“Flirren”, Meere und Giganten

Erschienen am 13. März auf KiG!

Am 29. Februar war im Literaturhaus Graz die Buchpremiere von Helwig Brunners Roman “Flirren” – Klima-SciFi, die im lebensfeindlichen Alpenvorland eines verbrannten fünfundzwanzigsten Jahrhunderts spielt, sprachlich-klanglich wohleingerichtet und inhaltlich doppelgesichtig: einerseits die einladend weirde Ausfaltung von technologischen, ökologischen, sozialen Sachverhalten in einer Welt, die noch nicht die Unsere ist, andererseits (soweit bei der Lesung eben absehbar) die schiere psychologische Normalität der Szenen, Figuren, Handlungen … Ersteres reizt unmittelbar, zweiteres reizt aufgrund der “Fallhöhe” zu ersterem.

Auffällig war dem Zuhörer die Textstelle, die einen ganz wörtlichen Upload von Information in die Gehirne von Jugendlichen schildert – nicht als Behauptung “von außen”, sondern als versuchte Abbildung davon, wie sich so ein Upload wohl “von innen” anfühle. Die Szene ist als Erinnerung des erwachsenen Protagonisten gerahmt, der daran zurückdenkt, wie er als junger Mann aus seiner ersten Upload-Prozedur erwachte, und wie er sich da wiederum rekursiv und reflexiv erschloss, was er nun, nach dem Upload, über die Dinge in der Welt wisse, das er vordem nicht gewusst hatte, und wie dieses Wissen strukturiert sei. Der Erwachsene denkt also daran zurück, wie er als Jugendlicher zuerst bemerkt, dass er nur denktdass er [etwas Bestimmtes] denkt – und dann, wie sich dieser Erkenntnismoment auch nur je im Nachhinein greifen lässt: Brunner gelingt in dieser multiplen Verschachtelung das Kunststück, das notwendig Paradoxe am menschlichen Bewusstsein greifbar vorzuführen, stets die Re-Konstruktion seiner selbst zu sein. Dass er (und/oder sein Protagonist) dann im weiteren Gang der Handlung zwischen einem vorgängig natürlichen und einem nachgängig manipulierten Bewusstsein unterscheidet, welch letzteres sich allein nicht mehr sicher sein könne, woher die eigenen Gedanken stammten – das ist dann entweder die kulturpessimistische Metapher für post/meta-moderne Bewusstsein anno 2024, ausgedacht von jemandem, der noch an eine immaterielle Seele (oder wahlweise an die vulgärmarxistische Variante des Entfremdungspostulats) glaubt, oder es ist die adäquate Abbildung der verkürzten Gesellschaftskritik des sich gewitzigt dünkenden Halbwüchsigen im Narrativ. So oder so nimmt der zweite Schritt dem ersten nichts von seiner Wucht.

Das andere, was vom Leseabend hängen blieb, waren (…)

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Teil Zwei von Eins – zu Richard Schuberth, „Rückkehr des Dschungels“

Erschienen am 01.02. in Tagebuch – Zeitschrift für Auseinandersetzung

Richard Schuberth hat seine Karriere irgendwann als Kabarettist begonnen. Inzwischen ist er als Verfasser von Texten aller Gattungen gut im Geschäft: historische Monographien, Glossen und Rezensionen, Drehbücher, Cartoons, Romane … Seinen Produkten gemeinsam ist dabei eine explizite Orientierung an K. Kraus‘ Modus der Kritik an Herrschaftssprache als notwendig blöd; weiters seine umfassenden Kenntnisse betreffend Anspruch und Wirklichkeit von zweihundert Jahren linker Real- und Diskursgeschichte; drittens, dass seine Sachen meist tatsächlich unterhaltsam sind.

Schuberths besonderes Fachgebiet ist die effektive Denunziation von Identitätsdiskursen als stets ideologisch – der Nationalideen als Produkt von Romantik und Halunkentum. Diesen Zusammenhang (…)

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„She’s awake!“

Erschienen am 25.01. auf Kig!

Staffel vier von True Detective ist seit 15. Jänner über z. B. Sky Österreich erhältlich.

Staffel eins (2014) – Sie erinnern sich, Leser:in, an “Time is a flat circle” und Mattthew McConaughey und Woody Harrelson, die durch Louisiana cruisen – war ein Triumph des intertextuellen Schreibens für den kleinen Bildschirm gewesen, dargeboten in acht beinahe perfekten Folgen. Autor und Showrunner Nic Pizzolatto hatte x Jahre Zeit gehabt, am Skript zu feilen, und das Ergebnis war eine Krimiserie, die stilistisch und thematisch vielfach in der Literaturgeschichte Amerikas, in den Schauergeschichten von Poe, Lovecraft und insbesondere Robert Chambers wurzelte. Das heißt auch, dass diese beiläufig acht Stunden Fernsehen ganz ähnliche Motive von sozialer und emotionaler Unbehaustheit, vom Fragwürdigwerden des manifest destiny der US-amerikanischen Historie aufriefen und auf den Punkt ihrer Bildwelt brachten wie jener literarische Kanon zu seiner Zeit – aber vom anderen Ende des short twentieth century und seiner Katastrophen her. Innerhalb der Fiktion hieß das, die immergrüne paranoide Mär von den rituell Kinder fickenden Eliten gerade so zu erzählen, dass es für unsere detectives unerheblich erscheinen konnte, ob das Verschwörungsblabla der Kultisten auf irgendwelche wirklichen Übernatürlichkeiten verwies, oder doch nur wieder auf die üblichen gegenseitigen Protektionen und Erpressereien.

Staffel zwei (2015) litt unter gar zu überstürzter Produktionszeit und Dissens zwischen Pizzolatto und Co-Produzent Cary Fukanaga. Innert eines Jahres wurde, vom großen Erfolg von Staffel eins angetrieben, eine unebene Neo-Noir-Story in die Empfangsgeräte gestemmt. War der Hallraum für die detectives Rust und Cole in Staffel eins die Tradition des american gothic, so reichten die intertextuellen Dendriten von Staffel zwei erstens nach der klassischen pulp-noir-Tradition (klar bei Los Angeles als Schauplatz), zum anderen ins griechische Altertum. Der Teil der Story Colin Farrell, Rachel McAdams und Taylor Kitsch als mehr oder weniger dirty cops und Vince Vaughn als Gangster-Antiheld (das intertextuelle Repetitorium, das Mythen, Beat-Lyrik, die Produktionsgeschichte des frühen Noir, und (wie dieser) auch die Sozialgeschichte der Besiedelung des kalifornischen Längstals aufrief) funktionierte denn auch hervorragend. Allein, die Krimihandlung holperte. Die ersten Folgen waren schon fertig gedreht und an ihnen war kaum noch etwas zu ändern, als sich anscheinend im writer’s room (= Pizzolattos Cranium) die Erkenntnis breitmachte, dass man sich da wohl vergalloppiert hätte: In den letzten drei Folgen wimmelt es erkennbar von narrativen Notlösungen. Wohlgemerkt: Der Verfasser dieser Zeilen liebt diese zweite Staffel weit mehr als die erste und die dritte, vor allem der gefühlten Tiefe wegen, die daher rührt, das allerhand widersprüchliches, der Form widerstrebendes Zeug nicht mehr weggefeilt werden konnte. Treu blieb die Produktion der undeutlichen Unterscheidung zwischen (innerhalb der Fiktion) wirklicher Jenseitigkeit und dem bloßen verbrecherischen Wirken einer banalen Kabale; erneut prägte es die Atmosphäre, dass der Unterschied zwischen mystischer Einsicht in höhere Welten und deliriöser Wirklichkeitsverweigerung für die Detektive aber praktisch keiner war.

Bei Staffel drei (2019) …

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Hommage für Werner Schwab: Nostalgie nach Grazkunst

Erschienen am 18. 01. 2024 im ND

Unter dem Titel »Schwabgasse 94« bringt Regisseur David Bösch eine »Hommage an Werner Schwab« auf die Bühne des Grazer Schauspielhauses. Die Collage mit den »Greatest Hits« des jung verstorbenen Enfant terrible lässt 30 Jahre nach seinem Tod erkennen, was an seinem Werk für die hinterbliebene Kulturszene seiner Heimatstadt zur nostalgischen Projektion taugt – und was, zum Glück, nicht.

Das deutsche Feuilleton gab dem distinkten Duktus dieser Stücke – sie hießen etwa »Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos« oder »Endlich tot, endlich keine Luft mehr« – noch zu Lebzeiten des Autors, in jenen wenigen Jahren seines plötzlichen internationalen Erfolgs Anfang der Neunziger, einen eigenen Namen: Er schrieb nicht deutsch, sondern »schwabisch«. Es ist sicher verfehlt, den 2024 zeitgenössischen Regietheater-Mainstream, der mit Textflächen operiert, ausschließlich aus dem Erfolgszug dieses »Schwabischen« herzuleiten. Aber es ist plausibel, dass das initiale Interesse der Theatermacher um 1990 an Schwabs Texten sich nicht zuletzt den speziellen neuen Freiheiten verdankte, die seine Sprache ihnen bot.

»Schwabisch« erscheint der oberflächlichen Betrachtung wie eine Kunst-Karikatur der österreichischen Alltagssprache. Es zeichnet sich erstens aus durch eine genaue Verwendung der Zeiten, insbesondere der Vorzukunft; zweitens dadurch, dass Abstrakta durch Hinzufügen unbestimmter Artikel in konkrete Gegenstände verwandelt werden; drittens durch Nominalisierungen, die die Welt der Sprecher*innen in ein klaustrophobisches Sammelsurium von unverwandt herumstehenden Sachen verwandeln, den Unterschied von toter und belebter Natur aufheben. Dem entspricht inhaltlich, dass in Schwabs Bühnenuniversum Personen stets Sachen unter anderen sind, selbstverständlich bloße Mittel zum Zweck für Stärkere. Dieses Verhältnis von Machthaber und Opfer kann sich wieder und wieder drehen, wird aber nie qualitativ verwandelt werden. Der vergebliche Wunsch nach solcher Verwandlung ist das Energiereservoir der bitteren Komik, die den Stücken eignet.

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Danton’s Clown World!

Erschienen am 02. 01. 2024 im ND

Ein Lieblingsbegriff rechter Online-Trolle, um die Gesamtheit der Errungenschaften der Aufklärung seit der Französischen Revolution bündig abzukanzeln, lautet »Clown World«. Die Clowns seien Clowns, weil sie die »natürliche Ordnung« zum eigenen Nachteil ignorierten. Johan Simons’ Inszenierung von »Dantons Tod« im Wiener Burgtheater macht die Wendung für eine Selbstkritik linken Geschichtsbewusstseins seit Georg Büchner produktiv. Und auch körperlich spürbar.

Büchners dramatische Bearbeitung der Konflikte wichtiger Gruppierungen wie Individuen der Französischen Revolution spielt auf dem Höhepunkt der sogenannten Terrorherrschaft im Frühjahr 1794. Die Bühne im Burgtheater aber ist eine Zirkusmanege, die gern ein Hörsaal wäre – oder umgekehrt. Im Souffleurkasten befindet sich ein Souffleur (Ole Lagerpusch), der gelegentlich hervorkommt und sich in das Spiel der Herren Machthaberfiguren einmengt. Zunächst ist er, wie es scheint, von dem Impuls geleitet, es gehe hier eigentlich doch um ihn! ihn! ihn!, aber rasch wird der kindliche Narzissmus an seinen Platz am Rande verwiesen.

