichkeit,
Lump.

und folgendermaßen unterschrieben:

Klumpenweise. Blond ist die Schneise
            deiner braunen Freundin Lyrik.

… Das Ganze gipfelt schließlich in der der sechs Seiten langen (na sagen wir dazu:) Ballade „Man wird nur Ärger kriegen oder zu nah am Feld des Schweigens ernten“, die den Besuch …

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vademekum zu apesh*t

Das Hiphop-Gesamtkunstwerk, als welches wir die öffentlich ausgetragene Beziehungs- und Identitätskrise der Eheleute Carter bestaunen dürfen, hat nach Beyoncés “Lemonade” und Jay-Zs “4:44” ein drittes Kapitel: “Everything is Love“. Liegt eine damit abgeschlossene Trilogie vor? … Auf sehr altdeutsche Weise scheint sogar der Hegel’sche Dreischritt draufzupassen – von den “privaten” Emotionen der Alten (These) über die öffentliche Existenz ihres Hawis (Antithese) zur äh öffentlichen Zweisamkeit (Synthese).

Bereits für die beiden Soloalben galt, dass das Aushandeln privater-körperlicher-emotionaler Sachverhalte über die Bande von Einträgen in den Diskurs afroamerikanischer Identitätspolitik/en gespielt wurde – oder man liest’s umgekehrt, und das körperliche/emotionale Zeug ist nur als Begründungszusammenhang für pop-politisch/diskursiv intendierte Hervorbringungen da … Jedenfalls ist, was wir da haben, IdPol.

Jetzt kann man ja die konsequente IdPol-Haltung, wie sie vor allem in 4:44, und da wiederum vor allem in der Story of O. J. zu Tage tritt, fehlgeleitet finden: insofern sie sich zusammenfassen lässt als die Hoffnung, es ließe sich der blanke Kapitalismus gegen den gesellschaftlich verankerten Rassismus ausspielen; es könnte “Erfolg” zuerst individuell errungen und erst dann per auch ethnisch vermittelter Solidarität weitergegeben werden; es wäre, in letzter Konsequenz, an der real-oarschigen Klassenherrschaft hauptsächlich zu kritisieren, dass in den Aufsichtsräten und schicken Speckgürtelsiedlungen nicht eine genau paritätisch aufzuschlüsselnde Anzahl von Vertretern der verschiedenen ethnischen und religiösen Herkünfte bzw. der diversen Gender-Identities sitzen; als würden solche Ansätze nicht alles das, was sie loszuwerden antreten, erst recht zementieren, und zugleich noch die wahre Ungleichheit, den wahren Missbrauch im Kapitalismus als Naturgesetz verewigen …

Das kann man wie gesagt so sehen und auf Jay-Zs oben verlinkten, hervorragenden Track über O. J. einwenden. Man kann’s sogar noch viel weiter auseinanderklamüsern. Aber so hinterfragbar jede Theorie ist, so unhintergehbar als ästhetisches Dings eigenen Rechts zu behandeln ist die je ihr zugehörige Kunst. Die Katholiken beispielsweise können mit Fug und Recht sagen: “Wir haben keine Argumente mehr, aber kuckt mal: die Sixtinische Kapelle!” Ganz ähnlich verhält es sich nun mit der beschriebenen schwarzen/u.s.-liberalen/kapitalistischen IdPol einerseits und andererseits diesem Video, das als erster Auszug von “Everything is Love” auf Youtube erschienen ist – “APES**T“. Mit ihm ist nicht zu argumentieren. Es ist in seiner Spannweite, seiner Klugheit und seiner Wucht bloß pflichtschuldigst zur Kenntnis zu nehmen. Und das bedeutet auch: es sind die gezielt gesetzten kunsthistorischen Verweise des Videos mitzudenken.

(Ich warte hier, bis Sie, geneigteR LeserIn, das Video auch tatsächlich gesehen haben … fertig? – Gut:)

Wo sind wir? – (Zwischendrin …

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das gleichnis mit dem holzscheit. teil 2

was bisher geschah: in einem white cube mit „einer vielzahl österreichischer intellektueller“ darin erscheint als mene tekel, flammenschrift, ein textauszug aus dem neuen album des schlagersängers a. gabalier, in dem dieser die freuden der heimatlichkeit auf das denkbar stumpfsinnigste besingt, und zwar so, dass es von „ideologiekritischer“ parodie nicht mehr unterscheidbar ist. wir malen uns aus, wie die versammelten homini litterae reagieren – verfallen sie in panik und prügeln sich? kooperieren sie? vor allem aber: was ist das für ein erbärmlicher schaas, den sie da lesen müssen, wo kommt er her und was sagt er ihnen?

bevor die meisten österreichischen intellektuellen in jenem weißen weiten raume noch wirklich reagieren können auf die geisterhafte schrift vor ihnen an der wand – ja bevor sie’s fertiggelesen haben, das gedicht, das ihnen mit dem schlag der kuckucksuhr erschienen – passiert, mit den worten von wolf haas (ebenfalls im raume anwesend), schon wieder was:

irgendwo dröhnen motoren, nichtwahr, und ein jeder (…)

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das gleichnis mit dem holzscheit. teil 1

es hängt eine vielzahl österreichischer intellektueller in einem leeren weissen raum herum. man nimmt abwechselnd die rodin’sche denkerpose am jeweiligen kaffeetischchen oder den klassischen kontrapost ein; zweiterer bringt mit sich, dass die kolleg*innen mit ausdrucksvollen augen in eine ferne schauen, die sie wohl hinter (oder schlimmstenfalls in) jener weißen wand vermuten.

aus einem nebenraum ist leise, aber mit bestimmtheit eine kuckucksuhr zu hören. sie schlägt uns die stunde.

robert menasse runzelt die stirn. stefanie sargnagel hat vom herumsitzen einen krampf und schüttelt ihren linken unterschenkel aus. hans rauschers blick bringt zum ausdruck, dass er nicht weiß, wie er hier herein geraten ist. er hört auf, zu posieren, und macht sich auf die suche nach dem ausgang. zu diesem behuf quatscht einige kolleg*innen an, aber sie ignorieren ihn. jemand lässt, ganz anderswo im raum, einen hohen, langgezogenen pfurz. niemand in jener ecke bewegt sich auch nur einen millimeter. ronald pohl und michael scharang beäugen sich mißtrauisch.

hans rauscher hastet nun immer schneller hin und her. dabei stößt er in seiner hektik petra ganglbauer um, die auch bloß leise flucht. es scheint keinen ausgang zu geben. die wände sind glatt und weiß. die bodenkante entlang ziehen sich gute dichtungen. hahi haha.

hans rauscher sieht die vergeblichkeit seines treibens ein und belästigt niemanden mehr.

die meisten österreichischen intellektuellen verhalten sich still. was sollen sie auch tun. schön schaun sie aus. melodisch wabert, wie das meer, ihr atem.

mit dem letzten schlag der kuckucksuhr erscheint nun an der weißen wand eine flammenschrift:

groß ist nun das heulen und zähnefletschen. was wird weiter geschehen?

wird man (…)

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Bild: Facebook-Screenshot nach einem Artikel in der Printausgabe des Standard, hier -> auf derstandard.at nachzulesen, Text: Andreas Gabalier.

zu monika rinck, kritik der motorkraft

Ein Wort zur Aufmachung: Die (bisschen mehr als) achtzig Seiten dieses Buchs sehen ja, wie von Brueterich-Buechern auch sonst gewohnt, einnehmend gut aus. Aber sie sind leider wirklich gerade ein bisschen gar zu eng mit Blocksatzprosa bedruckt, um noch ohne Abstriche konsumierbar zu sein – Brueterich ist nicht Reclam, Zeilenabstände haben nichts an sich Verwerfliches, und der Mehraufwand an Papier, der mit ihnen einherginge, wird sicher nicht soo ins Gewicht fallen …

Nicht weniger dicht (aber in diesem anderen Zusammenhang erfreulich) ist der Inhalt dieser „Auto-Moto-Fiction in 13 Episoden“. Monika Rinck bürdet dem Fluss ihrer Prosa viel auf, sehr viel. Auch wenn es genug eindeutige Marker dafür gibt, dass wir es nicht mit einem planvoll sinnentleerten Rohrschachtest für die bereitwilligst interpretierenden unter den Lesern zu tun haben – Mitarbeit fordert uns das Ganze trotzdem ab. Es gibt …

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zu hendrik jackson, „panikraum“

Dieser Gedichtband umfasst, nebst „Interludien“, drei lange Arbeiten, bei denen man nicht recht weiß, ob man von „Langgedichten“ sprechen soll, von „Kapiteln“ oder „Gesängen“ … Gemeinsam ist ihnen jedenfalls, dass sie die Diskurs- und Realgeschichte(n) ihrer Gegenstände übereinanderlegen, also: auch außersprachliche Gegenstände haben.

„Russland-Transit“, der erste dieser Abschnitte, umfasst Reisegedichte aus russischen Städten; einige mit Anmerkungen, die das Zustandekommen der verarbeiteten Privatdiskurse zum Gegenstand haben; und irgendwoher anders, wer weiß woher, kenne ich zumindest dieses eine Tagebau-Gedicht noch, „Tscheljabinsk“, samt seinem bei Ernst Jünger (!) entlehnten Motto –

Das nächste Jahrhundert gehört den Titanen; die Götter verlieren weiter an Ansehen. (…)

– und erinnere mich noch gut an meine Überraschung beim …

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zu elke heinemann, „fehlversuche“

Im nun rasch anschwellenden Erzählfluss hat das Kind bereits sechs Jahre seines Lebens überlebt.

Dürfen wir uns, wenn wir solche Sätze lesen, schon an die österreichischen Siebziger Jahre erinnert fühlen? Also: Insofern wir es hier mit Sprache zu tun haben, deren stil- und strukturbildendes Lieblingsprinzip der Kippeffekt zwischen Inhalt und Selbstbezug ist, z. B. zur Vermittlung zwischen einer Innen- und einer Außenwahrnehmung? Das heißt: mit Sprache, der unter der Hand dasjenige, was in einem ersten Satz als poietisches-metaphorisches Annähern durchgeht, zum trocken beschreibbaren Gehalt im Folgesatz gerät … Texte mit solchen Verfahrensweisen umfassen dann naturgemäß einerseits jemandes Alltagsrede, andererseits die (Zweck-)Entfremdung derselben. Das vermutete man, siehe oben, in den Siebzigern, mal als das spezifisch Österreichische in der damaligen deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. In jenem Kontext verdankte sich diese Art der Sprachreflexivität eher einer Nähe von Literatur und, sagen wir, Kabarett (dh: Unterhaltungsbühne), aber: …

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die dritte halluzination / zur lage der nation: gartengnome, powerpoint und facebook

Zwei sorgfältig animierte Gartengnome mit detailgetreu im sanften Wind wippenden Wichtelmützen betreten den Parkplatz vor dem Vorgarten vor dem Mehrparteienhaus. Aus den zahlreichen Rosen- und Hortensienbüschen am Zaun dringt vielstimmig, gerendert als ein Summen von Insekten und ein Tirilieren von Vögelchen zugleich, das Eurovisions-Thema (“Dà-dáaa dáda dáaa-dàaa dáaa-dàaa / dáaa dádà dàdádá dàdàdádádà …”) und verstummt erst, da die beiden Gnome das Setup ihrer nun anstehenden Powerpoint[TM]-Präsentation abgeschlossen haben.

Es haben sich etliche größere Käferchen versammelt, um sich den Vortrag anzusehen, außerdem ein paar leicht zernepften Elfchen aus dem nahen Wäldchen, weiters zwei von den Kinderchen da aus dem Hause nebst Schoßhündchen, Kätzchen, Püppchen (das letztere in einem Leiterwägelchen, welches die Kinder nur mitgebracht haben, damit es die älteren Leser*innen umso unwiderstehlicher an ihre alten Kinderbilderbüchlein erinnere).

Effekthaschend schnepft einer der beiden Gnome mit einem Zeigestab auf die Leinwand, als dort die erste Powerpoint[TM]-Slide erscheint. Mit jeder neuen Slide klescht der Zeigestab des Gnoms erneut auf die Leinwand, sein Mützchen wippt dazu, und die Vögelchen in den Hortensienbüschen machen Soundeffekte. Ansonsten herrscht Stille überm Parkplatz. Angestrengtes Mitlesen setzt ein:

Überschrift: Warum Facebook oarsch für das gedeihliche Zusammenleben ist. Ein Beispiel.

Wir sehen einen Facebook-Thread, der mit dem Screenshot aus einer anderweitigen Unterhaltung beginnt, genauer: mit einem Zitat der Geschäftsführerin einer Bezirksorganisation der Jungen Volkspartei. Dieses Zitat (…)

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sexy containerschiffe

Der Verfasser dieses Gedichtbands, Sjón, ist mit Romanen und Gedichten in ungefähr eh alle Sprachen übersetzt, ist isländischer PEN-Präsident und war  Oscar(!) nominiert als Liedtexter für Björk. Ihre Sorgfalt im Umgang mit seiner poetischen Sprache bezeugen die beiden Übersetzerinnen Tina Flecken & Betty Wahl, indem sie ihre beiden abweichenden Übersetzungen eines überschaubaren poetologischen Dreizeilers nebeneinander stellen und uns so ihre unterschiedlichen „Ohren“ oder „Zungenschläge“ unaufdringlich zur Kenntnis bringen. Trotzdem liegt zwischen uns und Sjóns „bewegliche berge“ ein Hindernis:

Es ist nämlich – zunächst mal unabhängig davon, was sich im Fortgang der abgedruckten Texte  daraus entwickelt – nicht von der Hand zu weisen, dass viele Texte des Bandes mit der absichtsvollen Setzung eines ungebrochen „naiven“, oder sagen wir eines als „organisch“ gedachten Verhältnisses …

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zu: tau #1

Erstmal: Offenlegen, dass Fixpoetry zu dieser neuen Literaturzeitschrift, tau, deren erste Nummer eben erschien ist, ein doppeltes Naheverhältnis hat, nämlich zum einen  über die Person Jonis Hartmann, und zum anderen über die Verortung in Hamburg (wobei: eher unwahrscheinlich, ob letzteres mehr als ein bloß atmosphärisches Phänomen ist).

