Ritter Verlag Klagenfurt 2024 · ISBN 9783854156727
„… / und in bleierne täfelchen ihre gebete / und die ließen sie dann in gewässern und landschaften / die gebete umfassten zum ersten den namen des bittstellers / zum zweiten den namen des patrons oder der gottheit / und drittens die beschreibung des erbetenen wunschs / im detail / die namen lösten sich / die strömungen trugen die wünsche der wünschenden hin / so blieb blei in kanälen und quellen / so verblödete rom / aquae sulis minervae vertrottelte / wie im wasser das blei und im kinde das bleiwasser / so auch die gebete und flüche der römer in wurzeln / fabrikskellern zweigen / da liegen sie weiter gelöst und gebunden herum in der landschaft / da liegen auch wir herum / zirp zirp raschel zwitscher / schon wieder ist die grenze näher gerückt / sie liegt näher herum / schau mal die zypresse / schau mal die pinie / der verfasser erleidet rückfälle ins magische denken da die grenze näher rückt / (…)“
Man muss kein Goethe-Fan sein, um anzuerkennen, dass im Zauberlehrling die ganze Misere der Menschheit im Wesentlichen auf den Punkt gebracht wird: Die Geister, die ich rief, werd ich nun nicht los! Im Drang sein eigenes und das ihm dienliche Potenzial aller anderen Dinge zu entfesseln, hat der Mensch einiges erreicht, aber sich auch überall tief ins eigene Fleisch geschnitten, schlimme Verwüstungen hervorgerufen, die sich verselbstständig haben, selbstverständlich geworden sind. Ruft er die Götter um Hilfe an, ist besetzt: man hat wieder nur einen Menschen dran. Der modus operandi entpuppt sich als eine sich selbst fressende Schlange; ein Kreter, der sagt, dass alle Kreter*innen zu dumm sind, Dummheit zu erkennen. Gut, dass es nicht nur Metaphysik, sondern auch Lyrik gibt! In seinen Invokationen und Katabasen nimmt sich Stefan Schmitzer des Falles an und ruft allerlei Zeugen auf, von Sternen Captain Johan-Lukas Pickert über griechische Götter und Göttinnen (einmal im Körper von Conan dem Barbarbarbar Arnie Schwarzenegger) bis hin zu Dr. Sigi Freud. Es scheint allerdings, als wären all diese Zeugen ebenfalls viel zu sehr in ihre jeweiligen Potentialvorstellungen verstrickt; Schmitzer lässt sie manchmal einfach reden, manchmal nimmt er sie auch ins Kreuzverhör. Entlarvend ist seine Poesie so oder so. Wir kommen nicht überein und vieles überkommt uns, we shall overcome, but we won’t, cause c’mon: what comes next, wo kommen, wo kämen wir denn da hin! Die Frage nach dem Sinn, das Wissen Schmitzers Texte, stellt sich nicht, wird zu selten gestellt und wirkt dann oft gestellt. Doch da ist keine Stelle, die uns nicht sieht. Wir müssen unser Streben ändern. #bücher #bücherliebe #buchempfehlung #buchblogger #buchtipp #buchliebe #buchblog #literatur #bookstagram #bookstagramgermany #bookstagrammer #lyrik #lestmehrgedichte #lyrikband #neuerscheinung #gedicht #gedichte #gedichtband #lyristix #freud #jeanlucpicard #weltraum #athene #arnoldschwarzenegger
Timo Brandt, @lyristix
(…) Nicht der liebe Gott wird freilich bei Schmitzer angerufen, sondern unterschiedlichste Figuren der Weltgeschichte und des Mythos wie der russische Astrophysiker Nikolai Semjonowitsch Kardaschow, der in den ersten paar Invokationen gleich zu Beginn genannt wird, Dr. Sigmund Freud, Hephaistos, Zeus, Athene und Aphrodite, um nur einige zu nennen. Entgegen der Vermutung, dass Schmitzer antikisiere, muss festgehalten werden, dass seine Invokationen alle etwas sehr Heutiges haben. Der Autor (geb. 1979 in Graz) hat schon einige Texte vorgelegt und ist mit allen lyrischen Wassern gewaschen: Anaphern und Epanalepsen finden sich in seinen Texten genauso wie litaneiartige Wiederholungen und Metaphern (die er witzigerweise „Metaffer“ schreibt). In einem „prooemium“ genannten Eröffnungstext versichert das lyrische Ich, „rückfälle ins magische denken“ zu haben, „da die grenze näher rückt“. (…)