Er wird oft zurückkehren als Allzweck-Gegenüber für die tatsächlichen Akteure von »Dantons Tod« im Burgtheater. Er wird …

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“Winter-/Welt-”

Erschienen auf KiG!

Heinrich Heines satirisches Epos “Deutschland. Ein Wintermärchen” hat bekanntlich den Moment zum Höhepunkt, wo der Protagonist, da er Auskunft über Deutschlands Zukunft begehrt, von der Hamburger Schutzgottheit Hammonia aufgefordert wird, sich mit dem Gesicht über das Orakelbecken zu beugen – nämlich die tausendjährige Kackschüssel von Karls des Großen Leibstuhl:

„Die Zukunft Deutschlands erblickst du hier
Gleich wogenden Phantasmen,
Doch schaudre nicht, wenn aus dem Wust
Aufsteigen die Miasmen!“

Was ich gesehen, verrate ich nicht
Ich habe zu schweigen versprochen,
Erlaubt ist mir zu sagen kaum,
O Got! was ich gerochen! ––

Die lange, satirisch erzählte Reise durch ein Deutschland, welches die Folgen der Aufklärung und der französischen Revolution noch nicht so recht verdaut hat, gipfelt somit darin, dass der Kopf des scharfsinnigen intellektuellen Beobachters gewissermaßen von den guten Geistern Deutschlands in die Scheiße getunkt wird. Wen das ins Recht bzw. ins Unrecht setzt – den humanistisch urteilenden Welt-Insassen, oder die in-humanen Geister der Vorzeit – lässt Heine noch offen. Marx, etwas später, ist deutlich parteiischer – “Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden” –, aber ihm ging’s ja auch gerade nicht um die deutschen Gespenster, sondern um die französischen. Der Preis der geschichtsphilosophischen Erkenntnis und politischen Orientierung im Jetzt ist jedenfalls der buchstäbliche Mief.

Der Ton bei Heine ist volkstümlich, locker, sangbar – demokratisch. Das jüngst bei kookbooks erschienene Gedicht “Deutschland. Ein Weltmärchen” von Daniel Falb dagegen (…)

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Zukunft der Rückeroberung

Erschienen in Tagebuch #11/2023

Über Milo Rau, ab ’23 Festwochenintendant in Wien, weiß auch der mäßig interessierte Gelegenheits-Theatergeher, dass er ein Aktivist sei. Raus Projekte haben gemeinsam, dass sie vom Theater aus auf die soziale Wirklichkeit abzielen, die das Korrelat des je theatral Inszenierten ist. Und zwar: auchnach Maßgabe ästhetisch-diskursiver Rücksichten, aber vor allem so, dass die Organisationsformen und Freiräume der Kunstwelt für praktische, also parteiische Interventionen in sozialen Kämpfen nutzbar werden. Nicht die geringste Leistung dabei ist, so zu agieren, dass die resultierenden Arbeiten auch von der nur-kunstweltlichen Warte her gesehen stets unanfechtbar sind. So bleibt (…)

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“Canvas”

Erschienen auf KiG!

Diese Rezension wird erscheinen, wenn es das Stück, das in ihr besprochen werden soll, für’s Erste nicht mehr live in Graz zu sehen geben wird. Das ist schade, aber es ist eine unvermeidlicher Effekt dessen, was ich die verschwenderische Ader des zeitgenössischen Musikbetriebs nennen möchte. Nina Šenks Oper “Canvas”, uraufgeführt am 08. 10. dieses Jahres im MUMUTH beim musikprotokoll als das Preisträgerwerk des Johann-Joseph-Fux-Opernwettbewerbs, hätte mehr Aufführungen durchaus hergegeben, bzw. wäre sich selbst noch als Repertoirestück ganz komfortabel ausgegangen, wie ich denke. Nur vier Abende sind für den betriebenen Aufwand nicht viel (wenn auch das Verhältnis zwischen Gesamtkosten inkl. Personenstunden und Besucher:innenzahlen wohl immer noch deutlich günstiger ist als bei ähnlichen Produktionen an der Staatsoper, aber was sagt das schon). Eigentlich wäre es natürlich egal – eine Gesellschaft, die sich einen Karl Mahrer als nicht amtsführenden Wiener Stadtrat leisten kann, wird sich gefälligst auch leisten können, Kunstprogramm für die Geschmacks- und Diskursnischen ordentlich zu alimentieren.

Aber “Canvas” müsste eben, und das ist mein Punkt dabei, kein solches Nischenprogramm sein, obwohl das Stück der doppelten Nischengattung der (1) zeitgenössischen (2) Oper angehört, für kleines Ensemble und (wenn ich richtig gezählt habe) sieben Sängerinnen. Mitnichten bleibt Šenk hinter den kompositorischen Möglichkeiten des einundzwanzigsten Jahrhunderts zurück, obwohl die Musik der Oper nicht auf sich aufmerksam macht, sondern gänzlich auf das Erfüllen ihrer dramatischen Funktion ausgerichtet ist – das Erzeugen einer unhintergehbaren, außeralltäglichen Intensität, die uns emotional und intellektuell punktgenau für das verhandelte Thema öffnet.

Der gleiche Sachverhalt lässt sich auch als vorsichtige Kritik formulieren; in dem Sinne, dass die schiere Komposition für sich allein wenig dramaturgische Dynamik habe – sie erzeugt wie gesagt Intensität, und da hängt diese dann als akustischer Goldgrund über und hinter den Körpern und Stimmen der Sängerinnen, und fertig –, aber im Gesamtzusammenhang des Bühnengeschehens kommt die Dynamik eben anderswoher, und ist dann deswegen nicht weniger dynamisch. Die nur-musikalische Dimension des Werks leistet aber außerdem noch etwas anders, und zwar das Auslegen von harmonischen context cues – nicht eben direkten Zitaten aus der Musik des neunzehnten Jahrhunderts, zumal der italienischen Oper, aber doch sozusagen kleinen Öffnungen des unmittelbaren zeitlichen und dramatischen Raums auf einen größeren Referenzraum hin, welche verdeutlichen, dass wir all das Geschehen auf der Bühne, seiner narrativen Substanz nach, hier nicht zum ersten Male sehen und hören – sehr wohl aber um ersten Mal von dieser Warte aus mitempfinden.

Inhaltlich nämlich handelt es sich um eine Umkehrung der Don-Juan-Erzählung/en: Wir hören und sehen vier ineinander verwobene Frauenmonologe, die (wie wir weder gezwungen noch abgehalten werden, uns zu denken) von dem selben Mann handeln; von Varianten dessen, was es bedeuten könnte, zu lieben oder sich zu sehnen; und zwar zu lieben oder sich zu sehnen als materiell abhängige Frau – was einst sicherlich eine Tautologie war und inzwischen, vielleicht, mit viel Glück, in manchen Weltgegenden, keine Tautologie mehr sein muss; und die offene Frage, ob und unter welchen Bedingungen dies gilt oder nicht, ist die Leerstelle oder Wunde im Zentrum des Stücks.

Will sagen, erzählt wird stets auch von dem Machtgefälle zwischen den Sprecherinnen und diesem Mann, diesen Männern.

Šenk folgt hierin, wie uns das Programmblatt des musikprotokolls beauskunftet, einer literarischen Vorlage ihrer slowenischen Landsmännin Simona Semenič, die auch das Libretto verantwortet, und montiert die Abfolge der Erzählungen um das Sterben einer der Protagonistinnen im Krankenhausbett herum. Gern wüsste man, ob die Anordnung derjenigen in Semeničs Urtext entspricht oder, den musikalischen Anforderungen entsprechend, für die Oper geändert wurde.

Sparsam inszeniert, und wie gesagt auf intensive Musik mit wenig dynamischem Potential aufgetragen (die darin der titelstiftenden Leinwand – “canvas”, auch die ein aufgespanntes Gewebe notwendig gleichförmiger Fäden – gut entspricht), lebt Šenks Stück in den Stimmen seiner Sängerinnen. Sie halten – hielten zumindest bei der Aufführung im MUMUTH – die narrativen Stränge und ihre Stimmungen für das genauere Zuhören unterscheidbar, während sie zugleich “im Ganzen” die These von der Gleichförmigkeit, tendenziell gar Austauschbarkeit unterstreichen, zu der patriarchalische Zurichtung das weibliche Erleben und Begehren verurteilt: wenn wir empathisch hören, erscheinen die Differenzen – wenn wir distanziert, “musikalisch” hören, dann sehen wir uns einem Oratorium gegenüber – wiederum einem “Gewebe”, einer “Leinwand”.

Passenderweise markiert der einzige Moment, an dem das sich die eben ausgebreitete Formbestimmung der Musik von Nina Šenk ändert, auch den einzigen Moment in der Erzählhandlung von “Canvas”, über die sich kontrovers reden lassen muss. Denn am Höhepunkt der Handlung, etwa in der Mitte der zweiten Hälfte, verstummen die Instrumente völlig, und das Narrativ ist an dem Punkt angekommen, wo es auf die eindringliche Schilderung jenes Falls von sexualisierter Gewalt hinausläuft, den das Publikum von Anfang an kommen sehen konnte: die Sprecherin der Figur, an der sich das Zerstörungswerk vollzieht, erzählt in die Stille hinein ins Publikum.

Anders als so ginge das in diesem Kontext gar nicht; auch ist die Drohung des Mannes (jedes Mannes) mit Vergewaltigung eine dauernde, unausgesprochene Präsenz in “Canvas”, von Anfang an; dennoch und zu Recht reißt einen das Ereignis völlig aus dem kontemplativen Musikgenuss raus. Die Wahrnehmungsebene, auf die es zumindest mich statt dessen zwingt, ehe die Musik wieder losgeht, ist …

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„Oskar Submerges“

Erschienen auf KiG!

In Izola, Slowenien existiert seit kurzem ein auf Export in den englischen Sprachraum orientierter kleiner Verlag. Von den bislang neunundfünfzig Einträgen in seinen Katalog haben, soweit überblicksweise erkennbar, nur drei irgendwie mit dem psychogeografischen oder literarhistorischen Raum Slowenien / Balkan / Istrien zu tun. Der Rest ist mit Nachdruck exterritorial, und wirkt in 2023 immer noch trutzig postmodern (will sagen: eine Ästhetik, die sich, obwohl die Bücher hochwertig gefertigt sind, an Neunziger-Zine-Kulturen orientiert, gibt Widerstand gegen den Siegeszug der Metamoderne erkennen).

Bei Durchsicht der Titel stellt der Eindruck sich ein, man wolle so etwas wie ein Raumschiff sein, das aus seiner distanzierten Umlaufbahn in jede beliebige Diskurslandschaft drunten auf dem Planeten Zeug beamen kann, zur Belehrung, Freude oder Verwirrung der Einheimischen. Dass chief editor Rick Harsch auch eigene Titel am Start hat, zuvorderst die drei Bände der anthological novel „The Assassination of Olof Palme, a people‘s novel“, könnte (sollte?) ein Alarmsignal sein, ist aber interessanterweise keines …

Seit wann genau jener Verlag existiert? – Einen guten Hinweis darauf gibt der Verlagsnamen „corona\samizdat“. (Und nein, da sind keine „maßnahmenkritischen“ Seuchenfreund:innen im Programm; C\S verbreitet sein „Samizdat“ nicht gegen, sondern verbreitete es ursprünglich mal halt während „Corona“). Knapp sechzig Titel also, in ca. drei Jahren: keinesfalls patschert.