Dann: Fragen, was für Signale bzw. Impulse die Herausgeber*innen (laut Impressum verfasst als GbR) mit „tau“ setzen wollen. Es gibt „Tau von etwas haben“, und es gibt Tau als das morgendliche Kondensat auf Wiesen, das ohne Regen (dh. sichtbares Ereignis) den Wasserkreislauf aufrecht hält. Zögen wir das zusammen, hätten wir ca. „von selbst wirksame Ahnung“, oder „unscheinbare, aber wirkmächtige Kompetenz“. Das wird’s sein. Die 184 vortrefflich designeten Seiten (ermunternd leuchten die Zwischentitel!) versammeln hauptsächlich Autoren der nichtmehrganz-aberschonnocheher-jungen Generation, sagen wir mitte-ende Achtziger geboren, wobei: Es handelt sich eher um ein zufällig wirksames Netzwerk als um eine vorsätzliche Spielvorgabe, denn nicht nur gibt es Ausnahmen, die nicht weiter als solche auffallen, sondern gerade einer dieser Ausnahmen ist es, der wir eine etwas explizitere programmatische Ansage entnehmen. Denn zum Abschluss finden wir einen Text von Franz Jung (1888-1963) abgedruckt, der sowohl in der Art seiner Welthaltigkeit als auch in seiner Formbetontheit bruchlos ins Jahr 2018 passt, soweit das in „tau“ zu überblicken ist. „Nichts Neues unter der Sonne“ also, tau? Ist das so gemeint? Was wir nicht finden, ist …

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zu: eribon, gesellschaft als urteil

Zuerst erscheint uns, wir hätten es mit einer losen Sammlung an anekdotischen Fußnoten und Nachträgen zu Entstehung und Edition des soziologischen Bestsellers „Rückkehr nach Reims“ zu tun, der (zumindest im deutschen Sprachraum) Didier Eribons Ruf bei einem breiteren Publikum begründet hat. Nicht abwegig erscheint es, bei der Lektüre des ersten der drei Abschnitte in dem Vorliegenden die präliminarische Materialiensammlung zu einer Selbstbefragung zu sehen, betreffend die Bedingungen jener anderen, vorhergegangenen Selbstbefragung. Aber – wir sind auf dem Planeten französischer Theorieschreibe – an den Details der einzelnen Formulierungen der Selbstbefragung, und am anekdotisch „Dahinerzählten“ hängt voranschreitende Theorie, wie andersherum an der Theorie klarer erkennbar als im z.B. deutschsprachig üblichen akademischen Schreiben gesellschaftliche Parteinahme hängt. (Das hat dann mit dem Band selbst wenig zu tun, aber: Registrieren wir da so etwas wie die Effekte eines verhältnismäßig klaren, eines unproblematischen Begriffs vom gesellschaftlichen Ort der Diskurssphäre, davon, was vom Intellektuellen als Typus zu erwarten wäre und wie, im weitesten Sinne, Sprache und soziale Wirklichkeit aufeinander bezogen sein können?)

Nun gibt es von ausgerechnet literaturkritischer Seite in doppelter Hinsicht wenig zu „Gesellschaft als Urteil“ zu sagen: …

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hausacher stadtschreiber-tagebuch (9) – re: kein schwarzwaldgedicht

Ach du zauberische Starkstrominfrastruktur, unter den Frühlingswiesen trafowärts surrend, und ach du sehr geehrte gute Blumenduftluft! Es sagt zu mir die Nachbarin von gegenüber meiner Hausacher Gastwohnung, ich soll mich melden, wenn ich mal ein Schwarzwaldgedicht fertig habe. Ich aber habe so etwas nicht wie ein Schwarzwaldgedicht. Oder, mit den Worten des (auch) Portraitmalers Otto Dix, »schön werden’s bei mir nicht«, und deshalb lass ich’s dann meistens lieber bleiben, Landschaften-als-solche und die Leute in den solchen Landschaften zu besingen. Was können, beste Kabel, die schon dafür?

Sagen wir (summsummsumm) es kommen als Schwarzwald-Besingsang-Thema die Greifvögel in Frage …

zu: niederberger, „misteln“

Zunächst ein Wort zum Format: Das kleinformatige Büchlein hat ein sinnvoll austariertes Layout – drei Erzählungen finden auf minimalem Volumen Platz, ohne dass wir das Gefühl haben, ein kleinklein bedrucktes, leicht zerstörbares Reclamheft in der Hand zu halten. Man merkt den verlegerisch-designorientierten Ehrgeiz, sieht auf der Verlagshomepage nach und darf berichten, dass die edition mosaik zumindest zu beabsichtigen scheint, bei dieser Aufmachung zu bleiben (will sagen: es ist 2018 neben dem vorliegenden Band von Niederberger noch ein zweiter, von Franziska Füchsl, erschienen).

Zum Buch selbst: Es umfasst drei Erzählungen, von denen die erste mit zwei Dritteln des Umfang die mit Abstand längste ist. Der Titel, „Misteln“, verweist uns sogleich ins Reich der Pflanzenmetaphern, Abteilung Ethnopharmakologie – Gift und Medizin / germanischer Weltenbrand und Coca-Cola-Weihnachtsküsse / das Parasitäre und der Zier-Zuchterfolg / … – uns werden also Stories …

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gesprächsverlauf, betreffend 1 dissens, betreffend 1 weiße fahne

erstens: frage: worum geht es? antwort: um das da auf dem bild:

zweitens: 20. 04., stefan schmitzer: weiße fahne, schwarzes herz, zensur

drittens: 23. 04., barbara steiner: Diskurs? Diskurs! Zur„Weißen Fahne“ von TEER

viertens: hier/jetzt:

Sehr geehrte Barbara Steiner!

Vorweg: Danke für Ihre Antwort auf die von mir vorgebrachte Kritik; es macht einen großen Unterschied, ob ich in den zufälligen Hallraum einer abstrakten Leser*innenschaft hinein über eine Arbeit spreche, oder ob es sich um ein Gespräch mit einer konkreten anderen Person handelt.

Dann: Bevor es hier um die „Weißen Fahne“ selber gehen kann, komme ich nicht umhin, über das Reden über das Reden zu reden1, dh. auf die Postskripten Ihrer Antwort mich einzugen. In Postskriptum 2 schreiben Sie zum Einen:

Warum nimmt der Autor vorauseilend an, dass wir als Kunsthaus an „ernstlichen Gesprächen“ nicht interessiert seien? Das Gegenteil ist der Fall.

Nun nimmt der Autor das nicht an und schreibt das auch nirgends. Worauf jene Textstelle sich – wie ich gehofft hatte, deutlich und ausschließlich genug – bezieht, ist der bekannte Typus von Gesprächsverläufen auf z. B. Facebook, der sich oft genug entfaltet: Jemand erfrecht sich, die Richtigkeit oder Angebrachtheit irgendeiner Äußerung in Frage zu stellen, und die Antwort ist eine Abdichtung jener Äußerung gegen die Kritik, indem diese Kritik als „Intoleranz“ bzw. „Zensur“ identifiziert wird. Es finden sich mehrere gute Beispiele dafür auch unter dem Link zur „Weißen Fahne“ auf der Facebookseite des Kunsthauses (was freilich nicht den Kurator*innen anzulasten ist; sagt auch niemand).

Im Postskriptum 1 hinwiederum fragen Sie, ob es nicht

ziemlich diskreditierend [sei] Künstlern (TEER), die sich engagiert und auch kritisch mit gesellschaftlichen Fragen (ob Teilhabe von Menschen mit Einschränkungen am öffentlichen und kulturellem Leben oder das Erbe des Nationalsozialismus) befasst haben und befassen (wie Wolfgang Temmel) so salopp, quasi im Darüber huschen, „Trickreichtum“ zu unterstellen?

… und das, ‚tschulligen, geht davon aus, es wäre „Trickreichtum“ schlecht und nicht gut, das Wort selbst sei schon Polemik, und – was mir am Wenigsten einleuchtet – es gäbe einen Gegensatz zwischen gesellschaftlichem Engagement und der „trickreichen“ Beherrschung künstlerischer Stilmittel. Wenn die Rezension über einen meiner eigenen Gedichtbände so beginnen würde wie mein Text über die „Weiße Fahne“ –

Trickreich trickreich, bzw. “g’lernt is’ g’lernt”, wie durch so einfache Mittel […] dieses Überangebot an Interpretationsoptionen (…)

– dann wüsste ich zwar, gleich kommt das „aaaber“ des Kritikers, doch immerhin seinen ersten Satz kann ich auf der Habenseite verbuchen … Nicht nur habe ich nichts gegen Wolfgang Temmel oder TEER – wie käme ich auch dazu? – ich maße mich auch nicht an, ernstlich etwas über die ursprüngliche Arbeit von 1987 zu schreiben.

Da alles dieses abgehakt ist – zur Sache selbst: Weiße Fahne 2018.

Ich schrieb, ich fände ein Hakenkreuz im öffentlichen Raum, kontextunabhängig, auch als Swastika gedreht, unerträglich; und wies darauf hin, dass das Spiel mit Ambivalenzen und unscharfen Bedeutungen 2018 – anders als 1987 – nicht mehr bloß eine legitime ästhetische Strategie ist, sondern auch als ein Machtmittel von ungeniert öffentlich präsenten Rechtsradikalen funktioniert; ich biete als ein Beispiel dieser Ambivalenzen das Wort „Ethnopluralismus“ aus dem Vokabular der Identitären an, aber es gäbe da noch so viel mehr. Sie antworten u.a.:

Die von TEER verwendeten Symbole (Kreuz, Pentagramm, Hexagramm, Hammer und Sichel, Swastika) sind nicht austauschbar, und schon gar nicht unschuldig, dazu haben sich bestimmte Bedeutungen viel zu sehr ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Jedes Symbol ist auf seine Weise kontaminiert, bei jedem haben sich im Laufe der Zeit bestimmte Bedeutungen (Hakenkreuz überlagert Swastika) in den Vordergrund geschoben und andere überschrieben. Dies hängt aber wesentlich davon ab wer mit welchem persönlichen und kollektiven Hintergrund wie darauf schaut.

Ich stimme Ihnen vorsichtig zu, gebe aber zu bedenken, dass in jenen letzten zwei Sätzen ein ganzer Berg an geschichtsphilosophischen Unwägbarkeiten eingefaltet ist; unter ihnen besonders wichtig die Frage, ob manche dieser Bedeutungen und persönlichen Hintergründe objektiv besser als andere dazu geeignet wären, gesellschaftliche Desiderata zu formulieren – oder ob das eben nicht so ist.

Klarer wird der Unterschied in unseren Auffassungen von Kunst in der Welt bzw. Welt in der Kunst, und damit auch von den je anzuwendenden Maßstäben, an anderer Stelle:

Den Vorwurf wir möchten den „Schrecken ‚fester Standpunkte und Ideologien’ hinter uns lassen, kann ich nicht entkräften. Natürlich kann ich jetzt nur für mich sprechen. Feste Standpunkte und Ideologien haben genau zu jenen Desastern geführt, die mit den hier gezeigten Symbolen verbunden sind: zu Kreuzzügen, Arbeits- und Vernichtungslagern, kriegerischen Konflikten, Menschenverachtung, Zerstörung und Tod. Eine ethische Haltung haben, sich verantwortungsvoll gegenüber Mitmenschen zu verhalten, sich sozial engagieren, ja unbedingt, aber wenn fester Standpunkt bedeutet buchstäblich unbeweglich zu werden, Annahmen über andere zu treffen, sich diesen „anderen“ nicht aussetzen zu wollen, Behauptungen in die Welt zu posaunen, Wertschätzung und Höflichkeit vermissen lassen – dann nein. Das erzeugt Verhärtungen und Frontbildungen, und das erscheint mir keine gesellschaftliche Perspektive zu sein.

Mir scheint, wir fürchten beide ein derzeit akut drohendes Abbrechen der Gespräche – den Niedergang der öffentlichen Sphäre. Ihnen, wenn ich richtig lese, erscheint dabei die Gefahr der unvermittelten Konfrontation bedrohlicher; mir dagegen die Gefahr, dass reale, materielle Frontbildungen sich verschlimmern, wenn sie unerkannt-unausgesprochen-unaussprechlich bleiben.

Und auf der Grundlage dieser Standortbestimmungen (oder halt anderer Standortbestimmungen, falls meine falsch sind) ließe sich dann im Einzelnen über die künstlerisch-ästhetische Dimension der „Weißen Fahne“ und ihre politischen Implikationen reden – also: Reden, nicht schreiben – und unser Dissens da sich immer genauer beschreiben. Bis er ggf. produktiv wird, der Dissens.


1 Ist das schon ein Sachzwang unserer Internet-Textkultur, deren Goldgrund unter den Diskursen vielleicht nicht den wichtigsten Unterschied zum ’87er-Kontext um TEERS „Weißen Fahne“ darstellt, aber doch mindestens einen deutlich sichtbaren? – dass jeder Text immer gleich mehrererlei Sets Metadata mitliefert, als sei er ein MP3-Track; und man diese besser gleich absortiert, bevor es mit ihnen verwirrend wird …

zu: horen #269, „die entführung aus dem serail“

Methodisch breitet das Vorwort des Mitherausgebers Bogdan-Alexandru Stănescu aus, was die zweihundertneunundsechzigste Ausgabe der horen leisten will. Was wir bekommen, soll ein Überblick über neueste rumänische Erzählprosa sein, und zwar genauer: Über solche rumänische Erzählprosa, die aus dem Kraftfeld der seit 2004 stil- bzw. zumindest identitätsstiftenden Edition „Ego. Proza“ stammt, und damit jedenfalls aus den beiden distinkten Netzwerke zeitgenössischer rumänischer Literatur (eins verortet in der Stadt Jassy, das andere an der Uni Bukarest); nur vollständige Erzählungen, keine Auszüge aus Romanen; weiters

auf Ersuchen der deutschen Verleger [vor allem] (…) Geschichten, (…) die ein nach Möglichkeit realistisches Bild der gegenwärtigen rumänischen Gesellschaft zeichnen, die seit drei Jahrzehnten in ständiger und stetig bestürzender Umwälzung begriffen ist.