Nicole Streitler-Kastberger, poesiegalerie
„In seinem letzten Gedichtband hat Stefan Schmitzer die menschlichen Hinterlassenschaften auf dem Mond besungen. Mit ‚loop garou‘ kehr der Grazer Lyriker zwar auf die Erde zurück, blickt von hier aber in ebenso fremde Galaxien – nämlich jene der Beschäftigung mit Mythologie. In seinen Gedichten ruft er griechische Götter genauso an wie die Legenden von Sigmund Freud und Arnold Schwarzenegger – und konfrontiert sie mit dehr heutigen Problemen der Menschheit. Das Resultat sind stilistische und sprachliche Spielereien, die sich immer sehr nahe an der Grenze des Sagbaren und des Sinnvollen bewegen. Damit schafft er einen spannenden Spagat: Er schreibt eine Form von Zaubersprüchen, deren Ziel es ist, den Menschen zu entzaubern. Denn egal ob man vom Mond oder aus der Mythologie auf die Welt blickt, der Zustand dort ist alles andere als ein Gedicht.“
Christoph Hartner, Kronen Zeitung, 26. Juli 2024
Als Invokationen – Gottesanrufungen – bezeichnet Stefan Schmitzer seinen Lyrik-Prosaband „loop garou“. Das titelgebende Wortspiel verweist auf den französischen Werwolf, den musikalischen Loop, auf jene belgische Holzachterbahn, die ebenfalls mit dem Gleichklang loop/loup spielt. Die angerufenen Götter sind große Österreicher (Sigmund Freud, Arnold Schwarzenegger) und mythologische Figuren der Antike (die euleneugige Athene, Aphrodite, Haphaitos, der griechische Gott des Feuers). Meditative Für- werden zu Fluchbitten: „seine texte umfassen erstens den namen des bittstellers / das ist das lyrische ich zum zweiten den namen der / gottheit das ist das bundesministerium für kunst kultur / öffentlichen dienst und sport oder sollte da stehen / publikum“), die Seite für Seite derber, auch sprachlich sinnverrückter erscheinen: „träum fesch feschm hausfarau / taräum feschn hausfarau rau“ inkl. mythologisch überhöhtem Hass auf Kleinfamilien, wie im Gedicht „invokation von hera mit den weißen armen“, wo Eltern mit ihren Kinderwägen auf ein misanthropisches, lyrisches Ich treffen, das sehr österreichisch schimpft über „stromlinienförmige pimmel / und stromlinienförmige vulven / denen stromlinienförmige babies entgleiten“. Anspielungsreich ist der informierte Horizont, von Benns „Letzter Frühling“ mit seinen Forsythien bis zu Homers „Ilias“ und die berühmt gewordene Beschreibung des Achill-Schildes. Lyrik zwischen William S. Burroughs, H.C. Artmann und Ernst Jandl, versponnen wie der Name von Schmitzers experimenteller Musikformation „fun + stahlbad“ (mit Bassist Michi Merkusch und Avantgarde-Komponist Denovaire). Nach einigen zaubermächtigen Wortquadraten (mehr Teekessel, weniger Sator/Tenet) folgt ein absurder Prosareigen, wo Käfer auftauchen, die über Linguistik debattieren und Giraffen mit Hasen-Gummimasken. Absurde Sprachkunst aus dem Umfeld der verdienstvollen Grazer Literaturzeitschrift „manuskripte“. Anspieltipp: Schmitzer rotzige Lyrikline-Lesungen. Laut gelesen = doppelter Spaß: „schau mutter sie haben so fette motoren / die machen rmml rmml rmml rmml brmm brmm brmm“
Jan Drees, @lesenmitlinks
„Das ist klug, das ist eigensinnig, das ist extrem komisch überzeichnet, und, finde ich, auch wirklich überzeugend.“ (Christian Metz) – „Er ist natürlich mit allen Wassern der Avantgarden gewaschen. Seine poetischen Ahnen sind die Beatpoeten, die österreischischen Sprachmagier, von Ginsberg über Jandl bis zu Artmann.“ (Maren Jäger)
Deutschlandfunk Büchermarkt mit Jan Drees, Maren Jäger und Christian Metz, 30.07.2024: Kritikergespräch zu Agi Mishol + Stefan Schmitzer