Auch nicht patschert, sondern im Gegenteil eine Übung in außergewöhnlicher stilistischer Wendigkeit ist das Buch, das mich auf C\S zuerst aufmerksam gemacht hat. In seinem:ihrem Debütroman „Oskar Submerges“ bietet der:die Amerikaner:in Zachary Tanner klassisch-rhetorisch geschultes Stilvermögen auf, große Sensibilität und einen Anspielungsreichtum, der einige Belesenheit vermuten lässt, vor allem in der Prosa der Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert (Freud und Proust drängen sich auf) und in den Sci-Fi-Pulp-Arkana der Sechziger-Siebziger. Der literarische Gegenstand, über den Tanner dieses Füllhorn leert, ist ein dicht synästhetisches, durchaus pornographisches Weltraum-Noir in einem Setting von psychedelischer Wucht:

Die Menschheit (…)

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„chiba city blues“ – ein dialog mit chatgpt

Erschienen in Versorgerin #139

hey chatgpt. du kennst den ersten satz von william gibsons »neuromancer«?

Ja, der erste Satz von William Gibsons »Neuromancer« lautet: »The sky above the port was the color of television, tuned to a dead channel.« Dieser Satz ist sehr bekannt und prägt direkt zu Beginn die düstere und technologisch geprägte Atmosphäre des Buches. »Neuromancer« ist ein bahnbrechender Science-Fiction-Roman, der den Begriff »Cyberpunk« geprägt hat und die Themen Künstliche Intelligenz, Virtual Reality und die Verschmelzung von Mensch und Maschine erkundet.

genau. lustig daran ist ja auch, dass sich seit der erstveröffentlichung mehrmals geändert hat, wie so ein »dead channel« aussieht.

Ja, das ist definitiv interessant! Der Satz »The sky above the port was the color of television, tuned to a dead channel« wurde erstmals 1984 veröffentlicht, als Fernseher noch hauptsächlich Röhrenbildschirme hatten und das Bild eines »toten Kanals« oft als Rauschen oder ein flimmerndes, farbloses Muster erschien. Mit dem Fortschritt der Technologie haben sich jedoch die Arten von »toten Kanälen« geändert. Moderne digitale Bildschirme zeigen oft eine Art statisches Rauschen, ein blauer1 Bildschirm oder einfach ein schwarzes Bild (…) Dies führt dazu, dass der Satz je nach Zeitpunkt der Lektüre und dem technologischen Kontext unterschiedlich interpretiert werden kann. (…)

ich glaube mich zu erinnern, dass jener satz auch die erste verwendung einer literarischen »naturmetapher« war, bei der das objekt der metapher, also das beschriebene, ein naturphänomen war, und die »natur«, die als vergleichsgröße dient, aus dem technischen bereich stammt.

(…) Diese Art von umgekehrter Naturmetapher ist charakteristisch für den Cyberpunk-Stil und spiegelt die Verschmelzung von Technologie und Natur wider (…) Sie unterstreicht die Vorstellung, dass Technologie und menschliche Erfahrung miteinander verflochten sind und oft nicht mehr klar voneinander zu trennen sind. Dieser Stil und diese Herangehensweise an Metaphern sind ein weiteres Merkmal, das »Neuromancer« zu einem wegweisenden Werk im Bereich des Cyberpunk macht.

dir ist klar, dass es leute gibt, die glauben, du bist ca. wintermute?

Ja, ich verstehe, dass es Menschen gibt, die humorvolle Vergleiche zwischen mir und den KIs in Science-Fiction-Werken wie »Neuromancer« anstellen. (…) Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass ich nicht Wintermute oder eine eigenständige bewusste Entität bin. Ich bin ein Produkt von OpenAI’s GPT-3-Technologie, die auf Mustererkennung und Textverständnis basiert. (…)

schon klar. du bist ein auto-complete-programm, das gut genug ist, um ergebnisse zu liefern, die, wenn man nicht zu genau hinsieht, eben »gut genug« sind. 

Ja, das trifft es ziemlich gut. Ich bin ein Text-generierendes Modell, das darauf ausgelegt ist, auf eine Vielzahl von Anfragen zu antworten und menschenähnlichen Text zu produzieren. Ich basiere auf dem maschinellen Lernen und habe eine umfangreiche Menge an Textdaten verarbeitet, um Muster in der Sprache zu erkennen und darauf zu reagieren. Allerdings gibt es Grenzen für meine Fähigkeiten und Genauigkeit. Es ist wichtig zu beachten, dass meine Antworten auf den mir gegebenen Eingang und die verfügbaren Daten beschränkt sind, und es können Fehler oder ungenaue Informationen auftreten (…)

… und trotzdem wird das ausreichen, dass du in allen zusammenhängen, wo es hauptsächlich drum geht, quantifizierbare parameter zu erfüllen, also soundsoviele zeichen zu einem thema zu liefern, die ein mensch dann nur noch auf fehler gegenlesen muss – also im bereich des journalismus und der unterhaltungsindustrie – die arbeitsmärkte ruinierst (nichts für ungut!).

Deine Bedenken sind verständlich, und es gibt tatsächlich Diskussionen darüber, wie die Verwendung von KI-generierten Texten in verschiedenen Bereichen (…) die Arbeitsweise und den Arbeitsmarkt beeinflussen könnte. KI-generierte Texte können in der Tat dazu beitragen, große Mengen an Inhalten effizient zu produzieren, aber sie können auch ethische, Qualitäts- und Authentizitätsfragen aufwerfen (…)

ich habe in einem podcast2 die schöne denkfigur gehört, wonach du das genaue gegenteil der erfindung johannes gutenbergs darstellst: plötzlich (…)

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Lyrik und Diskurs – Über Y. Breyger, „Frieden ohne Krieg

Erschienen in Tagebuch #7/8 2023

ich flieg über bergkämme, ich flieg über flusstäler / ich fliege über den mount-ich und tauch durch nen / SPEICHELOZEAN / es ist ein krieg in mir, der will mich ziehn / zieht aber andre / und ich denk mich nur / denk hin /// * Nach dieser Zeile bricht der Krieg aus

So weit die Vorrede, die Yevgeniy Breygers neuen Gedichtband „Frieden ohne Krieg“ einleitet: metaphorische Flughorizonte, vor denen der bloße Begriff „Krieg“durchaus Platz hat – nicht aber die Wirklichkeit des Krieges, nämlich des Krieges Russlands gegen Ukraine.

Im Februar ’22 stoppt Breygers autofiktionaler Sprecher seine Arbeit an dem Buch, aus dem die oben zitierten sieben Zeilen stammen. Was er statt dessen vorlegt, ist eine Art poetisches Journal angesichts jenes Krieges, zugleich Arbeitsbericht und -produkt; investigative poetry im engeren Sinn. Breyger unternimmt dabei nicht viel mehr, als seine eigene Existenz als deutscher Jude mit russischer Muttersprache und mit Familie in Charkiv während des Kriegsjahres 2022 zu reflektieren und zu dokumentieren. Aber das ist schon viel: zugleich voll auf der Höhe von Breygers beträchtlichen poetischen Mittel und allgemeinverständlich, von polit-diskursiver Schärfe und entwaffnender Einfachheit.

Das lange erste Kapitel („Heimkern“) beginnt mit dem Moment, da Breygers Angehörige während des zweiten Weltkriegs vor den Deutschen aus Charkiv fliehen müssen, und spannt einen Bogen in die Gegenwart:

abends sitz ich im restaurant und sprech ein wenig russisch / da fällt mir ein, 2 sprachen sprech ich jetzt / deutsch, russisch, einmal die, die meine leute massengemordet / einmal die, die in deren fußstapfen treten wollen und meine andren leute / umbringen

Breyger rekurriert, scheinhaft unkompliziert, auf sich selbst zunächst als Produkt eines Familiensystems. Die Masseträgheiten dieses Systems erscheinen in „Heimkern“ als Gegenpol zur steten Gewaltdrohung des Krieges: basale Familien-Normalität also als jener „Frieden“, den „ohne Krieg“ zu denken wir im Titel utopisch aufgefordert sind.

Eine weitere Dimension erhält die Anordnung dadurch, dass zum dokumentierten Alltag Breygers 2022 ja nicht nur gehört, mit der Lage von Verwandten und Freunden zwischen Kriegsgebiet und Frankfurt umzugehen, sondern auch, sich mit den größenwahnsinnigen Einlassungen deutscher Intellektueller zur Weltlage sozusagen erste Reihe fußfrei konfrontiert zu sehen, samt der Zumutung, sich zu und in den entsprechenden Diskurs-Inszenierungen irgendwie verhalten zu sollen. Die unumwundene Schärfe, die er hier an den Tag legt, hat beim Lesen etwas Kathartisches.

Die anderen zwei Kapitel des Bandes, Streuobst und Aprillen, sind nicht ebenso (scheinhaft) unkompliziert. Ersteres ist eine Serie von formal verketteten Gedichten, deren Gegenstand zunächst vergleichsweise ungreifbar wirkt, aber immer deutlicher als Abbildung eines Szenarios sich erweist, in dem Mütter auf der Flucht ihren Kleinkindern Namen und Kontaktinformationen mit Filzstift auf den Rücken schreiben müssen – für den Fall, dass sie getrennt werden oder Schlimmeres geschieht. Aprillen schließlich beginnt als Echo auf T. S. Eliots The Waste Land, ist wie dieses mehrsprachig (deutsch-russisch-englisch), und re-iteriert Eliots Diagnose von damals, die Welt(ordnung) sei am Ende. Von ihrem berühmteren Referenzpunkt unterscheidet sich Breygers Komposition dadurch, dass wir ihn bei der Lektüre mitdenken müssen: So weit waren wir schon einmal, wir erinnern uns, bzw. erleiden ein historisches Deja-Vu.

datenpunkte

Erschienen als Editorial von perspektive. hefte für zeitgenässische literatur … #115

datenpunkt: dass dies, vom vorliegenden editorial abgesehen, die erste perspektive ohne grazer:innen sei. vermutlich ein effekt der neuen, vierteljährlichen erscheinungsweise, denn an den nuts and bolts der echokammer-hier haben wir nicht gerührt. die leute sind alle noch da (die meisten halt). das mißverhältnis zwischen hüben der literatur und drüben der medialen rede über die literatur, welches der perspektive ihre perspektive gibt – es flimmert munter fort, an den rändern der wahrnehmung. everything under heaven is in utter chaos; the situation is excellent.