Nun wäre über die Sinnhaftigkeit und über die Implikationen dieses Ersuchens gesondert zu diskutieren. Erstens: Sind Textbeiträge in Literaturzeitschriften der beste Platz, außerliterarische Wirklichkeiten bekannt zu machen? Zweitens: Ist der Entsprechung manifester Erzählinhalte mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu trauen? Und drittens: …

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weiße fahne, schwarzes herz, „zensur“

Diese Installation der “Weißen Fahne” von Wolgang Temmel und Fredo Ertl vor dem Kunsthaus … Trickreich trickreich, bzw. “g’lernt is’ g’lernt”, wie durch so einfache Mittel – vermittels einer weißen Fahne, eines (vermutlich) Videobeamers und fünfer einfacher Symbole – dieses Überangebot an Interpretationsoptionen vor und neben das Kunsthaus platziert wird …

Nämlich erstens: Eine weiße Fahne, für sich genommen also ein noch unbearbeitetes Stück Stoff, das tausende Möglichkeiten bietet, aber im kulturell lesbaren Kontext selbst bereits Symbol, nämlich Symbol der Kapitulation (ohoho) vor was auch immer …

Zweitens: Die Symbole, Pentagramm – Halbmond – Davidsstern – Swastika – Hammerundsichel – Kreuz, wie sie, laut dem Erläuterungstext auf der Kunsthaus-Homepage, “Macht” repräsentieren; und ach sieh mal, wenn wir sie auf die Fahne projezieren, dh. in gerade diesen vorgegebenen Kontext setzen, erscheinen sie plötzlich austauschbar, und Macht-selbst, Formgebung-selbst, Grenzziehung-selbst ist, was (einen unschuldig-amorphen Urzustand be-) siegt …

Dann drittens: Dass das, was von der gegenständlichen Fahne tatsächlich unschuldig-weiß bleibt, grade die Form der Machtsymbole ist, und das Drumherum dagegen sich verdunkelt, sich also auch noch die ambivalente Leseoption auftut, es wäre in Wahrheit die jeweilige Machtvariante, Machtausübungsvariante, indentifizierte Gruppe, die kapituliert … Es kapitulierten mithin alle, alle Menschen, weil “wir alle” als Machtsymbolbesitzer irgendeiner Art uns sehen, irgendwelchen Gruppen angehörten usw. …

Viertens hinwiederum: Dass dieser ganze bis hierher geschilderte Interpretationssalat eine historische Dimension hat; dass die Arbeit 1973 schon einmal, und in ein ganz anderes Graz gestellt worden war damals. Wir fragen uns dementsprechend, ob uns die Kurator*innen des Kunsthauses damit wohl sagen wollen, es sei diese ganze triumphale “Weiße Fahne” der Unbestimmtheit und Ideologieskepsis inzwischen – 2018 – wiederum als historische zu einem Machtsymbol auf dem amorphen Untergrund des Stadtraums-im-Wandel geworden … Bzw. es habe irgendeine andere Sorte Sieg/Niederlage/Formbestimmung stattgefunden an der Ecke, wo wir die Fahne stehen sehen … oder sind das schon Überreizungssymptome auf unseren Kunstschnöselgehirn-Temporallappen?

Wie gesagt: G’lernt is’ g’lernt. Die “weiße Fahne” ist als Kunstwerk und Gegenstand kuratorischen Zugriffs durchaus nicht uninteressant; erzielt viel Bedeutung mit wenig Aufwand. Gleichzeitig ist sie unerträglich, genauer: ist es unerträglich, wenn …

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hausacher stadtschreiber-tagebuch (7) – re: thomas bernhard

Das werden Sie nicht wissen, verehrter Eichenbaum ganz oben auf dem Burgberg (… der heißt doch Burgberg, oder; also: hinten rauf das Gipfelchen?); das wird auch Sie, oh Relieffigur auf jener alten Quelleneinfassung, wo ich mich jüngstens wiederfand, kaum interessieren, aber: stellen Sie sich einmal vor:

Es war einmal ein österreichischer Schriftsteller, der hieß Thomas Bernhard. Thomas Bernhard war zwar ungesund fasziniert von jenen Restchen adeliger Lebenskultur in Österreich, denen weder die erste Republik, noch die Hitlerei, noch auch das Habsburgergesetz der zweiten Republik den Garaus hatten machen können (Kurzfassung: »Auf dem Papier« gibt’s zwischen Neusiedler- und Bodensee keine Adeligen mehr.

Du kannst Dich »Graf« oder »Freifrau« oder so nennen ODER Du kannst Österreicher sein, nicht beides; aber nicht alle Schlösser und nicht alle angestammten »Verhältnisse« wurden restlos genug entsorgt; auch gibt es Kreise, die das Verbot schlicht ignorieren – das sind dann freilich anders Gestörte als Ihre-hier p. t. bundesdeutschen Blaublüter, aber von dieser Schrulle abgesehen war der Thomas Bernhard eine stabil erfreuliche Figur, verlässlich gegen das Schlechte und für das Gute (das heißt in Österreich: Eh gemütlich gegen alles).

Für zwei Eigenheiten waren seine Bücher besonders bekannt: Erstens die besonders langen, absichtlich komplizierten Sätze, und zweitens die besonders wiederholten, absichtlich abstrusen Übertreibungen. Seine Bücher waren meistens tendenziell lustig gemeint und wurden stets verlässlich als feierlich-dramatisch-ernsthaft missverstanden. (Auch, weil sein Sinn für Humor äh . . . wenig mehrheitsfähig war – und Bernhard hat’s den Leuten natürlich nicht ausgeredet, seine Bücher ernst zu finden . . . war ja sein Geld.)

Anyway. Es schrieb der Bernhard mehrere Theaterstücke. Eins davon hieß »Heldenplatz«. Darin ging es um alte und neue Nazis in Österreich; um die Begeisterung »der Leute« auf dem, wenig überraschend, Heldenplatz in Wien, anlässlich des Anschlusses ‹38; darum, wie der Unfug in Familienstrukturen fortlebt. Es wurde damals, bei der Uraufführung im Burgtheater, protestiert; gegen die »Nestbeschmutzung« durch die »Elitenkultur«, die Herablassung »der Intellektuellen«, die glaubten, sie seien was Besseres, und für die offenbar ein jeder Patriot ein Nazi sei.

Beispielsweise standen auf dem Balkon und in den Logen damals junge Menschen mit lustigen Fantasieuniformen, die das Stück aus den genannten Gründen ausbuhten (und immerhin: sie ließen sich’s den Preis je einer Eintrittskarte kosten). Einer dieser damals jungen Menschen ist lustigerweise der jetzige Vizekanzler der Republik Österreich – wie das Schicksal so spielt, nichtwahr, Schwarzwald-Wald? –, der auf anderen privaten Fotos aus jener Lebensphase zu sehen ist bei paramiltärischen Übungen, pardon, falsch, das heisst ja jetzt »beim Paintballspielen«.

Übrigens: Eine der bekannteren der besagten Übertreibungen von Thomas Bernhard, du lieber Eichenwald ob der Hausacher Burg, stammt nicht aus »Heldenplatz«, sondern aus dem Dramolett »Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen«. Sie ermöglicht dort, als eine besonders erkennbar übertriebene Übertreibung und obendrein besonders lustig verkürzte Verkürzung, dass sich der »Nestbeschmutzer« Bernhard über seine eigene Rolle im zeitgenössischen Österreich von 1986 lustig machen konnte. Wir lassen, 2018, die übertriebene Übertreibung mal so stehen, du liebes Blätterwerk im Frühlingslicht, und kontemplieren die Veränderlichkeit der Verhältnisse, ja?

PEYMANN (tritt mit mir in die Zauberflöte ein, und wir setzen uns, nachdem er die Speisekarte gelesen und sich etwas ausgesucht und sich in der Zauberflöte umgesehen hat): Wer ist denn das?
ICH: Der Vizekanzler / ein Nazi (…)
PEYMANN: Und die dort?
ICH: Das sind lauter Nazis.
PEYMANN: Und die andern?
ICH: Das sind lauter Dummköpfe und Nazis.
PEYMANN: Und die Kellnerin?
ICH: Die ist katholisch und kennt alle und weiß von nichts.
PEYMANN: Na dann bestellen wir doch einfach Rindsuppe […]

zu poetin nr. 24

Stets wieder erfreulich an der Hauszeitschrift des poetenladens, „poetin“, ist ja die berechenbare, gleichbleibende Gliederung in Geschichten – Lyrik – Gedichte und Kommentare – Gespräche. Sie ist so berechenbar wie der Umstand, dass gerade dieser Rezensent (=ich) mit grade dieser Art von Prosa, wie grade dieser erste Teil sie jedes Mal beinhaltet, wenig anfangen kann. Da braucht (=sollte) in jenem Zusammenhange gar kein Generationen- oder selbst Geschmacksdissens ausgerufen werden – da geht es um ein instinktives Misstrauen gegenüber dem allzu Greifbaren, allzu optimiert Allgemeinverständlichen, dem vorbegrifflich organisierten Stoff; um Mißtrauen gegenüber der Übernahme – als „Psychologisieren“ – von Selbstverständlichkeiten aus den besseren US-Fernsehserien in die Prosa, selbst und gerade, wo diese Prosa intelligent, gut gemacht, formal oder inhaltlich komplex ist … was hier natürlich durch die Bank zutrifft. (Würde man freilich gleich so naheliegend wie taxfrei was von „Durchprofessionalisierung“ und „Schreibinstituten“ schimpfen, wenn einen dieses Misstrauen übermannt, fände man sich, sehr zurecht, zu den unsystematisch schimpfenden Senior-Muppets auf die Galerie gesetzt.) (Meine subjektiven) Lichtblicke diesmal: Lea Sauer – thematisch laaangweilig, aber formal und storymäßig zwingend – und das Autor*innenteam Astrid Dehe/Peter Engstler, deren Prosa sich als einzige hier zumindest nicht komplett bruchlos zu identifikatorischem Lesen eignet.

(…weiterlesen auf Fixpoetry.)

hasuacher stadtschreiber-tagebuch (6) – re: „zu attraktiv“

Ach Monsignore Tagpfauenauge! Ihro Unnahbarkeit, Infantin Zitronenfalter! Hochwohlgeschlüpfte Hummelkönigin nebst kommendem Hofstaat im Garten vor dem Molerhiisle! Es ist ja so, dass der Menschen Lebenszeit begrenzt ist, ganz wie die Eure, bloß so viel schlimmer, wie unser Bewusstseins von dieser Begrenztheit uns so giftig sticht, nicht wahr … und da ist es zum Beispiel mir, zum Beispiel hier, beinah unmöglich (weil nämlich, angesicht des unerbittlichen Tickens der Sekundenzeiger überall, unsagbar wurscht) – noch einmal die ganz genau korrekte Quelle für den jüngsten, oder auch den zweit-, oder den siebtjüngsten Unfug rauszusuchen, den die politische Kaste in Österreich gerade wieder mal verzapft oder gemacht hat.

Welches der genaue Kontext war, in dem Bundeskanzler Sebastian »Die Kindliche Kaiserin« Kurz höchst persönlich davon sprach, es wären unsere Sozialsysteme »viel zu attraktiv für Migranten« – was weiß ich jetzt noch. Meint er mit »uns« Österreich, meint er ganz Europa? Es ist mehr als zwei Tage her und gar zu doof. Man kanns googeln, meine lieben Schmetterlinge und Bienenartigen. Ich muß deshalb nicht. Ich muss mich bloß mit dem Gedanken anfreunden, dass das alles noch ziemlich ungemütlich wird … wobei: Meine ich Österreich? Meine ich Europa? …

Lassen wir uns das auf der Zunge, dem Schmetterlingsrüssel, dem Hummelmund zergehen: »Unser Sozialsystem ist zu attraktiv für Migranten.« Jetzt unabhängig von migrationspolitischen Maximen, unabhängig selbst von so semantischen Pingeligkeiten wie dem Rechtsstaat – wenn Kurz just mit diesen Worten ausdrückt, was er glaubt, dass es die Mehrheit denkt – merkt er nicht, was er da sagt?
nämlich: »Lieber pleite als gastfreundlich?« …

oder: »Lieber die Alpentäler voll verarmter Inzuchtopfer, die nie der ungeheuerlichen psychischen Belastung ausgesetzt waren, einen Kerl aus Nigeria aus der Nähe zu sehen, als dass am End’ einer, dessen Urgroßeltern nicht von hier sind, eine Impfung gratis kriegt!«

beziehungsweise.: »Schatz, lass uns die Kinder täglich grün und blau schlagen, dann kommen sie nicht auf die Idee, Schulfreunde nach Hause einzuladen, und wir haben eine Ruh’!«

oder: »Au ja, wennn ich mitten in mein Wohnzimmer scheiße, werden die letzten Gäste wohl endlich gehen!«

(oder er merkt’s; und eben drum sagt er’s? Aber wer wäre dann der Adressat? Was wäre der Gewinn?)

