Das werden Sie nicht wissen, verehrter Eichenbaum ganz oben auf dem Burgberg (… der heißt doch Burgberg, oder; also: hinten rauf das Gipfelchen?); das wird auch Sie, oh Relieffigur auf jener alten Quelleneinfassung, wo ich mich jüngstens wiederfand, kaum interessieren, aber: stellen Sie sich einmal vor:
Es war einmal ein österreichischer Schriftsteller, der hieß Thomas Bernhard. Thomas Bernhard war zwar ungesund fasziniert von jenen Restchen adeliger Lebenskultur in Österreich, denen weder die erste Republik, noch die Hitlerei, noch auch das Habsburgergesetz der zweiten Republik den Garaus hatten machen können (Kurzfassung: »Auf dem Papier« gibt’s zwischen Neusiedler- und Bodensee keine Adeligen mehr.
Du kannst Dich »Graf« oder »Freifrau« oder so nennen ODER Du kannst Österreicher sein, nicht beides; aber nicht alle Schlösser und nicht alle angestammten »Verhältnisse« wurden restlos genug entsorgt; auch gibt es Kreise, die das Verbot schlicht ignorieren – das sind dann freilich anders Gestörte als Ihre-hier p. t. bundesdeutschen Blaublüter, aber von dieser Schrulle abgesehen war der Thomas Bernhard eine stabil erfreuliche Figur, verlässlich gegen das Schlechte und für das Gute (das heißt in Österreich: Eh gemütlich gegen alles).
Für zwei Eigenheiten waren seine Bücher besonders bekannt: Erstens die besonders langen, absichtlich komplizierten Sätze, und zweitens die besonders wiederholten, absichtlich abstrusen Übertreibungen. Seine Bücher waren meistens tendenziell lustig gemeint und wurden stets verlässlich als feierlich-dramatisch-ernsthaft missverstanden. (Auch, weil sein Sinn für Humor äh . . . wenig mehrheitsfähig war – und Bernhard hat’s den Leuten natürlich nicht ausgeredet, seine Bücher ernst zu finden . . . war ja sein Geld.)
Anyway. Es schrieb der Bernhard mehrere Theaterstücke. Eins davon hieß »Heldenplatz«. Darin ging es um alte und neue Nazis in Österreich; um die Begeisterung »der Leute« auf dem, wenig überraschend, Heldenplatz in Wien, anlässlich des Anschlusses ‹38; darum, wie der Unfug in Familienstrukturen fortlebt. Es wurde damals, bei der Uraufführung im Burgtheater, protestiert; gegen die »Nestbeschmutzung« durch die »Elitenkultur«, die Herablassung »der Intellektuellen«, die glaubten, sie seien was Besseres, und für die offenbar ein jeder Patriot ein Nazi sei.
Beispielsweise standen auf dem Balkon und in den Logen damals junge Menschen mit lustigen Fantasieuniformen, die das Stück aus den genannten Gründen ausbuhten (und immerhin: sie ließen sich’s den Preis je einer Eintrittskarte kosten). Einer dieser damals jungen Menschen ist lustigerweise der jetzige Vizekanzler der Republik Österreich – wie das Schicksal so spielt, nichtwahr, Schwarzwald-Wald? –, der auf anderen privaten Fotos aus jener Lebensphase zu sehen ist bei paramiltärischen Übungen, pardon, falsch, das heisst ja jetzt »beim Paintballspielen«.
Übrigens: Eine der bekannteren der besagten Übertreibungen von Thomas Bernhard, du lieber Eichenwald ob der Hausacher Burg, stammt nicht aus »Heldenplatz«, sondern aus dem Dramolett »Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen«. Sie ermöglicht dort, als eine besonders erkennbar übertriebene Übertreibung und obendrein besonders lustig verkürzte Verkürzung, dass sich der »Nestbeschmutzer« Bernhard über seine eigene Rolle im zeitgenössischen Österreich von 1986 lustig machen konnte. Wir lassen, 2018, die übertriebene Übertreibung mal so stehen, du liebes Blätterwerk im Frühlingslicht, und kontemplieren die Veränderlichkeit der Verhältnisse, ja?
PEYMANN (tritt mit mir in die Zauberflöte ein, und wir setzen uns, nachdem er die Speisekarte gelesen und sich etwas ausgesucht und sich in der Zauberflöte umgesehen hat): Wer ist denn das?
ICH: Der Vizekanzler / ein Nazi (…)
PEYMANN: Und die dort?
ICH: Das sind lauter Nazis.
PEYMANN: Und die andern?
ICH: Das sind lauter Dummköpfe und Nazis.
PEYMANN: Und die Kellnerin?
ICH: Die ist katholisch und kennt alle und weiß von nichts.
PEYMANN: Na dann bestellen wir doch einfach Rindsuppe […]