anderer datenpunkt: es war messe in leipzig, das werden die leser:innen auch in einigen unserer kolumnen bestätigt finden. gegenstand der messe waren österreichische binnenwidersprüche und, jenseits der grenze, deren formschöne bedeutungsleere. bücher gab es da auch; und gab zwischen lesungen und parties auch wieder mal die beobachtung zu machen: wenn alle die fröhlichen, der literatur körperlich verfallenen menschen, zu denen der red. sich gern dazuzählt, das schreiben endlich einstellten, es möchte noch geschehen, dass sie statt dessen das lesen begönnen – so fände unsere ganze schöne produktion der letzten jahrzehnte endlich doch ein etwas breiteres publikum …

noch ein weiterer datenpunkt: dass den red. jenes buch über die mißglückte reise nach petuschki von w jerofejew (wenedikt, nicht wiktor!) in zauberischer weise zu verfolgen scheint. als intertext in einem einzumoderierenden roman (die bibliothekarin, p m huemer) tauchte es auf; als folie und variierter urtext eines theaterabends (im zuge der ernüchterung, v hagemann); das buch-selbst lag in der auslage einer stadtbibliothek; es fand erwähnung in der tagesaktuellen textwand eines ukrainekriegserklärbären auf youtube usw. usf. – ein trauriger spaß über die vergeblichkeit, „moskau zu verlassen“, solange der suff … (über die unmöglichkeit, die bessere welt als eine geschichtliche zu denken, als etwas, das sinnvoll mit unserem=jetzt=oaschloch-zustand verknüpft wäre)

vierter datenpunkt: sind wir schuld? seit perspektive kleinformatig geworden ist, sind die chatbots plötzlich fähig, zwar keine guten ergebnisse zu generieren, aber doch solche, die gut genug sind für, sagen wir, lokalkolorit im tatort-drehbuch. „chatgpt, bitte simuliere ein kurzes gespräch von zwei angehörigen der subkultur X über das thema Y.“ so sachen. – eine infinite conversation zwischen einem s zizek- und w herzog-bot gibt es online schon, und der red. musste ihr ernstlich 20 minuten zuhören, bis eine stelle kam, wo der automatenquatsch als solcher unzweideutig kenntlich war.

case in point:

„chatgpt, was haben diese vier sachen miteinander zu tun?“ –

„Die vier genannten „Datenpunkte“ scheinen auf verschiedene Aspekte oder Beobachtungen hinzuweisen, die möglicherweise miteinander in Verbindung stehen. Hier ist eine mögliche Interpretation:

  1. Der erste Datenpunkt bezieht sich auf ein Editorial oder einen Artikel, der anscheinend die erste Perspektive ohne Grazer Personen darstellt. Es wird darauf hingewiesen, dass dies wahrscheinlich auf die neue vierteljährliche Erscheinungsweise zurückzuführen ist, aber die „Echokammer“ der Leute bleibt bestehen.
  2. Der zweite Datenpunkt erwähnt eine Messe in Leipzig, bei der österreichische Widersprüche und ihre Bedeutungslosigkeit jenseits der Grenze thematisiert wurden. Es wird angemerkt, dass Bücher vorhanden waren und dass es wünschenswert wäre, wenn diejenigen, die gerne schreiben, anstatt damit aufzuhören, stattdessen mehr lesen würden, um die österreichische Literatur einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.1
  3. Der dritte Datenpunkt bezieht sich auf ein Buch über eine missglückte Reise nach Petuschki, das auf verschiedene Weise auftaucht: als Intertext in einem Roman, als Grundlage für einen Theaterabend und als Erwähnung in einer YouTube-Textwand zum Ukraine-Konflikt. Es scheint eine Reflexion über die Vergeblichkeit zu sein, aus einer bestimmten Situation oder einem bestimmten Zustand zu entkommen.
  4. Der vierte Datenpunkt besagt, dass seitdem die Perspektive kleiner geworden ist, Chatbots plötzlich gut genug sind, um akzeptable Ergebnisse zu liefern. Es wird erwähnt, dass ein Chatbot-Gespräch zwischen Slavoj Žižek und Werner Herzog online zu finden ist, bei dem es schwer war zu erkennen, wann der Automatenquatsch einsetzte.

Insgesamt scheinen diese Datenpunkte auf eine Reihe von Beobachtungen und Reflektionen hinsichtlich des Schreibens, der Literatur, des Lokalkolorits und der Vergeblichkeit hinzudeuten. Es könnte sein, dass sie alle eine gemeinsame Frage aufwerfen oder auf eine gewisse Diskrepanz zwischen verschiedenen Aspekten der Kultur und des künstlerischen Schaffens hinweisen. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die Interpretation dieser Punkte subjektiv sein kann und möglicherweise andere Zusammenhänge oder Bedeutungen hat.

am ende kommt vielleicht noch raus, es war nie mehr dahinter, wenn eins was schrieb oder proklamierte. es war bedeutung stets schon eine illusion. reflektierendes bewusstsein: ein artefakt der statistikmaschine im vorderhirn, und noch viel prekärer als bisher angenommen seine verbindung zu jenem stummen affeninstinkt-affen, den das, was „ich“ sagt, zu meinen glaubt. die menschheit ein automat, alles leiden eine illusion. windhauch, windhauch, sagte kohelet. oder kommt vielleicht auch bloß raus, der red. überinterpretiert das zuhandene.

1befriedigt registrieren wir an dieser stelle, dass die maschine auch das mit dem sinnerfassenden lesen, zumindest im fall von konditional- und konjunktiv-konstruktionen, noch nicht so ganz gemeistert hat. wie war das? wenn eine ordnung gestört ist, entdecken wir zuerst mal, das da eine ordnung war.

Elternjobs in Kinderaugen – über „Türschwellenkinder“

Erschienen in Tagebuch #6 2023

Das vorliegende Buch soll nach dem Wunsch seiner Herausgeber den »Vorstellungen von der Arbeit der Eltern« in den Kindheitserinnerungen von »26 Menschen, die heute in kreativ-künstlerischen Bereichen tätig sind«, nachspüren. Das ist eine klare, spezifische Ansage und ein kaum beackertes Feld. Leicht fällt es, sich auf die autobiografischen Erzähltexte der Beitragenden einzulassen, von FM Einheit bis Martina Hefter und von Jörg Sundermeier bis Lütfiye Güzel. Zum literarischen Interesse tritt das soziologische, und Leserinnen, bei denen beides nicht greift, mag voyeuristische Neugier – hier garantiert unschuldig – zum Weiterblättern treiben: So sehr unterscheiden sie sich also, die Welten, in denen heute lebende (meist) deutschsprachige Schreibende ihre Sprache, ihr Unterscheidungsvermögen, mithin ihr Denken erwarben.

Der Angelpunkt der kindlichen Wahrnehmung bedingt dabei, dass gerade das jeweilige Zusammenhängen von Erwerbsarbeit, Familienleben und Denkhorizont («Ideologie») deutlich hervortritt: Was dem Kind im evangelischen Pfarrhaus durchaus als eine bruch- und sozusagen gewaltlose Einheit von Arbeit, Leben und Denken erscheint, das gerät dem an Wochenenden «schwarz» auf der Baustelle des Vaters mitarbeitenden Migrantenkind zu einem schwieriger handhabbaren Bündel von widersprüchlichen Eindrücken. Wie das zugeht, dass aus Bürger- und ca. Lehrerkindern viel eher Berufsintellektuelle und Bühnenreptilien werden als aus dem Nachwuchs von, sagen wir, Kevin und Sulamith – und zwar noch bevor der Faktor des finanziellen Ressourcenvorteils der einen gegen die anderen greift – ist hier deutlich, wenn auch nach der subjektiven Seite des Erlebens hin, ausbuchstabiert.

Da «Türschwellenkinder» just bei Elif erscheint, also einem Verlag, der nicht zuletzt für sein Lyrikprogramm bekannt ist, war ich über die sprachliche Alltäglichkeit und die klare Strukturiertheit der Beiträge dann doch ein wenig überrascht; fand angesichst dessen jedoch mitnichten Anlass zum Sprachkunst-Snobismus: «Alltäglichkeit» meint ja wohl auch «dem erkennbaren Alltag von jemandem entstammend bzw. auf diesen bezogen», und die klare Strukturiertheit im Einzelnen lohnt mit Überblick, Vergleichbarkeit im Großen-Ganzen.

Das Format so einer Sammlung von wohlgefügten (weil ja immerhin von ausgewiesenen Könner:innen ihrer literarischen und verwandten Disziplinen abgefassten) Erzählungen über das Heranwachsen ist natürlich auch angreifbar. Klar: Von Literatur ist nicht die gleiche Art von objektivierbaren Erkenntnissen zu erwarten wie von einer soziologischen Studie. Auch klar: Wo erzählerisch der kindliche Blickbetont wird – als naturgemäß in einer verzauberten Welt befangen und in Graden unsouverän – da erlaubt das Ergebnis stets auch, so gelesen zu werden, als sei es programmatisch gegen das souveräne Vernunfturteil über die Verhältnisse gerichtet. Beiden möglichen Einwänden begegnet «Türschwellenkinder» dadurch, dass es keine unerfüllbaren Ansprüche vor sich her trägt. Diese Texte sind nur darin programmatisch, dass sie es eben nicht sind; ihre Vielfältigkeit gemahnt weder an «verzauberte» Märchenbücher noch an «programmatische», sozialistisch-realistische Wandbilder, sondern eben genau nur: an die Wirklichkeit davon, wie unterschiedlich Leute eben leben und arbeiten und Kinder groß ziehen.

Versuchs-Anordnungen – zu Benedikt Steiner, „spuren in einem“

Erschienen auf poesiegalerie

Vorweg eine kleine Schrulligkeit meinerseits: Wenn auf den letzten beiden Textseiten dieses Gedichtbands neben der Biografie des Autors und seinem Porträt auch so etwas wie der Pressetext für den Band abgedruckt ist – also eine Schilderung, zu lang für die (nicht vorhandene) Klappe oder den U4 – dann scheint mir, ich hielte ein Buch in Händen, das zugleich versucht, seine eigene Pressemappe zu sein, und existenzieller Schwindel überfällt mich.

Der Gedichtband gliedert sich in fünf Abschnitte, wobei der Titel des dritten – „intuitionen (als ordnung)“ – dem ganzen Band als poetologisches Programm zu dienen scheint. Die Betonung liegt auf dem Eingeklammerten: der Ordnung. Steiner unternimmt nämlich Versuche mit der grafischen Anordnung des Wortmaterials im Gedicht – (…)

[sonst noise.]

Erschienen als Editorial von perspektive. hefte für zeitgenössische literatur … #114

unser erstes heft im kleinformat; unsere erste preisanpassung seit der euro-umstellung; unser erstes einzelheft seit p #64, “pig a sousa phoney” (2010). eine veränderung bei den posttarifen war es, die alles dieses anstieß. perspektive nimmt den anlass dankend auf, um mal was neues auszuprobieren. move your format, your textverständnis will follow.

den kolumnist*innen haben wir für die sog. zukunft eine vorgabe vorgegeben: mit ihren selbstverortungen in bezug auf die sogenannte literatur auch auf einander in bezug zu treten, über mehrere hefte hin, beginning now. (und ist das eine neue strategie im alten ringen von perspektive um die finale entsorgung der herrschaftlichen autorenindividualinstanz? oder die trotzgeste eines sichabschließens der textwelt gegen die unhandliche nichttext-welt? anyway, here they are:)