(Nebenbei: Eine zweite, ganz anders geartete Vorkommnis des Gedankens, da wäre was »zu attraktiv«, ist in der österreichischen Innenpolitiksimulation des letzten Jahrzehnts aktenkundig. Karl-Heinz Grasser, ehemaliger Finanzminister [Kabinett Schüssel, Projekt Schwarzblau eins] und seitdem regelmäßig Gast vor diversen Gerichten und Untersuchungssausschüssen, bisher NICHT verurteilt wegen allerkreativster Umleitung von öffentlichen Geldern in die privaten Taschen seiner Freunde und Verwandten – es gilt die Unschuldsvermutung – und ausserdem ein fürchterlich eitles Narzisserl, das als aktiver Finanzminister für oben-ohne-Glamourshots posierte …

Dieser Karl-Heinz Grasser also, in einer Fernsehdiskussion über die genannten Anschuldigungen, verlas den Brief »einer einfachen Wählerin« [war’s seine Frau, war’s seine Mutter?], die ihm ob der »Verfolgung« durch die »Neider« Mut zusprach [Wiederum: Das genaue Zitat zu googeln kann mich niemand zwingen, aber es ging circa so]: »Sie sind zu klug, zu schön, zu talentiert, das wird Ihnen nicht verziehen.«)

zu almadhoun, „ein raubtier namens mittelmeer“

Diese Sammlung von Gedichten aus zehn Jahren ist organisiert als ein Fortschreiten aus der (relativen) Gegenwart von 2016 – „Damaskus entfernte sich“ – in die Vergangenheit – „Für Damaskus“ (2006). Almadhoun spricht über Städte (ihnen voran die „Pole“ Damaskus und Stockholm) und meint Frauen; bzw. spricht über Frauen und meint Stationen seiner Entwicklung als Autor und Leser; bzw. spricht über Stationen seiner Entwicklung und meint (wie man für den meist wohl nicht von Krieg und Flucht geprägten deutschsprachigen Leser ggf. nochmal extra erwähnen muss) ganz handgreiflich die Stationen seines Exils, seit er Damaskus verlassen musste (… und selbst Damaskus erscheint, wenn man mitbedenkt, dass Almadhoun aus einem der palästinensischen Flüchtlingslager in Syrien stammt, als zumindest prekäre Heimat).

Die Wirklichkeit von Krieg, Flucht und massenhaftem Ersaufen im Mittelmeer ist in diesen Texten so präsent wie die Wirklichkeit von Supermarkteinkäufen und Besuchen in der Wohnung einer Geliebten; Worte wie „Gewehr“, „Plastiksprengstoff“ und „Folter“ sind bei Almadhoun nicht bloß Teil des Metaphern-, oder Bildungsgüter-, oder Geschichtsbewusstseinsvorrats, sondern er hat das zweifelhafte Privileg, dass sie in seiner Dichtung in in die Ablage mit den Lebenswirklichkeiten gehören. Das ändert, wie wir ihn lesen. Wir sind in der deutschsprachigen Gegenwartslyrik gewohnt, wenn schon, dann aus irgendwelchen Details, die „wir“ kennen (von der Rolltreppe als geradezu Topos war schon in der ersten Lyrik-von-Jetzt-Anthologie die Rede, oder?) etwelche Schrecknisse bzw. Welt-Unordnungen zu extrapolieren; bzw. solche mehr metaphorischen Alltagstopoi neben mehr expliziten Bezeichnungen für „Worum’s geht“ stehend zu finden. Hier aber haben wir dagegen eine Sprache und eine Sammlung an Gedichten, in der der Vorrat an erwähnten Sachen (also: von der Folter der Freunde im Krieg bis zum Falafelrestaurant in Stockholm) sämtlich konkret ist und die Dinge nicht je für ein Anderes, Eigentliches stehen, sondern wechselseitig …

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hausacher stadtschreiber-tagebuch (5) – re: störende energie

Hearst, Oider! Lustige Geschichte . . . Zuerst ist rausgekommen, dass man bei irgend so einem Krankenhausbau in Ostösterreich, was warn’s, 93 000 Euro Steuergeld für einen »Energetiker« ausgegeben hat, der »die Baustelle entstören« sollte. Dann ist rausgekommen, dass das weder die einzige Baustelle, noch auch nur die einzige Krankenhaus-Baustelle in Österreich war, wo irgendwelche Schwingungsspezialisten Geld aus Luft zauberten (es gibt ein Pressefoto, mit so mannshohen Wellblechskulpturen, die einer wo aufgestellt hat gegen negatives Bimbam – im Auftrage immerhin politisch besetzter Aufsichtsräte). Dass es sich, mangels überprüfbarer Arbeitsprodukte, bei »Energetik« in diesen Größenordnungen schlicht um ein besonders geeignetes Korruptions- und Kickbackvehikel handeln könnte – auf d i e Idee kommt die österreichischen Öffentlichkeit, die alte Unschuld vom Lande, bis heute nicht.
Sogar, dass sich der von der Wirtschaftskammer anerkannte Berufsverband der Energetiker zu Wort melden durfte: »Das war keiner von uns!« . . . und DANN, lieber Osterhase, ist nebenbei auch rausgekommen, dass die Wirtschaftsministerin der Republik selbst einen entsprechenden Gewerbeschein besitzt.

Wirklich. Ministerin Margarete Schramböck, vormals A1-Telekom-Managerin, ist als Humanenergetikerin laut Gewerbeschein berechtigt zur »Hilfestellung . . . mittels Wahrnehmung raumenergetischer Phänomene, durch Berücksichtigung von Planetenkonstellationen und lunaren Energien« (die drei Pünktchen im Zitat repräsentieren ca. zwanzig Zeilen des allerverderblichsten, um nicht zu sagen lunarsten, Kristall- und Wünschelruten-Wortsalats).

Es handelt sich um dieselbe Ministerin Schramböck, die vor nicht allzu langer Zeit den Plan ventilierte, die Zumutbarkeitsbestimmungen bei der Arbeitssuche zu verschärfen, genauer: Die Bestimmungen betreffend des zumutbaren täglichen Arbeitswegs. Vier Stunden gesamt täglich sollten schon drin sein, so die Ministerin, denn, und das hat die Energetikerin und zur Wahrnehmung raumenergetischer Phänomene laut Gewerbeschein Berechtigte tatsächlich öffentlich gesagt: »Und wir haben die digitalen Medien, es gibt keinen Grund mehr, heute zu erklären, ich kann nicht mit meinen Freunden in Kontakt bleiben, weil das findet digital statt.«

So stellen wir uns denn ein raumenergetisches Phänomen vor, dass sicherlich der Entstörung der lunaren Energien in Österreich und im befreundeten Ausland dienlich wäre: Einen kristallschwingungs-chakra-fengshui-mäßig genau austarierten Zauberkreis aus S-Bahn-Schienen und Asphalt, circa 100 Kilometer Umfang, immer rundherum und rundherum, irgendwo im Alpen-Nichts (ei wie schon alleine das Errichten dieses solchen Energiebimbams den Wirtschaftsstandort förderte, nicht wahr?).
Und dann setzen wir die astrologisch-energetisch gesehen genau richtigen Langzeitarbeitslosen mit ihren Handys und Tablets hinein in den großen alpenländischen Entstörkreis, W-LAN ist vorhanden, es gibt ein Buffet im hinteren Zugteil, Luxusluxus, und lassen sie im Kreise fahr’n, die armen Schlucker; das ist jetzt ihr Job; Achtstundenschichten; rund um die Uhr in Betrieb.
Frage: Was für Raumenergien bewirkt dann dieser Sonderzug, oh Entstör-Visionär? – Antwort: Solche Energien, Oider, gib Dir – solche Energien, die sich, genug entstört, zum Geist und Wiedergänger von einem dieser großen (dortseits) sehr verehrten Helden der politischen Reaktion zusammenballen; der dann im Mittelpunkt des Schienenkreises im Alpenlandschaftsnichts entstehe: Strauss, oder Hayek, oder die alte Hexe von der Downing Street persönlich . . . Und dieses Gespenst, es könnte dann Frau Bundesministerin Schramböck heimsuchen und dergestalt beraten, glaubwürdig beraten, checkstu, Oider?!, dass sie doch bitte zumindest versuchen möge, ihren Zynismus nicht so offensichtlich vor sich her zu tragen.
Dann bräche das Gespenst in fühürrrchterliches Lachen aus, woraufhin Frau Bundesminister Dr. Margarete Schramböck endlich, endlich wieder aufwachte, getrieben von dem plötzlichen Bedürfnis, in der englischen Wikipedia das Wort »dickensian« nachzuschlagen.

hausacher stadtschreiber-tagebuch (4) – re: der leguan sagt nichts

Hausacher! Mitbürger! Freunde! . . . diese eine Schlagzeile auf Bloomberg News, von, wann war’s?, plus-minus zwanzigstem März, sie ging circa so: »[Amazon-Gründer] Jeff Bezos nimmt den ›Buzz Aldrin Space Exploration Award‹ entgegen und isst bei der Gala ein gegrilltes Iguana.« Es gibt dazu ein Foto (mit Bezos, Iguana, lila Deko-Blumen), das in den Schulbüchern des dreiundzwanzigsten Jahrhunderts als Symbolbild für Dekadenz, und Klassenherrschaft, und den bemitleidenswert umfassenden Realitätsverlust der klasse Herrschenden im frühen einundzwanzigsten Jahrhundert durchgehen wird.

Den »Award« bekam Bezos übrigens, weil er eine circa Fantastilliarde jenes Mehrwerts, den die Aufstocker*innen im Amazon-Versandlager erwirtschaften, und aber nicht bezahlt bekommen, in diverse Raumfahrtunternehmungen steckt, gesteckt hat oder noch zu stecken verspricht. Sprich: Es nahm der Bezos den Award entgegen in Stellvertretung für die Steuerzahler*innen jener Länder, die mit »erzieherischen« Sozialmaßnahmen (wie eben der Aufstockerei) noch umfassenderes und noch reibungsloseres Menschenschinden ermöglichen (. . . mit zusätzlichem Bonus: Dass die Geschundenen und ihre soziale Mitwelt zunehmend tatsächlich glauben, diese Schinderei geschehe so zu ihrem moralisch Besten . . .  wer arbeiten wolle, finde auch Arbeit . . . wer hingegen nicht arbeiten wolle, der werde sich auch jede Sorte Volkszorn, jedes Straf-Phantasma verdient haben, das an ihm hängen bleibt) . . . ach . . . »Iguana, Iguana, what did you die for?« – Iguana said nothing at all.

(Iguana kam nämlich [da Iguana endlich fertig ward gegessen {da seine Leguanen-Lebens-Säffte in Jäff Bezos› Bauch drin sich zu Jäffen Bezos höchst eig’nem biologischen Bestandtheil-Süppchen hatten fertig transmuthieret}] in ewiglichen Jagdgründen zum Sitzen [in jenen ewiglichen Jagdt-Gründen nämlich, die der Herr Lucifer höchstselber kunstreich in die ewigliche Nacht gestellet {allwo die Leguanen, Leuwen, Pardel, wie auch die Oliphanten, Dodos, Unicorni (letztere meist von der Gattung Ceratotherii simum cottoni, nichtwahr?), allwo mit einem Worte also alle solchen Thiere sich zu sammeln kommen nach dem Tode, die von den, beispielsweise, großen weißen Jägersmannen mit den großen grauen Schießgewehren unter weiten blassen Steppenhimmeln totgeschossen wurden; oder von Wunderärzten aus dem fernen Oriente zu Tincturn bereitet; oder halt gegessen von, wie schon gesagt, Jeff Bezos zwecks Tabu-Magie und Überschreitungszauber bei der doofsten aller Preisverleihungen}],

Und in jenen ewigen Jagdgründen ist Leguan riesig, ist genau so riesig wie der Oliphant dort drüben, und es liegt um Leguan die weite, helle-trockene und aber sonnenlose Jenseitssavannah; und es spannt sich in den vage grünlichschimmernd leeren Jenseitshimmeln über Leguan nicht nur diese eine, diese zierlich-porzellanerne Zug[vogel{gleiche}]wolke, nein, da fliegen auch diverse Raumschiffe dahin und davon, bewegen sich auf bessere Planeten zu als immer bloß die alte trocken doofe Erde, und in den Schiffen reisen [weiß Oliphant, weiß Leguan] Roboter und übersexte hoffnungsfrohe Teenager aus aller Herren Länder, riesenhaft – sympathisch – vegetarisch,  und es wird dieses solche Schauspiel vor dem solchen Höllenhimmel [das nicht aufhört, nie] sein, das Leguan die nächsten langen Jahre über kontemplieren wird, während er wandert, Luft schluckt, schläft . . .

. . . und wartet: denn hier in diesem Jenseits sind [und werden sein] die großen weißen Jägersleute, und sind auch die Wunderärzte, so das Elfenbein verpulvert, und ist [abgesehen von denen noch {als seine eigene Ordnung sozusagen}] Jeff Bezos [wenn er denn jemals in die schwartze Nacht des schwartzen Luziferius eingehen sollte] klein, so klein und auf die selbe Weise jenen großen Tieren nützlich wie die Buphagidae [die Madenhacker aus der Ordnung der Sperlingsvögel {die aus den Rücken ihrer Wirtstiere die Parasiten picken, bis man sie verscheucht}]. So wird Jeff Bezos dann für immerdar und immerdar auf Iguanas Rücken Maden hacken, Schuppen putzen, Schorf vom Staube reinigen. An solches denkt mit langsamen Gedanken Iguana, da es tot ist. Und deshalb schweigt und lächelt es vorm Horizont des großen Menschheitsfortschritts in den Himmeln.)

zu gräf, „falsches rot“

Der Brueterich-Band von Dieter M. Gräf heißt „Falsches Rot“. Wir können also schon erahnen, wohin die Reise gehen wird: Sagen wir: Historiographie durch Lyrik, auf ungefähr 200 kongenial gelayouteten Seiten: eine museal  in drei „Räume“ gegliederte Schau, über (den Umstand, dass der) Sozialismus als Utopie und als Prozess seiner eigenen Verwirklichung (offenkundig in der Systemkonkurrenz des zwanzigsten Jahrhunderts weder in den Staaten noch in den Bewusstseinen gesiegt hat, und jetzt wäre natürlich interessant, wo im Einzelnen der Fehler lag). Das ist jetzt inhaltlich im Jahr 2018 nicht die originellste geschichtsphilosophische Spielvorgabe, aber Gräfs Buch funktioniert, weil es diese Vorgabe, als Explizierte, auf zwei Arten erdet:

Erstens über das konsequente Durchziehen poetischer Sprachorganisation – das führt hier zu einer dauerhaften Unschärfe zwischen Rhetorik-als-Sound und Sound-als-Rhetorik – und zweitens, noch wichtiger, über die Fokussierung auf bemerkenswert detailliert recherchierte und klar bestimmte Schauplätze, Stories und Protagonisten:

„Raum eins“ beginnt mit Münster, 1535 (Hinrichtung der Propheten des „Täuferreichs von Münster“); dann: herabgewirtschaftete Orte aus den mehr oder weniger umkämpften Restemassen des Ostblocks, denen neben dieser Gegenwart auch …

[Weiterlesen auf Fixpoetry]

hausacher stadtschreiber-tagebuch (2) – re: tal der ahnungslosen

Mein lieber Herr Gesangsverein, sehr geehrtes Tagebuch! Am 9. März gab es eine Diskussionsveranstaltung in Dresden, bei »unerwartet großem Publikumsinteresse«, da durfte ein bedeutender deutscher Schriftsteller einem maximal erregten Medienpersonal nebst angeschlossener Öffentlichkeit den Gedanken (mehr raunend andeuten als) darlegen, es herrsche Meinungsdiktatur in Deutschland. …WEITERLESEN

zu laor, „auf dieser erde …“

Die hier zweisprachig vorliegende Auswahl aus dem Werk von Yitzhak Laor umfasst Gedichte aus der Zeit zwischen 1979 und 2016, aus dem Hebräischen übersetzt und mit überaus nützlichen Anmerkungen versehen von Anne Birkenhauer sowie kommentierend benachwortet von Michael Krüger. Soweit wir solches aus der deutschen Übersetzung allein beurteilen können, entspringt diese Lyrik jemandes Alltag sprachlich wie thematisch recht geradeheraus. Laor verkitscht nicht; er geht neben den bedrohlich lastenden Großbrocken an gesellschaftlichen, kulturellen oder individuell-biographischen Themen auch gelegentlich das „Einfachere“ an, ohne in die eine oder andere Richtung den Bauchfleck eines merklichen Qualitätabfalls hinzulegen.

