zu Menasse, „die Hauptstadt“

Ein groß angelegtes Brüsselbuch von Robert Menasse, dem „Klassensprecher der österreichischen Intellektuellen“ – der Klappentext spricht gar von „seinem großen europäischen Roman“  – ist derzeit, lassen wir uns sagen, nominiert für irgendwas Wichtiges. Nach eingehender Lektüre können wir festhalten:

Erstens: Eine neue Idee zum „großen europäischen Roman“ – als einem klar abgegrenzten Gegenentwurf zur great american novel; einem konkurrenzfähigen neuen Konzept des Ineinsfallens von Form, Inhalt und Ideologem  hat Menasse da nicht ausgerollt. (Man wäre ja auch von sich aus gar nicht auf die Idee gekommen, so groß und nassforsch nachzufragen, aber wenn der Werbetext durchaus insistiert …) Ein dicht gewobenes Großstadtbuch hingegen durchaus, herschreibbar von mehreren existenten europäischen Romantraditionen; vom Leserhythmus und von der Struktur her vielleicht eher eine Sammlung von elf verknüpften Novellen als ein einzelner Roman (wobei bei Großprosa dieses Zuschnitts die Gattungsnamen ohnehin bloß noch von Interesse für die Buchhandelsketten und ihre Lageristen sind).

Zweitens: Dass es in diesem Text, der wie gesagt kein „großer europäischer Roman“ ist, um Europa dann doch sehr wohl geht, um Europa nämlich als Idee und Häufchen Elend Tatsachen, Europa als Geschichte und Gegenwart, als individuell bedeutungsgeladene Biographie und als Bündel von soziographischen Daten zu einem gegebenen Moment. Kaum überrascht sie uns, die sozusagen didaktische, die anscheinend aufs podiumsdiskussionstaugliche Argument abzielende Gegenüberstellung des Allgemeinen und des Besonderen. Sie ist narrativ festgemacht als ebensolches Gegenüber und Ineins von synthetischen und analytischen Erzählsträngen; als  Erzählerblick auf ein berührungsarmes Nebeneinanderleben in durchgängig wiedererkennbaren Strukturen, auf engem Raum – im Prolog etwa beginnen die Geschichten einiger unserer Protagonisten, kann man sagen, in Blickweite voneinander (plus-minus ein paar sichtfeldblockierende Mauern, klar) … Und zumindest darin, dass das Wort Protagonisten hier eindeutig und fett im Plural steht, und welcher Art die zur Verfügung stehenden Subjektivitäten – wieder Plural – sind, steht „Die Hauptstadt“ dann doch der great american Dingsda scharf gegenüber: Sozietät statt rugged individual und so.

Drittens: Dass des stetig am Laufen gehaltenen Interpretationsspiels zwischen den Zeilen hier ein wenig gar dick aufgetragen ist. Die multiple Aufladung der diversen Erzählobjekte, MacGuffins und Schauplätze mit Widersprüchlichem gehört, klar und in Ordnung, zum Standardprogramm ausgedehnter und nichttrivialer Erzählprosa; aber wenn wir bis in die Verzweigungen dieser Widersprüche das muntere „Einerseits-Andererseits“ der Staatsbürgerkundelehrer nachhallen hören …

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