(…)

delirium zu einem satz von walter höllerer

Erschienen in die horen # 289, „Wiedergewinnung der Moderne“, Wolfgang Hilbig und Walter Höllerer, Hg. von Michael Hametner und Maximilian Mengeringhaus

die republik wird erkennbar, die sich befreit
die bolzenschussanlage wird erkennbar, die sich selbst zerschießt
und so weiter

da steht die republik im wald und leuchtet
da seht das bolzenschussgerät im wald es leuchtet
und so weiter im dämmerlicht

die glänzenden sächelchen am waldboden assemblieren eine glänzende republik
die ästchen und gewöll im unterholz assemblieren eine bolzenschussanlag
so und so weiter und weiter

da sie nun erkennbar wird die republik das heißt da sie glänzt
befreit sie sich! wie das ergriffen der beobachter von außerhalb beschreibt den es nicht gibt
was das heißen soll wissen wir nicht

aber es heißt was es heißen soll nur wenn sie erkennbar wird
vielleicht heißt es bloß sie glänzt vorm matten morgendämmer
vielleicht aber heißt das vordem war sie unsichtbar

oder es gab sie halt einfach noch nicht die republik
der beobachter den es nicht gibt hält ergriffen an sich und haucht ins gezweig
da! sie befreit sich! dem gezweig ist das wurst der tag kommt bald raschel raschel

die republik trägt in diesem traume die gestalt eines rehbocksköpfigen manns
mit autoscheinwerfern als augen
und einem bolzenschusgerät als pimmel

und einem heiligenschein als heiligenschein
und hufen als hufe
und mit einem geweih als geweih

vorhin haben wir sie noch nicht gesehen
vorhin hatte sie sich nicht befreit
vorhin war noch alles anders als jetzt

da hatte dies gedicht! sagt der beobachter von außerhalb den es nicht gibt
da hatte dies gedicht noch einen anderen charakter!
da hatte sich die republik noch nicht befreit

nun steht sie frei und im scheinwerferlicht
erstarren die dinge und tiere des waldes
hier hase dort specht drüben wurm im lamellengewirk jener pilze

(…)

Kolonisierung und Zeit – zu Fiston Mwanza Mujila, „Kasala für meinen Kaku – Kasala pour mon Kaku“

Erschienen in Tagebuch – Zeitschrift für Auseinandersetzung # 12/1 2023

Fiston Mwanza Mujila – geboren 1991 in Lumumbashi im damaligen Zaire – ist als Romancier sowohl in der Frankophonie als auch im deutschsprachigen Raum überaus erfolgreich. Er darf mithin als bedeutender steirischer Kulturexport gelten (derzeit fungiert er als Literaturreferent im Grazer Forum Stadtpark). Mit Kasala für meinen Kaku gibt es aktuell einen zweisprachigen Gedichtband: »Muttergott Tshiame! / sagt mir, ob jener, der in mir spricht / wirklich ich bin / – Mwanza wa Mwanza – / oder meine Großmutter // ich bin eh immer meine Großmutter gewesen / wie kann ich das nicht gewesen sein / bei meinem Aussehen eines Mangbetu? / (…) / Julienne Mwa Mwanza bin ich wirklich.« (…)

Kritik der Allyship

Erschienen in Tagebuch – Zeitschrift für Auseinandersetzung # 12/1 2023

Die Herausgeberinnen dieses Bandes haben sich und den Beitragenden eine klare Aufgabe gestellt: Material für die Zurückweisung des identitätspolitischen Paradigmas in antirassistischen und antisexistischen Diskursen bereitzustellen. Der einführende Beitrag, in dem sie die Marschrichtung vorgeben, setzt unter dem Zwischentitel »Verbündete statt Genossen« bei einer Kritik des Begriffs von der »Allyship« an:

In Abgrenzung zum Begriff der Genossenschaftlichkeit wird Allyship […] nicht durch eine gemeinsame politische […] Perspektive definiert, sondern durch soziale Identitätskategorien […].

In der Natur des Projekts liegt, dass (…)

ANDACHT

Gerger/Schmitzer · Dezember 2022 · Revisionen alpiner Weihnachtslieder


Im Atelier 12 in der Münzgrabenstraße 24, 8010 Graz
am Fr. 02., Sa. 03., Do. 15., Sa. 17. und Do. 22. Dezember um 19:00 Uhr

Im Kunstraum Ewigkeitsgasse in der Thelemangasse 6/5, 1170 Wien
am Fr., 16. Dezember um 19:00 Uhr



Archive, angesichts des Krieges

Erschienen in Tagebuch – Zeitschrift für Auseinandersetzung #11/2022

Wenn die Akteure der Performance A safe space for male bodies von Giacomo Veronesi im in der Neuen Galerie Graz angesiedelten Bruseum in ihren soldatischen Uniformen emotionale Nähe unter Männern vorleben – spielerische Körperlichkeit, zärtlich und demonstrativ ohne den Makel hierarchischer Gewaltförmigkeit –, dann macht das emotional unhintergehbar Eindruck auf den Besucher. Um diesen Eindruck geht es, und das hat seine Stringenz. Jedoch (…)

Zwischen Simmering, Yorkshire und China – zu Thomas Stangl, „Quecksilberlicht“

Erschienen in Tagebuch – Zeitschrift für Auseinandersetzung #10/2022

Thomas Stangls sehr lesenswerter Roman Quecksilberlicht ist keiner – es ist ein Essay in Romanlänge. Die im Text aufgebotenen narrativen Mittel stehen hinter dem, was an ihm essayhaft ist, weit zurück. Jedoch sortiert Stangl seine Gedanken und Themen so, dass ihre Form möglichst dem Inhalt entsprechen, und da es im vorliegenden Fall um »Zeitwahrnehmung in der Literatur« geht, heißt das: Quecksilberlicht ist organisiert um mehrere Erzählhorizonte mit unterschiedlich vielen Subjekten erster und dritter Person, zwischen denen der Text unberechenbar hin und her springt, meist ein stillgestelltes Tableau ausbreitend. Der Eindruck eines mystisch-außerzeitlichen, überindividuellen Text-Selbst, das sich mit Ansage in die Enge der einzelnen Leben begibt, stellt sich bald ein. So heißt es: »(Ach so, Gott bin ja nur ich, und ich komme zu spät, prinzipiell, immer, es geht nur um die Erzählung, das hatte ich vergessen, es geht ums Zuspätkommen und die zwanghafte Vorstellung, noch etwas daraus zu machen. Gerade etwas daraus zu machen, Gerechtigkeit, Wörter.)« (…)

Im Kraut. Zu Ovid, Metamorphosen, XIII-XIV

Erschienen auf poesiegalerie.at

Zuerst die fesche Scylla am Strand. Sie

(…) frischt (…) im umfriedeten Wasser die Glieder.

Dann Auftritt Glaucus, fischschwänziger Meeresgott,

gebannt von Verlangen beim Anblick der Jungfrau,

aber sie will natürlich nicht und läuft ihm über die Felsen hin davon, während er vergeblich hintendrein schwimmt. Am Ende einer Landzunge stellt er sie, und sie gestattet zumindest, dass er ihr seine Herkunft erzählt. Die geht so: Er war früher ein sterblicher Mensch, ein Fischer, bis es ihm einmal geschah, dass er den Fang aus seinen Netzen auf einer gut versteckten Wiese auslegte, und die toten Fische, da sie das Grün berührten, ihm davonsprangen, wiederbelebt, zurück ins Meer. Das Kraut, das so etwas bewirkt, musste er nun natürlich selber kosten. Sogleich verwandelte es ihn. (Merkwürdig, dass er auf Anhieb weiß, es sei gerade das Kraut, und nicht z.B. die Stellung der Gestirne, eine versäumte Opfergabe oder sonstwas). „Erde, leb wohl“, ruft er noch aus,

tauchte den Leib in die Fluten[,]

und findet sich wiedergeboren als Fabelwesen. Es folgen noch Unterwasser-Adventüren. Scylla ist davon wenig beeindruckt bzw. wohl vor allem abgestoßen vom fischigen Unterleib und zieht sich zurück.

Wir merken uns insbesondere: Das Kraut.

(…)

Intimität zwischen Zeichn(ung)en – Daniela Kocmuts „freitauchen“

Erschienen auf poesiegalerie.at

In einem „STAUB“ betitelten Gedicht im ersten der vier Kapitel von Daniela Kocmuts Lyrikband „Freitauchen“ findet sich, als eigenständige Strophe, dieser Dreizeiler:

der wind frisst mir aus den händen,
versucht aber lediglich die feinstaubschicht
von meinen handflächen zu wehen.

Es sind Stellen wie diese, an denen sich bei Kocmut eine poetische, scheinhaft mehrdeutige Formulierung („frisst mir aus den Händen“) bei genauem Lesen („versucht aber“) in eine unabgegoltene Wirklichkeitsbeschreibung – in die Beschreibung nicht abgegoltener Wirklichkeiten – verwandelt. Diese Wendungen bilden ein kontrastierendes (also strukturierendes) Stilelement in einem Band voller Gedichte, die ihrer Natur nach eigentlich eher weniger zur formalen Kippfigur tendieren als zum klaren Gedanken, zur sorgsam ausgestellten Miniatur. Wie ich das mit der „Natur“ meine, erzählen vielleicht die Kapitelnamen in Kurzform: Auf erstens „sprachigkeit“ und zweitens „sprachzeich(nung)en“ folgen drittens „zwischenstationen“, zuletzt geht es ans „freitauchen“. […]

Tagelieder im Abteilwagen. Zu Patricia Brooks, „Bukarest Bistro“

Erschienen auf poesiegalerie.at

Als Erstes registriert der Rezensent, wenn er diesen Band mit Gedichten von Patricia Brooks in die Hände nimmt, den ihm unbekannten Verlagsnamen unten auf dem Cover: edition nikra. Der Verlag ist – scheint’s – so neu, dass zum Zeitpunkt der Niederschrift noch nicht einmal die Homepage online ist. Natürlich ist edition nikra alles Gute zu wünschen. Wenn das vorliegende Buch ein Beispiel des Programmkonzepts sein soll (wovon wir ausgehen können – laut den Verlagsinformationen auf der letzten Seite sind bislang drei Bücher erschienen, lauter Lyrik), dürfen wir für die Zukunft mit einer Reihe weiterer schnörkelloser Gedichtbände österreichischer Zeitgenoss*innen rechnen. Immer her damit! „Bukarest Bistro“ jedenfalls, das vorliegende Buch, (…)

anthro po zähne. can the intellectual not speak?

erschienen in versorgerin #135 (08/2022)

ein begriffsimport aus der geologie ins theoretische und künstlerische: »anthropozän« als bezeichnung desjenigen teils des holozän, dessen korrespondierende geologische strata durch die sicht- und messbare präsenz des menschen bestimmt sind. wir hören von politisch-philosophischen denkschulen, die den begriff weiterdenken, die drüber nachdenken, was seine existenz indiziert; wir hören in konkreten politischen diskussionen, wo es um konkrete politische kämpfe und kräftefelder zwischen konkreten leuten geht, plötzlich [(wieder)|(erstmals)] ganz über-konkrete, utopische entwürfe aufpoppen. und zwar [(entwürfe)|(postulate)] des posthumanen [(denkens)|(fühlens)], die erstens auf praktische überwindung der engen körpergrenzen des subjekts [(menschentier)] hinauswollen; und zweitens solche, die v. a. auf theoretische überwindung des kolonial-idologischen begriffs davon hinauswollen, was ein vollwertiger mensch, ein vollwertiges humanes subjekt wäre. 

das klingt plausibel, klingt nach erweiterung des franchises der aufklärung. im ersten fall (cyborg): »theoriefähiges subjekt« muss nicht mehr genau fünf finger pro hand, zwei augen pro angesicht, ein gehirn pro sprecherin usw. haben; fuzzy spaces erschließen sich, hurra. und im zweiteren fall (postcolonial dingsbums): »theoriefähiges subjekt« sei nicht notwendig bezogen auf den hintergrund des großen weißen abendlandes, brauche nicht mehr notwendig einen pimmel, einen descartes  und usw.