Besonders herausfordernd ist dabei an diesen Texten, dass sie gewissermaßen die spezielle sprach- und kulturgeschichtliche Situation des modernen Hebräisch greifbar explizieren: Ja, hier wird sichtlich von Lebenswelten gehandelt und in der Absicht gesprochen, auch verstanden zu werden – aber der Horizont, in Bezug auf welchen diese Texte Symbolisches, kulturelle Metaphernvorräte und Intertextualitätsoptionen aufmachen, ist der einer mehrere Jahrtausende alten Sakralsprache und des zu ihr gehörigen Textkanons.

Für den durchschnittlich ahnungslosen deutschsprachige Leser erscheint dieser Kanon trügerisch vertraut, wenn er etwa in Form der bloße Namensnennung einer der bekannteren alttestamentarischen Figuren daherkommt – wenn ein Gedicht etwa heißt „Dieser Dummkopf, Isaak“, dann haben wir eine ungefähre Vorstellung, auf welche Bibelgeschichte wir den folgenden Text beziehen und wie wir ihn präsent halten sollen. Aber der Kern der Literarizität von Laors Gedichten ist, dass sie deutlich komplexer funktionieren als über Alltagsschilderungen und bloßes Namedropping von jenen paar biblischen All-Stars, die man auch als, sagen wir, muslimisch sozialisierter Norweger noch auf dem Schirm hat.

Hier hilft auch die beste Übersetzung wenig: Wenn die Bezüge beispielsweise über grammatikalische Wendungen hergestellt sind, über Anklänge statt Nennungen, oder wenn man die jeweilige Bezugsgröße schlicht nicht (oder nicht als solche) erkennt, dann können wir uns zwar in ein paar Einzelfällen vom schon erwähnten nützlichen Anmerkungsapparat schlau machen lassen – aber wir bleiben auch dann mit der Einsicht zurück, dass uns die dargebotene Oberfläche der Übersetzung über weite Strecken opak bleiben muss, und zwar gerade dort in den Texten, wo „wir“ (dh: nicht-iwritsprachig, nicht im Detail mit einerseits alttestamentarischen Wendungen, andererseits ubiquitärem Alltagskram in Israel vertraut) gar nicht notwendigerweise wahrnehmen, dass es da überhaupt was zu übersehen gäbe. Praktisch bedeutet das, dass ein paar der Texte sehr, sagen wir, pointenlos erscheinen, und „wir“ höchstens rätseln können, was „wir“ übersehen haben.

Wären dies die Gedichte eines deutschsprachigen Gegenswartsautors, könnten wir uns an dieser Stelle noch …

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zu zygmunt baumann, „retrotopia“

Es umfasst der knapp posthum erschienene Band „Retrotopia“ des 2017 verstorbenen polnisch-britischen Soziologen Zygmunt Bauman überraschend viele überraschend ansatzlos zitable Stellen.  Dementsprechend häufig drängt sich dem Rezensenten der Gedanke auf, er müsste bloß unkommentiert diese oder jene halbe Seite abtippen, und es bekomme die Leser*innenschaft die Quintessenz des Ganzen serviert; ebenso häufig stellt sich dieser Gedanke dann ein paar Seiten später als notwendige Chimäre heraus, und der Horizont von „Retrotopia“ als jeweils immer noch ein Stück weiter als gedacht. Dennoch wird man nicht fehlgehen, wenn man den Verlauf des Buchs zwischen zwei Textstellen „aufspannt“. Bauman beschreibt seinen Vorsatz in der Einführung zu „Retrotopia“ so –

An (…) [den] wichtigsten[n] Umschwünge[n] in der fünfhundertjährigen Historie moderner Utopien seit Morus werde ich mich im Folgenden orientieren, um die zentralen „Zurück zu“-Tendenzen der gegenwärtigen Phase dieser Geschichte zu untersuchen – darunter insbesondere die Rehabilitation des tribalen Gemeinschaftsmodells, den Rückgriff auf das Bild einer ursprünglichen/unverdorbenen „nationalen Identität“, deren Schicksal durch nichtkulturelle Faktoren (…) vorherbestimmt sei (…)

– und kurz, bevor das Buch dann grob 200 Seiten später mit einem länglichen Zitat aus Papst Franziskus‘ bekannter Karlspreisrede und, daran angeknüpft, einer Zurückweisung der politischen Programme von Huntington, Thatcher et al. endet, formuliert Bauman, eingepasst in eine Kritik am Nationalstaatsbegriff, sein eigenes Gegenprogramm: …

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zu simon strauss, „sieben nächte“

Dieses Buch hat, wie wir uns sagen lassen, ein Zerwürfnis zwischen zwei sich irgendwie auf die Romantik beziehende Berliner Textsekten (wo nicht verursacht, so doch) zum Gegenstand  feuilletonesker Abhandlung gemacht; die Vokabeln, die bei dieser Gelegenheit in die Ödnisse zwischen taz und FAZ tropften, triggern tendenziell Besorgnis. Also mal sehen – „Sieben Nächte“ …

… ein Buch, über das wir positiv ggf. noch vermerken dürfen, dass es eine sinnreich gegliederte freie Prosaform jenseits der ewigen Romanvorgabe aufweist; dass der Duktus stringent durchgehalten wird und der Verfasser gekonnt auf dem schmalen Grat zwischen fiktionalem Textsubjekt und biographischem-poietischem Authentizitätsanspruch lustwandelt (inklusive der Bewusstheit, dass das gar nicht so einfach sei mit Effekt und Emphase, nichtwahr? Oder muss selbst hier schon gemäkelt und von Koketterie geredet werden?) … das also in den „technischen Preiskategorien“, wie es bei den Oscars heißt, schon noch was zu gewinnen hat …

… aber im Übrigen handelt es sich um das sterbenslangweilige und pathosgeladene Lamento …

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zu hartmut lange, „über das poetische“

Nun gibt es ja Bücher, bei denen steht in der Rezension, tatsächlich oder zum Schein, sozusagen ihre Existenzberechtigung selber auf dem Spiel; die Frage, ob es – insbesondere in Hinblick auf die Endlichkeit des weltweit verfügbaren Papiers, der menschlichen Aufmerksamkeit und der Slots im Diskursraum zu einem gegebenen Zeitpunkt – wirklich nötig war, gerade das zu publizieren. Der Band von Hartmut Lange in der Matthes & Seitz’schen Reihe Die Fröhliche Wissenschaft ist kein solches Buch.

Wir können, was Lange in seinen drei Abschnitten schreibt bzw. sagt, haarsträubend falsch finden – und tatsächlich findet es der Rezensent haarsträubend falsch – aber der Platz des Ganzen in dieser Publikationsreihe, und seine kontextuelle Rezeption (als Buch gerade dieses bedeutenden Autors, als …

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zu BELLA triste 48

Erstens, wie sich die Verantwortlichen gerade das entscheidende kleine Bisschen zu sicher gewesen zu sein scheinen, dass das alles ohnehin von niemandem außerhalb der p. t. Peergruppe gelesen würde:  Eine ansehnlich großformatige BELLA triste Sonderausgabe, irgendwie das Prosanova | 17 Festival betreffend, aber eben (wenn wir uns bloß an das immerhin drei Seiten lange Editorial halten) wirklich nur *irgendwie* …

… wobei … mit dem Wort *irgendwie* hier entschieden nicht die Stimmung gemeint ist, die dieses Editorial, und die drauf folgende Textauswahl, und überhaupt die ganzen Aufmachung von BELLA triste Nr. 48 umkreisen und/oder beschreiben und/oder behaupten. Über +/- 150 Seiten wird hier aufs Equilibristischste die Ambiguität aufrecht erhalten, die zwischen einerseits der Begeisterung der Protagonisten für den ihnen gemeinsamen Resonanzraum und andererseits dem Bewusstsein des sozusagen Kindischen, des bloß Momentanen, des Vor-Diskursiven an dieser Begeisterung besteht. Eh sympathisch, obendrein nachvollziehbar – und als literarisches Programm durchgehalten. Wir können sagen, BELLA triste 48 is indeed having its cake and eating it, too, will sagen, tritt uns mit einer durchgängig deutlichen Haltung entgegen, die ungefähr so zusammengefasst werden könnte: „Erstens sind wir eine muntere Clique, die sich ihren eigenen Codes und Glücksversprechen bombensicher ist, und sind also viel sexy-er als Ihr anderen; und sind aber zweitens im Stande, dieses unser Irregefühl und seine literaturmarktmäßige Einbettung als die (soziologisch ggf. notwendige?) Illusion zu beschreiben, die es ist…“

Das alles sitzt also; die Redaktion kann redigieren, die Autor_innen schreiben. Bloß geht vor lauter sorgsam austarierter Stimmigkeit zwischen Diskurs und Leben, (Marktteilnehmerzynismus und sagen wir mal Jugendlichkeit) die Frage flöten, wie sie den spießig-distanzierten Leser beschäftigt, der nicht dabei war und dem der Begeisterungsaspekt des Ganzen egal ist: Sind das jetzt lauter Texte über Prosanova | 17? Oder Texte, die beim Prosanova | 17 zum Vortrag kamen? Die dort entstanden? Liegt am Ende gar eine komplexere Anordnung zwischen Produktion, Auswahl, Redaktion zugrunde? Wenn ja, welche? … Denn, siehe oben: So sicher …

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zu robin coste lewis, „sable venus“

Das amerikanische Original, das nun in einer deutschen Übersetzung vorliegt – „Voyage of the Sable Venus: And other Poems“ – wurde 2015 mit dem National Book Award for Poetry ausgezeichnet.  Es gibt keinen einzigen Text hier, in dem die Dimensionen von Frau-Sein und Schwarz-Sein, die Rück-/Eroberung von Definitionsmacht keine Rolle spielen würden. Aber welche Rolle sie jeweils fürs Gebilde spielen, diese Dimensionen, das variiert. Wir beobachten auf den Seiten des Buches gleichsam einen wiederholten Umschlag zwischen einerseits der Dekonstruktion von „Rasse“/Klasse/Gender-Identitäten und andererseits ihrer souveränen Behauptung … Auch werden wir uns als deutschsprachige Leser rasch bewusst, dass in unserer Sprache, mit unserem begrifflichen Apparat für Gesellschaftliches, mit unserem Geschichtsbewusstsein manches hier zugleich offensichtlich drängend-zeitgenössisch und – for lack of a better word – exotisch erscheinen kann. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang Odile Kennels Übersetzungsarbeit. Ihr ist außerdem zu applaudieren für die Entscheidung, im Anhang zu den Begriffserklärungen der Autorin noch Erklärungen speziell für die deutschsprachigen Leser_innen anzufügen; Leser_innen mithin, deren Alltagssprache zwar sehr wohl weiterhin diverse verdeckte und offene Rassismen und Ideologeme transportiert, aber eben: konkret andere verdeckte und offene Rassismen und Ideologeme als jene Alltagssprache, auf die sich Robin Coste Lewis bezieht, in der, mit der und gegen die sie arbeitet.

Der Band hat eine klar bestimmbare Hauptsache – den titelgebenden zweiten Abschnitt – doch auch von dieser Hauptsache abgesehen umfasst er (und laut!) lesenswerte Texte: zwei Kapitel mit Einzelgedichten, bei denen wir uns meist nicht ganz sicher sind, ob sie als schlichte narrative Langtexte, als investigative poetry oder als sozusagen songs gelesen werden wollen – „Felicité“, „Lust & Verständnis“, „Plantage“, „Rahmen“, „Köder“ (wobei wir übrigens eh wissen, dass wir songs als Verlegenheitskategorie einsetzen, um auf eine erhoffte soziale Praxis der Lyrikrezeption zu verweisen, die den Stoffen von Coste Lewis angemessener wäre als das, was im, sagen wir, Literaturhaus Graz als Wasserglaslesung durchgeht).

„Unterwegs zu Sri Bhuvenashwari“ ist vielleicht noch extra zu erwähnen, eine fast unangreifbar konkret und vorsichtig „über die Bande“ inszenierte Identifikation des Text-Ich (früher auf Reisen in Indien, jetzt Mutter und public figure in New York) mit der All-Mutterschaft – beziehungsweise mit einer Mutterkuh samt totem Kalb – mit Leben und Mitleiden zwischen den Spezies und Kulturen hin (und dem doofen, weißen-männlichen-deutschsprachigen Rezensenten, der, logisch, „ganz andere“ Sorgen hat, fällt nur ein, das wuchtige Gebilde nach Metaphysik-Resten abzuklopfen … er findet keine, bleibt aber misstrauisch, denn immerhin: Indien! Essenzfeminismus!)

Die Hauptsache dieses Bandes ist aber, wie schon gesagt, eindeutig sein titelgebender zweiter Abschnitt „Die Reise der Schwarzen Venus“ sowie gegebenenfalls noch der dazugehörige erläuternde Essay

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die zweite halluzination / zur lage der nation: “baggertennis / christkind”

(deliriert zum stand vom 15. 12. 2017)

es spielen zwei baggerfahrer baggertennis mit einem schweineschädel. das heißt: mit machtvoll gelben baggerschaufeln werfen die bagger von den baggerfahrern sich den schweineschädel zu. verloren hat, wessen schaufel ihn, den schweinskopf, nicht mehr fängt, oder bei wem der schweineschädel aufplatzt und also alles vollsaut mit dem gatsch, wie er in schweineschädeln eben drin zu sein pflegt – die baggerschaufel vollsaut, und die kabinenscheibe vollsaut, und die reifen und den erdboden rundherum sowieso vollsaut.

der verlierer muss dann ein tutu anziehen, die schweine-schweinerei wegputzen und dabei die erklärung zur menschenrechtsstadt graz von 2001 laut und klar und deutlich singen, wobei es gilt, die töne ganz genau zu treffen, oider, weil: das christkind hört zu und muss weinen, wenn du schirch singst. der gewinner dagegen hat gewonnen, und das ist doch auch etwas wert, nichtwahr?

… das christkindl aber, es sitzt in mittlerer distanz hinter den grauen, tiefhängenden wolken und denkt sich seinen teil. sein christkindlblick schweift, da der schweineschädel munter hin und her hüpft, über die weite rodungsbrache hin, entlang der abgeholzten böschung, wo die gelben bagger zwischen gatschbraun, stahlblau und dem verblichenen türkis von durchsichtigen werbebannern beinahe leuchten. und wirklich – das christkind hört den baggerfahrern zu, die sich in gutturalem steirisch irgendeinen hundserbärmlichen unsinn zurufen, betreffend das wetter und die formel I und den beziehungsstatus von andreas gabalier; lauter unsinn freilich, den wir ernst zu nehmen lernen sollten, denn immerhin haben wir ja meinungsfreiheit, nicht wahr?

das christkind, da es zuhört und mit trägem blick dem gehopse von dem schweineschädel folgt, säuft sich auf seiner breiten dunkelgrauen wolke einen fetzen an, der sich gewaschen haben wird, denn anders als mit hipster-bio-gin und wuzelzigarette ist diese steiermark hier wirklich nicht mehr zu ertragen. christkindlein meditiert über die frage, ob sich städte nun deshalb zu dörfern zurückentwickeln, *weil* die fpövp sie regiert, oder ob andererseits dorfbewohner eben eher fpövp wählen als städter, in welchem falle die ursachen für das erodieren so vieler früher mal errungenen zivilisiertheiten hier zu graz eher zu suchen sein würden bei, was weiß schon das liebe christkind, lohnstückkosten in der ziegelbranche in südungarn oder so …

… erstere option, denkt das christkind und nimmt einen kräftigen schluck, hätte den vorzug, dass in ihr noch der widerschein eines primats der politik über die wirtschaft leuchtet, freilich unter dem vorzeichen, dass das schönste primat nichts nützt, wenn die verantwortlichen nicht daran glauben und/oder zu deppert sind, es zu nutzen; zweiteres erklärungsmuster dagegen erscheint dem christkind als die dialektisch-materialistische position zum thema und stimmt darüber hinaus auch mit dem umstand überein, dass die welt, wie das liebe christkindl weiß, ein weiter, wilder und gruseliger ort ist, an dem anderswo die leute nochmal ganz andere sorgen haben als das bissl verdorfung, zersiedelung und bedümmlichung, das hier so ansteht.

das liebe christkindlein ist jetzt grade da, wo es ist, und nirgends anders, weil es den beiden baggerfahrern dort unten zu weihnachten je einen job in der nächsten bundesregierung bringen soll, und da muss es vorher nachsehen, ob die auch brav waren. schaut aus, denkt sich’s, und wuzelt sich eine tschick zum gin. brav fuhren beide baggerfahrer bagger dieses ganze letzte jahr hindurch, schütteten erde, steine, unterholz auf den jeweils korrekten haufen, plätteten auch den vordem gar zu luftig-losen gatsch zur uferrampe an der wilden mur, damit man klumpert lagern und heranführen kann. einer der beiden hat sogar einen hochschulabschluss in irgendwas unwichtigem mit viel text, aber das baggerfahren war besser bezahlt als die assistentenstelle.

brav brav, denkt also gelangweilt das christkind und raucht, aber eigentlich ist mir das alles so, so wurscht … und wann schneit es endlich wieder? auf einmal kommt ihm vor, dass der schweinskopf, der vorm grauen, grauen himmel rosa bahnen zeichnet, weil die baggerschaufeln ihn schupfen, dass also dieser schweinskopf ihm in die augen schaut. kann aber eigentlich nicht sein, schon allein wegen der distanz … und das christkind wünscht sich zu weihnachten (so sagt es still und leis bei sich dem schweinskopf in der grauen grazer luft in seine schweinskopfaugen):

erstens, dass alle menschen lieb zueinander sind, und aber zweitens einen merkava-kampfpanzer, und …

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Die zweite halbe Doppelrezension von zwei Ausgaben der horen

Herausgeber Martin Zingg schreibt fast gleich zu Anfang:

Eine „runde Zahl“ ist es nicht, die zu dieser kleinen Anthologie geführt hat, auf einen äußerlichen Anlass ist die Beschäftigung mit Lorca nicht angewiesen, zu keinem Zeitpunkt.

Damit ist alles, was wir wirklich wissen müssen, gesagt: Nummer 268 der horen ist eine Sammlung aktueller deutschsprachiger Lorca-Rezeptions-Phänomene, es geht um Übersetzungs- und vor allem Deutungshoheit sowie um ihre Verschiebung im Laufe der Zeit; wohl auch darum (so dürfen wir annehmen), die Begeisterung für und die Ahnung von Lorca hierzulande nach Kräften zu befördern. Wenn das so ist, ist die Mission im Ganzen geglückt: Der Rezensent beispielsweise hatte bislang keine, überhaupt gar keine, Ahnung von Lorca – und schämt sich eh in angemessenem Ausmaß, danke der Nachfrage! – und ist nun angefixt.

Ziellos, aber mit einer ungefähren Richtung – nämlich, nach Lektüre des Editorials, vom Autor_innenverzeichnis am Schluss weg langsam nach vorn – lesend-blätternd-lesend, ist das erste Lorca-Gedicht, mit dem wir uns beschäftigen, jenes …

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Die erste halbe Doppelrezension von zwei Ausgaben der horen

Ausgabe 267 hatte als Schwerpunkt zeitgenössische Literatur aus Frankreich und als dazugehöriges Motto „Den gegenwärtigen Zustand der Dinge festhalten“. Das Vorwort der beiden Kompilator_innen benennt  diesen Zustand denn auch auf den ersten Zeilen auf so plausible wie wenig überraschende Weise –

(…) Frankreich steht in letzter Zeit vor allem für zwei (…) Themen: Für eine Präsidentschaftswahl, bei der die etablierten Parteien nahezu in der Bedeutungslosigkeit verschwunden sind (…), um mit (…) Macron einem jungen Kandidaten Raum zu geben. Mit der Bildung der Regierung (…) ist es ihm gelungen, (…) der Hoffnung Ausdruck zu verleihen, dass es zu einer tatsächlichen Erneuerung und Verjüngung der politischen Landschaft kommen könnte. In den Schlagzeilen war Frankreich aber vor allem auch aufgrund der Terroranschläge (…).

– um aber gleich darauf scharf abzubiegen und sinngemäß fortzufahren: Von diesen Ereignissen werde nun leider der Blick der deutschsprachigen Nachbar_innen auf den „jahrhundertealten“ „kulturellen Austausch“ zwischen den Sprachen, Nationen und Kulturräumen getrübt, und um dessen Einbettung ins beschrieben Heute (vermuten wir, sonst gibt die Absatzfolge gar keinen Sinn) gehe es. Zu diesem Zwecke

Kein / Manifest – Narr #22

Narr also. „Das narrativistische Literaturmagazin“, steht auf dem Cover der Ausgabe #22, die zu besprechen ist – einem kleinformatigen Taschenbuch, das in seiner Aufmachung unbestimmte Nostalgien weckt – steht aber genau so auch auf den Nummern 19, 20 und 21.  Die habe ich gleich mitgeschickt bekommen, ebenso wie Nummer 16/17 (aber da steht das nicht drauf, das ist überhaupt anders aufgemacht), und ich bin froh darüber. Die Redaktion scheint eine sehr bestimmte Vorstellung davon zu haben – und auch durchsetzen zu können – was erstens für ihr schweizerisches Magazin „junge[r], frische[r] Texte“ rein gestalterisch gut aussieht und was zweitens, textästhetisch und inhaltlich, in die Zeitschrift darf. Will sagen: Deutlicher als bei den meisten anderen Zeitschriften ist auch für den kursorischen Leser von Narr #22 eine Blattlinie sichtbar.

Wobei es gar nicht so leicht ist, die Blattlinie just über den Begriff des „Narrativistischen“ zu fassen zu bekommen. Im Netz geistert z. B. …

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zu jan skudlarek, „der aufstieg des mittelfingers“

An Jan Skudlareks rororo-Sachbuch „Der Aufstieg des Mittelfingers“ gibt es insofern nichts zu bemäkeln, als es genau, wirklich aufs i-Tüpfelchen genau erfüllt, was Aufmachung, Titel und Untertitel verheißen:  Wir halten ein zwar popularisierendes, aber doch kompetent kompiliertes Buch über „PC-culture“ in den Händen, das sich auch mit dem augenscheinlichen Erfolg beschäftigt, den „anti-PC“-„Populisten“ neuerdings überall in der sogenannten westlichen Welt haben. Es geht mithin darum, wie das Ding, das früher der öffentliche Diskurs war, sich ins Gehege des Scheinprivaten, „Persönlichen“ und damit tunlichst des Un-Abstrakten verpflanzt findet. Der Duktus lässt an ein zweihundert lockere Buchseiten füllendes Feuilleton denken, die einzelnen Beispiele und Fußnoten sind auf möglichste Tagesaktualität und offenbar auf ihre bruchlose Verknüpfbarkeit mit tatsächlich im Fernsehen oder in der ZEIT gerade zu verfolgenden Stories hin optimiert. Selbst die Dokumentation kommt eher den Erfordernissen der journalistischen Sorgfaltspflicht nach als den Regeln der philologischen Zitierweise (oder von mir aus der soziologischen) … „Der Aufstieg des Mittelfingers“ ist als Übersicht darüber nützlich, was vernünftigerweise über ein klar abgegrenztes, nicht unwichtiges Zeitphänomen innerhalb eines bestimmten soziopolitischen Kontinuums (‚Schland) zuerst beobachtet und dann ohne weitere Mühen gedacht werden kann.

Das Ganze wirkt, als ginge es im Zuge eines ca. „öffentlich-rechtlichen“ Auftrags darum, aufs Neue in der Bevölkerung das Wissen zu verankern, dass da ein Unterschied zwischen freier Meinungsäußerung, Kreditschädigung und Volksverhetzung ist (beziehungsweise andersherum: zwischen kritischer Widerrede, privater Aggression und Zensur). Die Aufhänger sind klar und naheliegend: …

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12 g sentimental

Sehen wir von dem Promo-Zettel zu Jo Franks „Snacks“ ab und orientieren uns nur daran, was uns das kleinformatige Büchlein über sich selbst verrät, dann werden wir beim ersten Aufschlagen annehmen, dass wir uns einer Erzählung über das Behaustsein in der Sprache gegenübersehen, und zwar:  in der eigenen Sprache, zwischen den Sprachsystemen des Englischen und des Deutschen; um das Zuhausesein genau in der Spannung zwischen der biographischen Aufladung der Vokabeln „home“ und „Zuhause„. Wir glauben nämlich, eine formal gegebenenfalls etwas anspruchsvollere Kindheitserzählung mit einer gewitzten Rahmenkonstruktion zu lesen. Dieser Rahmen geht so: Auf der Innentitelseite unten stehen zwei leicht zu übersehende Sätze –

„Ausschließlich Sprache“, sagte er. „Mehr gibt es nicht“.1

– und das ganze restliche Buch müssen wir uns dann als die Fußnote denken, auf welche diese hochgestellte 1 verweist. Wir lesen also, denken wir, eine …

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„Ich lese Gertrude Stein direkt hier.“

Unser Gegenstand ist der bereits zehnte Eintrag in die Reihe „Zwiesprachen„, in welcher der Wunderhorn-Verlag seit letztem Jahr (und also mit beachtlicher Geschwindigkeit) poetische Texte  zeitgenössischer deutschsprachiger Autor_innen über ihre Klassikerlektüren versammelt. Das Heft umfasst einen Text, den der folgende Hinweis eröffnet:

Diese Rede wurde am 25. Januar 2017 im Lyrik Kabinett, München, gehalten.

Also eine Rede. Genauer: Ein Rezeptionstext von Swantje Lichtenstein über Gertrude Stein – GS –, der dem poetischen Genre Rede angehört. Eine Rede, aber keine Preis-, Fest- oder Gedenkrede, keine Moderation und auch keine lecture, also keine Rede im Sinne eines akademischen Vortrags, aber an dieser letzteren Form sehr wohl noch orientiert … Sagen wir so:

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unqualifizierte halluzination / zur lage der nation.