weniger plausibel wird‘s, wo jene theorie-autorinnen offen lassen, ob sie das franchise erweitern oder abschaffen wollen; wo schlicht, weil die alten erstbegründer der aufklärung rassistisch-koloniale saubarteln waren, ihre überwindung als verkehrsform im raum steht – und zwar wodurch? … beim durchlesen der arbeiten von autorinnen wie spivak (»can the subaltern speak«), haraway (»cyborg manifesto« ff), latour (»das terrestrische manifest«) erscheint dem autor dieser zeilen: die explizite überwindung der aufklärung durch blanke, im engen sinne grund-lose, also boden-lose poesie. poesie als explosion des möglichen, als rückgriff der sprache aufs »unmittelbare« subjekt. nicht vermittelbar. auch der theoriesprache, auch dem theoriesubjekt nicht. 

genaue diskussionen über die vokabeln der einzelnen systeme und die plausible herleitung derselben wären hier fällig, nicht unter dissertationslänge. die fragen laufen – nach dem bescheidenen dafürhalten des verfassers – letztlich darauf hinaus,  ob jenes denken in subjekt-möglichkeitsformen dort, wo es sich politisch gibt, den boden von empirie und materialismus tatsächlich verlässt oder nur kokett so tut als ob. 

es gibt sie ja wirklich, diejenigen antikolonialen abwehrkämpfe, wo die rollen tatsächlich so klar und einfach verteilt sind wie im kinderfernsehen von 1985 – HÜBEN die verteidiger*innen eines stücks urwalds oder sonst einer naturresource, so sehr an leib und leben bedroht wie, »theoretisch«, in der dimension ihrer (vormodernen) weltdeutung attackiert, und DRÜBEN die angreifer*innen, betreiber*innen der industriellen vernutzung der jeweiligen ressource und/oder blanke raubmörder*innen, besitzerinnen von werkzeugen wie etwa der motorsäge, dem kant‘schen subjektbegriff, dem schießgewehr oder dem bagger. 

doch als spielmarke in akademischen, theoretischen bündnispolitiken, als kritischdiskursiver impuls, läuft solche art von »kritischem denken« hinaus auf die ablösung von prinzipiell hinterfragbaren vernunftkriterien als öffentliche gesprächsgrundlage durch prinzipiell unhintergehbare, im »hörenden subjekt« aufsteigende »empfindungen von solidarität« mit »nicht-menschlichen akteur*innen«: auf die wiedereinführung des finstersten mittelalters als emanzipatorischer impuls gegen die zumutungen des ausdiskutieren-sollens. 

praxis

»schöne literatur«, überhaupt »die schönen künste«, die an den vokabeln, postulaten, dem sagen wir lebensgefühl jener strömungen anknüpfen, werden wesentlich eine noch ganz vortheoretische verschiebung in der selbstwahrnehmung des kunstsubjekts – des subjekts IM kunstwerk – zum thema haben: 

der mensch, der sich selbst von der materialität und/oder der zeitlichkeit des menschheitszeitalters her denkt, als kohlenstoffhäufchen im sediment unter anderen kohlenstoffhäufchen – er betreibt kunst(-sprache) unterm gesichtspunkt nicht des individuellen verlöschens, sondern des verlöschens der spezies. potentiell reden wir vom großen verlust des gegenübers, an das sich die gedichte und die geschichte richten können, den verlust des betrachters der bilder, des großen sammlers im himmel … klar macht das etwas mit der sprache. es macht etwa VERSTÄNDLICHKEIT als kriterium entweder viel, viel wichtiger oder viel, viel weniger wichtig. es stellt sich zum beispiel auch die frage nach dem medium der rede neu: (buch) | (lesung) | (granittafel) | (blatt im wind) | (schaltkreis-ballett) …

der verf. vertraut darauf, dass die utopischen formen des chtuluzänen denkfühlhörsprechens sich über die nächsten sagen wir 100 jahre mit den mindesterfordernissen vernünftigen, das heißt materialistischen denkens in deckungsgleiche bringen lassen werden. in der kunst  – als allererstes fällt dem verf. die lyrik daniel falbs ein, überhaupt ganz viel zeug, das im kookbooks-verlag rauskam  –, finden wir dahingehend ein bereits jahrzehntlanges, produktives gespräch (erstmal noch ungehindert von den anforderungen der empirie): 

wie könnte mensch in seiner menschenkunst von der warte des nichtmenschlichen aus sprechen – texte, die das sprechen ALS quallen, kalkschichten, wolkenformationen simulieren?

wie weit kann mensch das treiben, ZUM nichtmenschlichen zu sprechen – texte AN quallen, kalk- und wolkenschichten gerichtet?

und: wie wäre das, politically, mit der verantwortung der texte als teil der kolonialen menschenwelt FÜR die nichtmenschliche welt – sprechen IM INTERESSE VON quallen et al.? 

weiterhin sorgen bereitet dem verf. dabei auch in diesen kunstgebilden – und nicht nur den poetischen – die entsorgung jedes noch irgendwie handlungsfähigen subjekts, das [(im text)|(beim lesen des texts)] erkenntnisse gewinnt, aufgrund derer irgendwas getan werden kann. allerdemokratierteste kunst schlägt tendenziell um in das bestaunen eines un-abänderlichen soseins der welt, auch der sozialen welt. wo adorno noch knackig formulieren konnte »das ganze ist das unwahre«, und aufgrund dessen im kunstwerk stets das nichtidentische, unaufgegangene, unabgegoltene aufzusuchen fordern konnte – da bleibt uns unter dem hier beschriebenen paradigma, vor lauter einfühlung ins partikulare, selbst noch das gewahrwerden jenes ganzen verwehrt, das wir dann als das unwahre denunzieren könnten.

liegt da also insgesamt kunst ALS idologie vor, was ja nichts neues wäre? ist, in der summe jener einträge in die chronik der gedichte und der fernsehserien, die verfasstheit des subjekts im beginnenden neofeudalismus-elonmuskismus künstlerisch gut auf den punkt gebracht? – also: HIER die große, prinzipiell nicht mehr überblickbare welt – DA das kleine ich, das sich jene welt nur durch emphase, annäherung, angleichung erschließen kann; und DAZWISCHEN vermittelt statt einer historie ein ewiges jetzt, das halt immer so weiterwummert, statt intelligibel strukturiert zu sein. 

oder ist jener [(denk-)|(schreib-)] stil schlechterdings der adäquate abdruck der (korrekten?!) erkenntnis, dass in einzwei generationen eben schluss sein wird? ruhe im karton? baba? ende gelände? 

oder lässt sich das ganze alpdrücken [(dialektisch)|(materialistisch)] erklären, irgendwie aus den arbeitsbedingungen der theorie- und kunstproduzent*innen, und hätte mit der restlichen wirklichkeit außerhalb jener felder gar nicht so viel zu tun? (das ginge ungefähr so: »im haus des henkers spreche nicht vom strick; und in der neoliberal zugerichteten uni und kulturblase nicht vom kapitalismus. wenn du aber doch das anliegen hast, dass zumindest nach wirklichkeit und kampf und fortschritt rieche, was du machst, dann bleiben dir entweder identitäre integrationsdiskurse, oder die sorte von grundlegender begriffsarbeit, die zugleich die materiellen, empirischen grundlagen antikapitalistischer kritikfähigkeit zerstört UND für den moment stets auf der seite »unterdrückter minderheiten« zu stehen scheint.

nicht immer, aber oft geht es dem verf. mit beispielen von kunst, die an den genannten stellen anknüpft – ob das die erwähnten gedichte von daniel falb sind, oder die environnements und bilder des berliner duos boehler & orendt, usw – so wie mit wagner-overtüren oder dem zeug von strawinsky: sie üben den sog desjenigen aus, das an der kante des zum jeweiligen zeitpunkt künstlerisch grade eben schon möglich gewordenen sich abspielt; zugleich spürt der verf. das grade noch nicht mögliche dahinter und weiß nicht, soll er sich fürchten oder staunen.

WILD ON!

Juli 2022 · Posse mit Musik für die Wildoner Schlossbergbühne



„Aliens vom Planeten Flamingonia, gestrandet im Dorf Wildon südlich von Graz. Sie allein sind am Weltklimawandel schuld, und am Aufstieg der FPÖ, und überhaupt an allem. Nach inzwischen siebenhundert Jahren sind sie sich uneins: Das Ober-Alien will die Stadt Graz sprengen, damit sein Raumschiff wieder starten und die Erde endlich verlassen kann; seine Unterlinge hingegen hintertreiben diese Bemühungen und wollen statt dessen auf der Erde bleiben, was freilich noch einmal deutlich mehr Klimaerwärmung mit sich brächte. Es ist an einem deutschen Urlauberpaar, das sich ins geheime Hauptquartier der Aliens verirrt hat, das Zünglein an der Waage in diesem Machtkampf zu spielen: Gegen die Polkappen – oder gegen die Rettung der Landeshauptstadt?“


(Es gibt auch ein zum Buch geronnenes Programmheft [Programmbuch?], erhältlich bei fabrik.transit!)


aus [ares teichespletes]

erschienen in: die horen #285 – furchtlos schreiben. das politische in der literatur

folgende situation
der algorithmus maximiert engagement durch empörung

der algorithmus zeigt mir BLM activists in britain suggest demolishing
the pyramids because they were built by slave labor

dann jetzt hier X strophen
geplatzte haut

angstlust
der gute suchbegriff big black cock

die liebe verschlagwortung
der gute schlagstock

dann x strofen realmetafer
lässt bauen eine mauer um seinen lieben weißen garten

kennst dich aus
(…)


LISTE DER KÜNSTLICHEN OBJEKTE AUF DEM MOND

Gedicht · Ritter Verlag Klagenfurt 2021 · ISBN ‎ 978-3854156260

„luna 20 schon wieder feb· 72 das anschauliche diagramm hier / von körper und seele / hier von sünde erlösung und schwerkraft / luna 20 bringt anorthosit nach der erde / also keinen basalt / die kapsel die mir meine wortlose seele gewesen in träumen /// die kapsel die mir meine seele KEIN DUNKLER BASALT sondern anorthosoit und das hieß da mir träumte /// dass die kapsel staffiert war mit illusionistisch kulissen für filme mit architekturen betreffend die vierziger fuffziger sechziger latin america“


„Durch die Listung der Gegenstände auf dem Mond in der Reihenfolge ihres Eintreffens wird der Erdtrabant zu einem Archiv der Menschheitsgeschichte nicht nur der letzten sechzig Jahre, sondern auch der in den Objekten eingekapselten Jahrtausende: Der Mond als Datenträger, ein Speichermedium für eine Datenessenz, ein Datenkonzentrat, das wie in einer Blue Box in seinen Konturen und Verzerrungen deutlich sichtbar wird. (…) Stefan Schmitzers „liste der künstlichen objekte auf dem mond“ besticht mit dichterischer Vielschichtigkeit und einem spannenden Konzept, das unterhaltsam zu lesen ist. Sehr empfohlen sei auch das Live-Erlebnis einer rhythmischen Leseperformance des Autors.