Wien, Stephansplatz. Ein Reisebus fährt mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit über den Platz, direkt an der Dompforte vorbei. Die Zettelverteiler und die Fremdenführer in ihren Mozartperücken hüpfen beiseite, dass es eine Freude zum Zuschauen ist. (Um die Tauben und die Touristen machen wir uns mal keine Sorgen, sie nicken weiter blöde vor sich hin und bewegen sich in schützenden Großgruppen übers Pflaster.) Ein Geistlicher stolpert, aber das ist uns auch wurscht. Da der Bus laut quietschend zum Stehen kommt, blockiert er sowohl den Autoverkehr am Eck Rotenturmstrasse alsauch den Fiakerstandplatz beim Dom. Es wird gehupt. Es scharrt ein Pferd mit Hufen. Laut fluchend kommt ein Kutscher näher. Er liest die die Aufschrift auf der Seite des Busses, Türkis und Dunkelblau auf braunem Grund, sie lautet

Vom Sebastibasti Kurzikurz seinen Segelohren ihre Segeltörns im Meer der Geschichte durch die Untiefen der österreichischen Realverfassung so, wie Robert Menasse sie uns erklärt hat. Das Fernziel ist Takatuka-Land, aber fürs Erste reicht uns Deutsch-Österreich.

Irgendwie geht sich das alles in den paar wenigen schwungvoll gesetzten Lettern aus, die wir da sehen. Vorne auf dem Bus lesen wir außerdem, in Spiegelschrift wie bei Rettungswägen:

Man beachte, dass hier immerhin nicht unkommentiert ‘Geilomobil’ draufsteht.

Mit einem lauten Zischen der Hydraulik öffent sich vorne die Bustür. Leguane, MurmeltiereBisamratten und Paviane in putzigen Lederhosen und Dirndlkleidern steigen aus, untereinander mit menschlichen Stimmen schnatternd, und stehen in Kleingrüppchen auf dem Pflaster rum. Beeindruckt blinzeln sie den Dom und den Mannerschnitten-Flagship-Store an. Diejenigen, die Smartphones oder Fotoapparate mit sich tragen, machen Selfies.

Hinter ihnen entsteigt seinem Gefährt der Busfahrer. Er ist ein Oarsch mit Ohren, aber ohne die Ohren, und er raucht durch das Oarschloch, das hier den Mund darstellt, eine würzige Zigarette. Er hat nach einigen Monaten der Abstinenz wieder angefangen zu rauchen, wie wir wissen. Aber woher wir das wissen, wissen wir nicht.

Taxler, Passanten und Fiakerfahrer erheben …

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zu „Fort>Schreiben“ / „Ecrire>Encore“

Zuerst googeln wir panisch – ist doch, was uns vorliegt, ein leicht über-designtes Taschenbuch namens „Fort>Schreiben“ / „Ecrire>Encore“, herausgegeben vom Schweizerischen Literaturinstitut Biel, sodass wir  befürchten, die Gründung einer weiteren Institutszeitschrift um vielleicht sogar Jahre verschlafen zu haben … Aber nein, alles ok, nichts dergleichen. Was wir da stattdessen aufschlagen, ist ein Einzelband zum zehnjährigen Institutsjubiläum. Vorn und als Hauptattraktion ein einziger, grob 130 Seiten lang „fort>geschriebener“ Kollektivtext, zweisprachig nicht im Sinne von Übersetzung, sondern im Sinne eines Springens zwischen Abschnitten auf Deutsch und auf Französisch; dann je zirka dreissig Seiten Korrespondenzen in jeder der beiden Institutssprachen, betreffend die Arbeitsbiographien und Lebenswelten einiger Alumni, schließlich (und noch vor einem umfangreichen Nachwort nebst Angabenapparat) ein Essay über „Das Schweizerische Literaturinstitut aus der Perspektive seiner Absolvent/innen“ von Annika Hossain. Letzterer Beitrag fällt auch deswegen besonders auf, weil er das augenscheinlich einzige Stück Text darstellt, das tatsächlich in beiden Sprachen vorliegt.

Charmant (oder eben, s.o., leicht über-designt) dürfen wir die gewählte Gliederungsmethode finden: Keine gesonderten Zwischentitelseiten oder …

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Maisie Williams als Teiresias!

„Der Schnitt durch die Sonne“ ist ein Roman von Dietmar Dath (schon wieder einer!), und eigentlich ist damit alles Wissenswerte gesagt:

Es gibt erstens wieder ein völlig abgedrehtes Setting, das uns gerade seiner Abgedrehtheit wegen zu besonders eifriger suspension of disbelief reizt; dieses Mal hat es mit intelligenten Sonnenstürmen (oder Sonnenwirbeln? Magnetstürmen? Plasma…dingern? Ich bringe die Nomenklatur durcheinander) zu tun, die mit einigem Aufwand Bewusstseinsabbilder ( … wiederum: Nomenklatur …) zwischen Sonne und Erde hin und her beamen.

Es gibt zweitens die gewohnte Dath’sche Erzählhaltung – nennen wir sie ‚science fiction als sozialistischer Realismus‘, oder umgekehrt – welche …

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„yo future“ bzw. Yoyo Bio

Absolut nichts gibt es auszusetzen an den knapp 200 Seiten mit künstlerisch anspruchsvollen Comics, die uns das Hamburger „Magazin für Illustration“ bietet. Es gibt über sie kaum  mehr zu sagen als: Es sind künstlerisch anspruchsvolle Comics. Sie sind von sechzehn Beiträgerinnen, die sehr verschiedene Stilrichtungen jenes Mediums bedienen; manche gehen mehr in Richtung Informationsdesign, manche in Richtung white-cube-Bildendekunstwelt, es gibt ein paar Posterkunst-Exponate und einige Beiträgerinnen, die näher an den Traditionen dessen bleiben, was wir im engeren Sinne „Comic“ nennen. Sie leisten alles das, was dieses Medium leisten kann; das ist, wir wissen es, in den letzten Jahren immer mehr und interessanter geworden, seit einerseits „klassische“ Comics und andererseits zeitgenössische street art Gegenstand der Verhandlungen über den bildungsbürgerlichen Kunstkanon sind.

Mit dem Hefttitel „yo future“ ist übrigens leider nicht gemeint, es ginge hier um die Überwindung des Punk („No Future“) durch weiß-vorstädtisch verballhornte Hiphopkultur („Yo yo yo!“). Vielmehr geht es bei diesem Titel und bei den einzelnen unter ihm versammelten Beiträgen um den fragwürdigen Umgang der Spezies Mensch mit ihrer Zukunft, ihren …

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notiz zur wahl 17

sg. SPÖ – gehen wir doch einfach davon aus, dass dass deine rolle ab übermorgen so oder so in der OPPOSITION zu sein hat. weil: entweder, der kurze gwinnt. schwarzrot würd aber genau den gleichen dreck machen wie schwarzblau, nur kompetenter (=schlimmer), und würd die glaubwürdigkeit der sozialdemokratie beschädigen. also: gehts lieber in opposition.  oder der kern gwinnt. alleinregierung wird sich aber ned ausgehen, rotgrün eher aa net. also was wollts: rotschwarz weiterscheisserln, oder rotblau auf generationen hinaus jede motivation für linke und gemässigte untergraben, euch nochmal was zu glauben? also: lasst den kurzen machen. das blaue kuriositätenkabinett wird einen skandal nach dem anderen liefern und auf spektakulär dummdreiste art an den grundlagen des rechtsstaats rühren; der funktioniert aber in Ö, und deshalb werden die sich innert weniger jahre wieder selbst weggesprengt haben.

jetzt OPPO is tatsächlich die am wenigsten schädliche variante fürs land und die partei.

und weil das so ist, kann man eigentlich auch gleich statt euch die partei mit dem sozialdemokratischen programm – also die KPÖ+ – wählen und hoffen, dass sie ins parlament kommt und mit euch z’samm, liebe SPÖ, dann der bürgerregierung saures gibt.

zu Grünbein, „Zündkerzen“

Die Piniengedichte ab Seite 80 in „Zündkerzen“ sind nett. Ansonsten bekommen wir viel Anlass, uns über diesen Lyrikband zu ärgern, wenn wir ihn lesen, und das liegt nicht daran, dass  wir den immerhin Büchner-Preisträger Durs Grünbein etwa ausgesprochen objektiv schlecht fänden. Ist er nicht, im Gegenteil. Was zum Ärgernis Anlass gibt ist, wenn man so will, die Fallhöhe: Da kennt einer die lyrischen Formen bis in die entlegeneren Details ihrer Historien und hat das drauf, Mühelosigkeit zu suggerieren, wenn er sein Sprachmaterial auf diese oder jene ganz bestimmte, anspielungsreiche Sondervariante dieser oder jener Strophenform bringt … Und auch noch die Grammatik wirkt ganz ungezwungen hier latinisierend, da anglesk (das ist kein Wort, ich weiss eh, es sollte aber eines sein). Mühelosigkeit! Wo es bei uns anderen bloß zu – bestenfalls noch ‚cooler‘ – Brachialität reicht; oder zu Feinnervigkeit, oder was weiß ich, jedenfalls aber unseren Arbeiten stets die metaphorischen Schweißflecken unter den Achselhöhlen der angestrengt herbeigezwungenen Metapher eignen …

Ein kühler Morgen, Herbst, Oktoberwind: im Park
Die Läufer drehen ihre Runden. Von der letzten Nacht
Noch feucht die Wiesen. Männer zeigen, bärenstark,
Was sie bewegen könnten, Technikfreaks, Athleten –
von Freizeit müde. War das Leben schon vollbracht?
Die Bäume schwirren, wer erinnert sich der Feten,
(…)

Mühelosigkeit also – und was macht der Verfasser mit seiner Mühelosigkeit? Nichts! Grünbein hat so dermaßen nichts zu sagen, das jener eindrucksvoll ausgeblendeten Mühe wert erschiene! Und nicht einmal das wäre weiter schlimm – nichts gegen reine Sprachequilibristik und wackere Luftnummern! – wenn diese Gedichte das Bedeutenwollen nicht gar so vor sich her trügen. Sie wollen uns durchaus einschwören auf ein wohlbekanntes Subjektivitäts- oder Bildungsideal, das im Zweifelsfall auch mal wichtiger als die ganze Sprachartistik wird und sie verdrängt – das vermittelt sich dann z. B. so:

Wir leben in geheimnislosen Städten

(…)

Die Stadt war nun ausgeschachtet. Durch Tunnel
Führte ein besinnungsloser Verkehr.
Es gab keine Eingeweide mehr, Labyrinthe
Im Zwielicht, mit Gassen ins Unbewußte,
Straßen, die in die eigene Blutbahn führten.

(…)

Und den Band durchzieht ein sichtliches Bemühen, diesem sagen wir romantischen, sagen wir deutsch-idealistischen Ideal neues Zeugs einzugemeinden. Solches Bemühen geht aus von der korrekten Diagnose, dass, was problemlos in den Referenzrahmen von Propertius und Pinien passt, kaum neue oder unter-siebzigjährige oder freiwillige Leser hinterm Ofen mehr hervorholt. Es sitzt aber der fehlerhaften Verfahrensweise auf, dass […]

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zu Menasse, „die Hauptstadt“

Ein groß angelegtes Brüsselbuch von Robert Menasse, dem „Klassensprecher der österreichischen Intellektuellen“ – der Klappentext spricht gar von „seinem großen europäischen Roman“  – ist derzeit, lassen wir uns sagen, nominiert für irgendwas Wichtiges. Nach eingehender Lektüre können wir festhalten:

Erstens: Eine neue Idee zum „großen europäischen Roman“ – als einem klar abgegrenzten Gegenentwurf zur great american novel; einem konkurrenzfähigen neuen Konzept des Ineinsfallens von Form, Inhalt und Ideologem  hat Menasse da nicht ausgerollt. (Man wäre ja auch von sich aus gar nicht auf die Idee gekommen, so groß und nassforsch nachzufragen, aber wenn der Werbetext durchaus insistiert …) Ein dicht gewobenes Großstadtbuch hingegen durchaus, herschreibbar von mehreren existenten europäischen Romantraditionen; vom Leserhythmus und von der Struktur her vielleicht eher eine Sammlung von elf verknüpften Novellen als ein einzelner Roman (wobei bei Großprosa dieses Zuschnitts die Gattungsnamen ohnehin bloß noch von Interesse für die Buchhandelsketten und ihre Lageristen sind).

Zweitens: Dass es in diesem Text, der wie gesagt kein „großer europäischer Roman“ ist, um Europa dann doch sehr wohl geht, um Europa nämlich als Idee und Häufchen Elend Tatsachen, Europa als Geschichte und Gegenwart, als individuell bedeutungsgeladene Biographie und als Bündel von soziographischen Daten zu einem gegebenen Moment. Kaum überrascht sie uns, die sozusagen didaktische, die anscheinend aufs podiumsdiskussionstaugliche Argument abzielende Gegenüberstellung des Allgemeinen und des Besonderen. Sie ist narrativ festgemacht als ebensolches Gegenüber und Ineins von synthetischen und analytischen Erzählsträngen; als  Erzählerblick auf ein berührungsarmes Nebeneinanderleben in durchgängig wiedererkennbaren Strukturen, auf engem Raum – im Prolog etwa beginnen die Geschichten einiger unserer Protagonisten, kann man sagen, in Blickweite voneinander (plus-minus ein paar sichtfeldblockierende Mauern, klar) … Und zumindest darin, dass das Wort Protagonisten hier eindeutig und fett im Plural steht, und welcher Art die zur Verfügung stehenden Subjektivitäten – wieder Plural – sind, steht „Die Hauptstadt“ dann doch der great american Dingsda scharf gegenüber: Sozietät statt rugged individual und so.

Drittens: Dass des stetig am Laufen gehaltenen Interpretationsspiels zwischen den Zeilen hier ein wenig gar dick aufgetragen ist. Die multiple Aufladung der diversen Erzählobjekte, MacGuffins und Schauplätze mit Widersprüchlichem gehört, klar und in Ordnung, zum Standardprogramm ausgedehnter und nichttrivialer Erzählprosa; aber wenn wir bis in die Verzweigungen dieser Widersprüche das muntere „Einerseits-Andererseits“ der Staatsbürgerkundelehrer nachhallen hören …

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35.000,-

Eigentlich, ja eigentlich hätte dies hier eine Polemik werden sollen, betreffend den Umstand, dass beim „Wortmeldungen“-Literaturpreis der Crespo Foundation, der demnächst  verliehen wird, ausgerechnet die Lyrik (nebst Dramatik und „ausschließlich journalistische[n]“ Texten) ausgeschlossen bleibt. Da wird zur Abwechslung mal so ein mit 35.000,- Euro doch eher hoch dotierter Preis für ausdrücklich welthaltige Literatur ausgeschrieben – bzw. was man sonst mit der Formulierung auf der Homepage meint, es gehe um Texte, die sich literarisch mit „gesellschaftspolitische[n] Themen“ auseinandersetzen –, und dann dürfen just diejenigen Autor_innen nicht mitspielen, die das welthaltigste Zeug überhaupt schreiben: Gedichte!

Wir wissen natürlich, woran das liegt. Lyrik als prädestinierte Gattung des subjektiven Erlebens sei, so predigen bekanntermaßen auch viele ihrer bekanntesten Proponenten, auch nur höchst subjektiv zu rezipieren – Urteile schafften Verurteilte; was man da habe, wenn man anderes behaupte, sei unangemessene Strenge, die das Wesentliche ihres Gegenstands verfehle. Gedichte als „Wortmeldungen“ im Sinne jener Ausschreibung einem Vergleich mit Essays und Erzählungen zu unterwerfen, erscheint dann nach beiden Richtungen unfair: Kein Essay würde der Wucht und Würde subjektiven Empfindungsausdrucks standhalten können; kein Gedicht würde hinwiederum intersubjektive Wahrheitsansprüche, Richtigkeitsansprüche stellen dürfen … Das ist natürlich alles zusammen unrichtig und blendet weite Teile der Gattungsgeschichte aus. Aber die Wahrheit ist, wie uns die Freunde der Postmoderne (in freilich viel weniger bräsigen Sprichwörtern als diesem hier) versichern, eine Tochter der Zeit – und mit den kürzlich privat geäußerten Worten eines nicht ganz machtlosen Zeitungsredakteurs und zugleich nicht ganz unbedeutenden Lyrikers eigenen Rechts gesprochen: „Im Betrieb kommen immer weniger Leute vor, die sinnvoll von Lyrik handeln und reden können.“

… was, wie der Augenschein uns nahelegt, auch ihre Verfasser_innen selber mit einbezieht. Nicht müssen wir bezweifeln, dass … [weiterlesen auf fixpoetry]

tausend jahre fuffziger. nachtrag zu g. f. haas.

das mit der rede von georg friedrich haas beim festakt zu fuffzig jahren steirischer herbst, das hat inzwischen jede_r mitbekommen, den_die’s interessieren könnte, oder? – wie es  des erfolgreichen onkels aus amerika bedurfte, um uns hier, hinter den sieben bergen bei den sieben liebenauer schrebergartenzwergen auf den sieben unaufgearbeiteten massengräbern, noch einmal vorzubuchstabieren, wie das mit unserem zeitgenössischen kunstundkulturbetrieb im lande ist … dass sich, was an ihm irgend erfreulich ist, der abgrenzung von und des abwehrkampfes gegen die vielen altnazis in den instanzen und in der bevölkerung verdankt, wie er auch in den sechziger jahren noch nach kräften geführt werden musste … wo also dieses bündnis von ästhetisch und politisch fortschrittlichen haltungen hierzulande einstens herkam; diese automatische gewissheit, dass, wer sich beruflich mit moderner kunst im weitesten sinn beschäftige, nur einer von den guten sein könne, ein verlässlicher antifaschist und überhaupt … dieser vorschein selbstverständlichen alignements, auf dem sich die kulturschaffenden sowie -verwaltenden bewohner unserer immerhin stadt der volkserhebung zusehends gechillter ausruhen konnten, je weniger sie tatsächlich auskunft geben mussten, worin denn ihr antifaschismus, das genuin fortschrittliche oder aufklärungsaffine ihrer kunst bzw. ihres g’schaftelns im einzelnen bestünde …

wir erinnern uns: auf das kulturelle bzw. theoretische feld konnte nach ’45 ausweichen, was in der rauen wirklichkeit – vor beispielsweise stalingrad – geschlagen und gescheitert war. über blut und boden, über wirtschaft und politik durfte man als junger österreichischer staat die zahlreichen braunversifften notablen noch nicht gar so offen reden lassen, wie diese es im grunde ihrer mördergruben herzen wohl gern gewollt haben würden; aber: über die reinheit ostmärkischen kunstempfindens und über das wahreguteschöne, da durften sie schwätzen und wider welschen tand bzw. negermusik aufbegehren lassen. da gings erstmal um nix, also: nicht um zu bauende fabriken und abzuschließende exportverträge oder so. deshalb wurde das kunst-und-blabla-feld ein vergleichsweise ungefährlicher kontext für die nomenklatur der proporzrepublik spätestens der späten fuffziger jahre, um einerseits angebote zu machen (in stetiger rot-schwarzer konkurrenz erst an die zahlreichen altnazis, später an die weltoffen, ggf. gar fortschrittlich gesinnten nachgebornenen) und andererseits weltanschauliche stellvertreterkonflikte als amtsintrigen auszutragen.

herr haas hat also … [weiterlesen auf KiG!]

stream die main line …

Uns liegen vor: „Tippgemeinschaft 2017“ (ein vierhundert Seiten starkes ca. Dünndruck-Paperback) und „Landpartie 17“ (siebeneinhalb geklammerte Hefte), und damit  die aktuellen Jahresanthologien der beiden Literaturinstitute in Leipzig respektive Hildesheim. Mit ihrer Hilfe vergewissere man sich der Richtigkeit seiner Vorurteile versuche man nun, so etwas wie Instituts-Programmatiken erkennbar zu bekommen, am besten schön komplementär oder sonstwie von augenscheinlich-aussagekräftiger Differenz.

Freilich würde es zu weit führen und den einzelnen vertretenen Texten gar zu großes Gewicht aufbürden, wenn wir anhand der beiden gegenständlichen Sammlungen unmittelbar literatursoziologische Überlegungen anstellen wollten, in denen es dann z. B. um die Implikationen sowie um Ursachen und Folgen jener Entwicklung gehen könnte, die das deutschsprachige belletristische Schreiben als Feld derzeit so durchmacht. Das Aufpoppen zumindest der Schreibinstitute von Hildesheim und Wien gehört ja untrennbar zu der erwähnten Entwicklung dazu, und auch das DLL, das es schon deutlich länger gibt, hieß vordem bekanntlich „Johannes R. Becher“ und war da, äh, anders orientiert als heute. Auch wäre sicherlich interessant, mal en Detail zu der Frage zu recherchieren, ob die Institute und Workshops, die Poetikdozenturen und Stipendienorts-Alumni-Zirkel, die der deutschsprachige Literaturbetrieb in den letzten fünfundzwanzig Jahren herausgebildet hat, einen funktions- und inhaltsgleichen Nachbau des amerikanischen Systems der  Kanonfortschreibung darstellt, oder ob dieses nur ähnlich aussieht wie jenes, aber durchaus anders funzt und andere Ergebnisse zeitigt. (Das hieße: Ob in statistisch signifikant anderen Textsorten, produziert durch Leute aus statistisch signifikant anderen Klassen und Schichten, erkennbar andere Topoi und Themen verhandelt werden, um dann statistisch signifikant anders verbreitet zu werden usw. usf.

Aber mehr als das öffentlich verhandelte Selbstverständnis der beiden Institute, oder zumindest ihrer Studierendenschaft, in Bezug auf diese Entwicklung werden wir aus „Landpartie“ und „Tippgemeinschaft“ fairerweise kaum herauslesen können, wenn überhaupt …

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über krachkultur 18 / 2017

Im April ist die Nummer 18 der ungefähr jährlich herausgegebenen Zeitschrift Krachkultur erschienen. (Bei der Gelegenheit die Frage: Warum eigentlich „Zeitschrift“ und nicht … WEITERLESEN

seite an seite mit dem maulbeerbaum

Lesen wir Tom Schulz‚ 2016 in der Edition AZUR erschienene „Polnisch-Ukrainische Reise“ als Roman oder als thematisch strikt sortierte Kurzprosasammlung?  Letzteres bestimmt nicht – zu homogenisiert, zu aufeinander bezogen sind die mehreren Dutzend kurzen Abschnitte, aus denen das Buch besteht. Roman ist das aber auch keiner. Klar, da reist jemand durch die bröseligen Stadtlandschaften zwischen ca. Kleinpolen und der Bukowina, und die Reihenfolge, in der die Reiseeindrücke auf unsere Großhirne losgelassen werden, ist romanhaft komponiert statt einfach linear. Aber wo so etwas im Text vorkommt, erklärt der Icherzähler sein jeweiliges Hiersein auf eine Weise, die nahelegt, Schulz inszeniert da ein „unkompliziertes Verhältnis“ von Erzähl-Ich und ontischem Autor (will sagen: schreibt halt auf, was er erlebt hat). Aber, wichtiger für die Gattungsfrage: …

… Was wir da lesen, weist keinen bezeichenbaren Zentralkonflikt auf.“Schulz“ fährt herum; er besucht Orte, Universitäten, Gedenkstätten, Leute; irgendwann fällt uns auf, dass es da um mehr als  eine einzelne Reise geht –

Zwei Mal bin ich durch Ost- und Westgalizien gefahren, das eine Mal per Zug, das andere Mal im Traum. Was ich von den Landschaften gesehen habe, entspringt den nächtlichen Phasen des Versinkens in einer eigenen Wirklichkeit. War es in einem Nachtzug oder in jenem Traum, als die Hügel, sanft geschnitten, anhoben zu einem Lied? Lied von der Heimat, die jemand besass und verlor. Beides vermischt sich in der Erinnerung.

– dass es da mehrere tatsächliche Fahrten gibt, Erinnerungen von „Schulz“, Erinnerungen anderer Leute, die „Schulz“ aus Büchern oder Erzählungen kennt, Assoziation, Traum, die Unwägbarkeiten schon des individuellen Erinnerns. (Offensichtlich ist, was an dieser Feststellung noch hängt: Die Unwägbarkeit von Erinnerungen, auf die eine Gesellschaft sich einigt und die sie in eine Landschaft einträgt … Welche Gesellschaft? Welche Landschaft? Nur die je eigene?) Es handelt sich bei alledem nicht um Bewusstseinsstrom-Prosa, aber trotzdem sind die Marker, welche die „innere“ Wirklichkeit, die „äussere“ Wirklichkeit und die Wirklichkeit der Archive deutlich voneinander scheiden, spärlich gesät … Ungefähre, sprachgefühlig nahegelegte Scheidung der Ebenen – das gibt es in der „Polnisch-Ukrainischen Reise“ viel häufiger. Aber da geht es dann plötzlich um Interpretationsspielräume und um die Frage, wer interpretiert.

Also keine Kurzprosen und kein Roman. Wir werden dagegen nicht fehlgehen, wenn wir „Das Wunder von Sadagora“ als literarisches Journal lesen; genauer: als … [weiterlesen auf Fixpoetry]

Drunken on Bernkraft

Dem Rezensionsexemplar liegt die handschriftliche Bemerkung der Mitübersetzerin Astrid Nischkauer bei, ich könne mich jederzeit telefonisch genauer über  Zustandekommen und Konzept des Bandes informieren lassen. Das weckt natürlich den Ehrgeiz, ohne solche Auskunft – i wo, machen wir gleich „ganz ohne Google“ draus! – schlau aus diesem umfangreichen Buch zu werden, von dem ich mir fast sicher bin, dass es den Titel „Charles Bernstein = Karl Elektric. Gedichte und Übersetzen“ trägt. Fast sicher, denn: Es gibt mehrere Titelseiten, und jenes der zur Auswahl stehenden Impressi (Plural!), das nicht offensichtlich literarisch überformt ist, bezieht sich auf das Buch nur als Teil der Übersetzungskunst-Reihe „Versatorium„.

Also. Was liegt vor? – Texte aus mehreren Büchern des bedeutenden Produzenten von language poetry, Charles Bernstein, nebst Übertragungen (der meisten?) dieser Texte ins v. a. Deutsche, wobei das Wort „Übertragung“ (im Gegensatz zu „Übersetzung“) hier im Sinne ganz unterschiedlicher Freiheitsgrade zu verstehen ist. Es ist auch nicht so, dass sich (ohne, s. o., Google zu benutzen) auf die Schnelle ersehen ließe, wieviele (v. a.) deutschsprachigen Autor_innen da Übertragungsarbeit geleistet haben: Zwar gibt es eine Seite, auf der fein säuberlich die Kürzel vermerkt sind, die neben den jeweiligen Texten auf ihre Urheber verweisen, aber auf der Liste stehen neben eindeutigen Kandidaten – Bernstein selbst, Peter Waterhouse, Astrid Nischkauer – auch beispielsweise „Altstoffsammelzentrum“, Wassily Kandinsky, Sergio Leone. Und wenig überraschenderweise ist es auch nicht so, dass das jeweilige Original und das jeweilige (v. a.) deutschsprachige Gegenstück fad-benutzerfreundlich neben- oder direkt hintereinander angeordnet wären. Wir müssen die (aus unterschiedlichen Richtungen mit Zahlen zwischen 209 und 470 nummerierten) grob 250 Seiten vielmehr als Gesamtkunstwerk lesen, im Sinne eines der abgedruckten Texte Bernsteins:

Be always drunk. That’s all: that’s the only question. So not to
feel the horrific heaviness of Time weighing on your shoulders,
crushing you to ground, you must be drunken ceaselessly.
But on what? On wine, on poetry, or on virtue, in your fashion.
But drunken be.

Dann lassen wir uns drauf ein, durch diesen Wust zu taumeln; die Art der Aufbereitung verbietet … [weiterlesen auf Fixpoetry]