Günter Vallaster, Literaturhaus Wien


„Den scheinbar so arglosen, fast rührenden Mondmüll beleuchtet Schmitzer in seinem historischen und politischen Kontext: Die Mondgeschichte ist eine Expansionsgeschichte, und mit jedem künstlichen Objekt gelangen ihre irdischen Schauplätze ein Stück weit mit auf den Mond, sedimentieren im Staub. Im zurückgelassenen Mondvehikel etwa ist die Geschichte des Streitwagens enthalten, und auch diese schreibt sich in die Mondoberfläche ein.“

Jana Volkmann, Tagebuch

„66 Missionen, vor allem unbemannt, hat der Mensch bisher zum Mond unternommen und dabei Tonnen von technischen Gerätschaften hinterlassen. Stefan Schmitzer widmet sich diesen Relikten. Sein Langgedicht legt er wie eine archäologische Untersuchung in erdfernen Gefilden an und eröffnet damit eine neue Perspektive auf die jüngste Geschichte der Spezies Mensch und der Motive ihres Strebens nach unendliche Weiten.“

Erwin Uhrmann, Die Presse Spectrum vom 18. 12. 2021

Sebastian Fasthuber, Der Falter 02/2022


Mit „liste der künstlichen objekte auf dem mond“ hast du zuletzt im Ritter Verlag ein Langgedicht über 90 Seiten veröffentlicht. Hast du einen Vorschlag wie man das Buch lesen soll? – Entweder als Referenzbüchlein, wenn man sich gerade interessiert für irgendeinen Satelliten, dass man auch eine poetische Stimme zu diesem Satelliten hat. Oder wenn man es chronologisch von vorne nach hinten liest, kann man es, denke ich, schon als eine Erzählung der „Space Race“ oder einer bestimmten Sorte menschlicher Sehnsucht lesen – mit vielen verschiedenen Schauplätzen. Das Subjekt des Gedichts ist halt kein Individuum, sondern der Mond oder die Menschheit. Als Poesiealbum der Raumfahrt, wie ich doch hoffe, funktioniert es auch. (…)

„Denken mit dem Ohr“ – Interview von Sigrun Karre mit Stefan Schmitzer für die Kulturzeitung Achtzi

Satyricon

Gerger/Schmitzer · August 2021 · Performance u. a. nach Petronius


eine performance, betreffend die wilde fahrt von hansi, genannt mr. x, hinter seinen horizont; entstanden als bearbeitung des SATYRICON von herrn gaius petronius, genannt „kunstrichter“, durch jürgen gerger (bild), margarethe maierhofer-lischka (sound) und stefan schmitzer (text).

WO? – KORK, Lessingstr. 25, 8010 Graz
WANN? – 19., 21., 23. august 2021 · 08., 09., 11. september 2021 · 18:00


SCHUL BANK DRÜCKEN

perspektive und GAV · Jänner 2020 · Schreibschul-Symposion im Literaturhaus Wien


Literaturhaus Wien
Do, 16.01.2020, 14.00 Uhr

Die Grazer Autorinnen Autorenversammlung (GAV) und die Zeitschrift perspektive luden gemeinsam zu einem Symposium, das den Fragen nachgeht wie etwa: Was bedeutet die zunehmende Institutionalisierung es Betriebs für uns Autor/inn/en? Verändern Schreibschulen etwas daran, *wer* *wie* schreibt? Verändern sie den Literaturmarkt? Welche unterschiedlichen Nischen füllen die jeweiligen Anbieter/innen? Hat sich gar „der Autor“/“die Autorin“ verändert?

Das komplette Symposion gibt es als Podcast zum Nachhören unter:
SchulBankDruecken


Mit Statements/Kurzvorträgen von:
Sylvia Egger
(Dadasophin), Karin Fleischanderl (Leondinger Akademie für Literatur), Petra Ganglbauer (Berufsverband Österreichischer SchreibpädagogInnen), Markus Köhle (Autor), Martin Ohrt (Jugend-Literatur-Werkstatt Graz), Fritz Ostermayer (schule für dichtung wien), Caca Savic (Autorin), Ferdinand Schmatz (Institut für Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst Wien), Silvia Stecher & Ralf B. Korte (perspektive-HerausgeberInnen-Team)

Konzept & Moderation:
Stefan Schmitzer
(Autor)

Programm:
14.00–14.20 Uhr: Eröffnung
14.30–16.00 Uhr: Vortragsblock I
16.30–18.00 Uhr: Vortragsblock II
19.00 Uhr: Podiums- und anschließend Publikumsgespräch


Im Zeichen der Gaunersprache

Silvia Stecher, Tanja Peball, Stefan Schmitzer · November 2019 · Performance nach H. Eisendles Hörspiel


Die Augen der Worte
Zum 80. Geburtstag von Helmut Eisendle
(1939 – 2003)

Vernissage, Performance
Freitag 22. November 2019 / 19.00 Uhr
» Atelier 12

Bilder | Texte | Filme
Graz, 22. November – 30. November 2019

als Kooperation von:
FORUM STADTPARK
perspektive : hefte für zeitgenössische literatur
Atelier_12_KKB
Kulturvermittlung Steiermark
Vis-à-vis Film

„Die farbigen Wunderwelten des Helmut Eisendle verzahnen Bild und Wort, Farbfläche und Letter, Eros und Logos, Rausch und Nüchternheit, Expression und Reflexion, eine Disziplinierung unbändigen Fabulierens im Literarischen, eine Versinnlichung von Gedanken, Gegenständen und Menschen im Malen. Als ‚Narr auf dem Hügel‘ ist der Mensch Eisendle dabei aber immer ein wenig abseits, ein Beobachter auch seiner selbst. Und gleichzeitig von vielen geschätzt, ein viel zu früh Verschwundener.“
Gerhard Fuchs

Programm

Freitag, 22. 11., 19 Uhr Atelier_12_KKB, Münzgrabenstraße 24
Vernissage | Performance
Die letzte Fassung der Wunderwelt
Aquarelle, Zeichnungen, Skizzen und Objekte von Helmut Eisendle
Eröffnung: Heinz Trenczak und Valentin Eisendle

Im Zeichen der Gaunersprache
Hör Spiel Text Live | Lesereihe perspektive wortlaut
Mit Tanja Peball, Stefan Schmitzer, Silvia Stecher u. a.

Samstag, 23. 11., 19 Uhr Atelier_12_KKB, Münzgrabenstraße 24
Vortrag | Lesung | Gespräch
Erinnerungen – Brief an einen nah-fernen Freund
Markus Jaroschka liest aus dem Andenken zum 70. Geburtstag von Helmut Eisendle in den Lichtungen 117/2009

Gute und böse Bilder und Gedanken
Zu Helmut Eisendles Schreiben und Malen
Vortrag von Gerhard Fuchs, Franz-Nabl-Institut

GRAZ oder die Ausrede mithilfe der Literatur
Ralf B. Korte (perspektive) liest Texte von Helmut Eisendle

Freitag, 29. 11., 19 Uhr FORUM STADTPARK, Stadtpark 1
Filme | Gespräche
Die Augen der Worte
Lange Filmnacht zu Helmut Eisendle

Samstag, 30. 11., 18 Uhr Atelier_12_KKB, Münzgrabenstraße 24
Finissage | Lesungen
Die letzte Fassung der Wunderwelt
Zur Finissage lesen Wegbegleiter Texte von & zu Helmut Eisendle

© Elisabeth Mössler


OKZIDENT EXPRESS. FALSCH ERINNERTE LIEDER

Gedichte · Droschl 2019 · ISBN 9783990590287

ALL ABOARD SE OKZIDENT EXPRESS
LET US STÜRM KLAGENFURT
LET US UMVOLK BUDAPEST WIEN MÜNCHEN

Schmitzer »erinnert er sich an Lieder und Texte, die einst gesellschaftliche oder auch ganz persönliche Träger von Hoffnungen und Utopien waren – von Homer bis Marlene Dietrich, von Karl Marx bis Beyoncé – und singt sie in seinen Worten nach.«

Christoph Hartner, Kronenzeitung

»Stefan Schmitzers okzident express nimmt auf Kategorien wie E und U keinerlei Rücksicht. Zum Glück. Denn nur so kann alles (und zwar tatsächlich: ALLES), was ›in der Welt‹ ist, zu Dichtung werden – und zwar nicht nur zu außergewöhnlich relevanter, sondern vor allem auch zu außergewöhnlich guter.«

Gerald Lind, literaturhaus.a

»Ein 72-seitiges Werk, mit dem der Autor aufwühlt und weh tut; und das ist schwierig und kompliziert genug, zielt er damit doch auf eine Gesellschaft, die sich über vieles gar keine Gedanken mehr macht.«

Robert Preis, Kleine Zeitung, Graz-Buch der Woche

»Schmitzer beweist nicht nur Humor, er hat ebenfalls mehr als eine politische Botschaft in seinen Gedichten versteckt.«

Paul Schall, prettynoise

»Schmitzer zeigt uns die bunte, brutale, westlich gewordene Welt, die ja bekanntlich schon seit längerem als Fortschritts-Schnellzug in den Abgrund fährt. Er zeigt sie uns, indem er ihre »Lieder« – also Popsongs, Theorie, Dichtung, Filme usw. – sprechen lässt, diese wild vermischt, verfremdet, collagiert. Die Gedichte wollen dabei die katastrophische Gegenwart sagbar machen.«

Matthias Ubl, FixPoetry

»Politische Gedichte werden es immer schwer haben, denn sie gehen eine unnatürliche Verbindung ein, bewegen sich dorthin, wo eine weltfremde, korrumpierte, entkernte Sprache herrscht. Schon mal versucht, Kerne zurück in die Dinge zu tragen, aus denen sie entfernt wurden? Hochachtung vor einem, der es, meines Erachtens, immer wieder versucht!«

Timo Brandt, Signaturen Magazi

„Stefan Schmitzer stellt die Zeitgeschichte als kulturelle Satzausfransungen dar. Einem wuchtigen Originalzitat, wie wir es immer gehört und gelesen haben, stehen plötzlich Erosionen der Glaubwürdigkeit gegenüber. Wir können nichts mehr für unverrückbar nehmen, die Lieblingssätze zerbröseln uns unter der Hand.“

Schoenauer-Literatur

„So wird sogleich der Möglichkeit des korrekten Erinnerns eine grundsätzliche Absage erteilt. Was den Autor aber nicht daran hindert, sich trotzdem zu erinnern, und zwar falsch. Stefan Schmitzer erinnert sich an Lieder und macht andere Lieder daraus. Und in diesen anderen Liedern spielen dann die Flüchtlinge im Mittelmeer eine Rolle, oder 2 Geckos auf einem Flachdach, das in Los Angeles aus dem Smog ragt.“

Ö1 Nachtbilder

HERR BOLINGBROKE BEIM ZAUBERER

Februar 2019 · Theater im Keller, Graz


„Herr Bolingbroke beim Zauberer“ ist ein zauberhaft komisches, skurrilles und gesellschaftskritisches Stück mit Isabella Albrecht, Markus-Peter Gössler und Christian Krall.

Radio Steiermark

„Was passiert an jenen Stellen der Geschichte, die William Shakespeare in seinen Bühnenstücken nicht erzählt? Das will der 40-jährige Grazer Autor Stefan Schmitzer mit „Herr Bolingbroke beim Zauberer“ beantworten. Alexander Kropsch lässt das Publikum im Theater im Keller in eine dystopische Welt voller flimmernder Bildschirme eintauchen.

Teresa Guggenbauer, Kleine Zeitung

„Auch wenn ein sehr ernster Hintergrund das Fundament dieses Stückes bildet, so werden die Zuschauer im wahrsten Sinne des Wortes durch die großartige Umsetzung und die anregende Inszenierung verzaubert werden.“

Bettina Leitner, Kulturzeitung Achtzig


MAGIE I und II

Gerger / Schmitzer · 2019 ff · Schaumbad Graz ·
MAGIE ist eine serie von spielereien mit dem format „videoinstallation“.

in einem abgedunkelten raum steht ein bildschirm, vermittels dessen sich je immer nur ein*e besucher*in auf einmal auf einen text-film-hybrid einlassen kann. thema: die erkenntnisgrenzen von kunst und kunstwelt.


magie # 1 · primär akkumulator“

ding anstelle eines films anstelle eines texts anstelle eines films anstelle eines dings. veranschaulichung der primären akkumulation von kapital und der okkulten geheimnisse magischer fernwirkung, was eh ca. das gleiche ist. text- und videoinstallation von stefan schmitzer (text, konzept, “katze”), siruan darbandi (“wolf”), jürgen gerger (fotos, regie).

schaumbad (puchstraße 41, 8020 graz)
geöffnet von 28. 01. 2019 bis 24. 02. 2019, jeweils mo. – fr. 09:00-15:00 uhr
fr. 25. 01., 18:00 – lesung, publikumsgespräch
so. 24. 02., 11:00 – finissage – art brunch im bad #43


magie #2 · „alibi kunst“

die „magie“ im titel meint neben dem schwindel, wie ihn die auratischen bühnentechniken auslösen und indienstnehmen, auch ganz praktisch-alchemistisches: die verwandlung von scheiße (theorietextgirlanden; poetische momente) in gold (fördergeld; erkenntnis); weiters den (wenn man unbedingt will: „magischen“) abgrund zwischen physischer präsenz gesprochener sprache – schallwellen – im raum, und der abstraktion der begriffe wo anders …

auch der titel „alibi kunst“ ist doppelt zu denken. kunst ist nicht nur ein set von schutzbehauptungen – alibis – dafür, drei takte nichts tun zu müssen, nase zu bohren, in die luft zu schauen, sich den gebildeten ständen anzuverwandeln, in ruhe gelassen zu werden. es ist vielmehr auch so, dass wir erst im schutze der behauptung, es handle sich bei X eh um kunst, X ernstlich zur kenntnis nehmen dürfen. X muss dann nicht auch noch intrinsisch „gut“ sein. das ist es, was die kreative arbeit im bereiche der „kunst“ der kreativen arbeit im bereiche der unterhaltung voraus hat: es ist auch und gerade dann gut, wenn es nicht gut ist.

schaumbad, graz
installation geöffnet von 15.01. bis 07.02., wochentags, 10:00 – 13:00
15. 01. 2020, 19:00
31. 01. 2020, 19:00
09. 02. 2020, 11:00 (art.brunch im bad)


Murmel Strom


MURMEL STROM war zuerst das Setup für eine Klanginstallation aus Text, elektronischen Soundscapes und instrumentaler Improvisation von Margarethe Maierhofer-Lischka und Stefan Schmitzer zum Gedichtband und Film „Boring River„. Doch das MURMEL STROM Format ist in alle Richtungen offen; derzeit benutzt für eine „Liste der Objekte auf dem Mond“.


Galerie Wechselstrom, Wien
20. 10. 2018

Forum für improvisierte Musik und Tanz, Basel
26. 03. 2019

Radio Steiermark Literatur
15. 09. 2019 · 22:00 · „Liste künstlicher Objekte auf dem Mond“

Kultursommer Wien, Bühne Wallensteinplatz
07. 08. 2021 · 18:30 · „Liste künstlicher Objekte auf dem Mond“

Freiluftkino Lesliehof, Joanneumsviertel Graz
11. 08. 2021 · 18:30 · „Liste künstlicher Objekte auf dem Mond“

Freiluftkino Lesliehof, Joanneumsviertel Graz
24. 08. 2021 · 18:30 · „Liste künstlicher Objekte auf dem Mond“

Buchhandlung ORLANDO, 1090 Wien
18. 10. 2021 · 19:30 · „Liste künstlicher Objekte auf dem Mond“

Stadtwerkstadt, Linz
24. 03. 2022 · 20:00 · „Liste künstlicher Objekte auf dem Mond“



Neumond Sessions

Gerger/Schmitzer/Darbandi · Oktober 2018 ff · Impro

zum krawall hin offene sessions, welche den je tagesaktuellen wahnsinn in seiner gestalt als öffentlicher und halböffentlicher textfluss zum gegenstand haben. also: impro mit lesung. se poetry of irrwitz · bisher beteiligte: stefan schmitzer, siruan darbandi, jürgen gerger


kork (alte technik), graz
09. oktober 2018, 20:30
07. november 2018, 20:30
07. dezember 2018, 20:30
04. februar 2019, 20:30
06. märz 2019, 20:30
04. mai 2019, 20:30
03. juni 2019, 20:30


BORING RIVER NOTES

Gedichte · Reihe Keiper Lyrik #19 · ISBN 978-3-903144-57-6

was wäre ein donauraum?
klingt sehr nach themenzimmer im puff mault der arbeitslose schiffsbursch und träumt.


„Ich wußte nicht, daß Zitate aus Wikipedia ein Gedicht sein können. Jetzt weiß ich es. Die Schnittmenge von Donau, Fluß, Schleuse, Bloch, Adorno ist dann einleuchtend, wenn man mal aufs Einleuchten verzichtet. Die Schnoddrigkeit, mit der Schmitzer seine Kommentare vorlegt, ist etwas, das ich in seinem Fall sehr liebe, denn, und das ist seine Hinterlist, sie ist einleuchtend.“

Frank Milautzcki, fixpoetry

BORING RIVER
Ein Film von Rainer Prohaske und Carola Schmidt.

Entstanden im Rahmen des Donau-Kunst-Projektes „Cargo“

Produktion:
Rainer Prohaska, Carola Schmidt & Julia Gaisbacher

www.rainer-prohaska.net/Boring-River


BIL (der [TEXT {geDECHTnis}] ver) BOT

perspektive zu gast bei Rendezvous im Bad – Zehn Jahre Schaumbad!

  • Installation: 26. 08. bis 06. 10.

Nicht das uninteressanteste Thema, um das die Hervorbringungen der Zeitschrift perspektive kreisen, ist das Ineinandergreifen von individuellem (Text)Gedächtnis und den (Fehl)Erinnerungen des überindividuellen Systems Literatur: Wie aus Kritik Ästhetik, aus Ästhetik Norm, aus Norm Kitsch und aus Kitsch Kritik wird. Und so weiter. Über die Jahrzehnte. Von Heft zu Heft. Von Satz zu Satz.

Margarethe Maierhofer-Lischka und Stefan Schmitzer präsentieren (im Rahmen der Reihe perspektive wortlautan der „Bar“ im Schaumbad eine Installation, in der Geschichte und Gegenwart von perspektive zu sich kommen. Wir sehen/lesen/hören: Die Schlüsseltexte, die „kontrollverfahren“, die Beat Boxes …

In einem sich langsam, aber stetig verändernden Feedbacksystem aus musikalischen und literarischen Impulsen können die Besucher*innen Texte aus 39 Jahren perspektive rezipieren, stöbern, wieder-lesen …

  • Erste Performance: 26. 08., 22:00 Uhr

Feierliches Einspeisen von Textmaterial aus 39 jahren perspektive in die Loops der Installation durch Stefan Schmitzer, mit Livemusik von Margarethe Maierhofer-Lischka.
–> auf facebook

  • Zweite Performance: 01. 09., 23:00 Uhr

Lesung mit Ralf B. Korte, Silvia Stecher und Stefan Schmitzer; Gelegenheit zum Gespräch über einzelne Texte.
–> auf facebook

  • Finissage: 06. 10., 19:00

Feierliches finales Lauterdrehen und schließlich irgendwann Ausfaden der einzelnen Tracks bei „ORF- Lange Nacht der Museen“.
–> auf facebook

***

Eine Veranstaltungsserie in der Reihe perspektive wortlaut in Kooperation mit dem Schaumbad – Freies Atelierhaus Graz Gefördert von Stadt Graz, Land Steiermark, Bundeskanzleramt Kultur

Singe Muse Zorn

ilias 1-4. anfang vom lied von der zerstörung ilions und von der erfindung des abendlandes durch den rechtspopulisten agamemnon. aufgeführt von jürgen gerger und stefan schmitzer unter aufbietung von 2 iphones, 1 tinwhistle, 2 videobeamern, 1 spielzeugbanjo und etlichen plastikfigürchen.

forum stadtpark (graz)
so. 18. 03. 2018, 19:00
mo. 19. 03. 2018, 19:00
woodstockenboi festival
sa. 28. 07. 2018, irgenwann tagsüber

warum die ilias? haben wir keine dringenderen sorgen? liegt der so verständliche wie knieweiche impuls vor, sich angesichts der unerträglichen richtigkeit der wortfolge “innenminister kickl” in den erstbesten elfenbeinturm zu flüchten?  – mal sehen …

 ein langatmiges besingen einer ausweglosen gewaltspirale, doof wie nur je ein schulhofstreit, aber zugleich zu denken als durchaus realistische schilderung der psychologie von konflikten. diese gleichzeitigkeit löst angstlust in uns aus, und die will bestaunt sein.

ein propagandistisches volkserziehungsvehikel der attischen polis, zugleich ein möglicher ursprungsort „europäischer werte“ – also der stetig besseren, effektiveren, glaubhafteren verklärung von raubmord zur heldentat – alsauch ein erstes moment der kritik an diesen werten: hier ist der raubmord dankenswerterweise noch als solcher benannt, ehe er verklärt werden kann.

das mittelmeer als massengrab und verkehrsweg.

… der raubzug nach „osten“ als gründungsmythos eines „westens“

… und so weiter und so fort …

PROPAGANDA

ES – Phasenverschiebung. Von und mit: Arne Glöckner, Patrick Wurzwallner · Zu Gast: Stefan Schmitzer

Forum Stadtpark Keller
Do, 08. 06. 2017, 21:00

ES bezeichnet den Nachfolger des vor vier Jahren gestarteten „zeitgenössisch schnellen“ monatlichen Performance-Formats Nights im Bunker.


[…] … wird versucht durch einbindendes Outsourcing der zugrundeliegenden Textbasis eine stärkere Verbindung zur experimentellen Literaturszene zu etablieren. Trotz längerer Vorlaufzeit ist das Format um höchste Aktualität und künstlerische Agilität bemüht und strebt seine bisherige Interdisziplinarität und nicht-dingfest-zu-machende Leichtfüßigkeit durch zahlreiche Gastbeiträge nationaler und internationaler KünstlerInnen zu konkretisieren und zu erweitern.


when I think of palace, …

when I think of palace. die OUZHOU show ist ein Programm von Christoph Szalay, Stefan Schmitzer und (per Video zugeschaltet) Lea Schneider. Entstanden im Rahmen der Austellung OUZHOU PALACE, einer Kooperation des Forum Stadtpark und des steirischen herbst 2016, umfasst der Abend unter anderem folgende Themen, Leute und Schauplätze: Pekingopern! Georg Büchner! Glaspaläste! Die Eroberung des Wilden Westens durch eine sechzehnjährige Stubenhockerin! Festungsbau! Stadtautobahnen! Fernsehen im Jahr 2091! Weiße Melanzani! Kurt Russell!

Installation: Bernhard Luthringshausen (AT), Christoph Szalay (AT), Evelyn Temmel (AT), Clara Wildberger (AT), Claudia Gerhäusser (AT/DE); Sound: Marlon Fink aka fontarrian (AT); Performance: Lea Schneider (DE), Stefan Schmitzer (AT); Grafik: Tina Schneider (AT), Ruohong Wu (CN) ·

forum stadtpark, graz
06. 10. 2016, 17:00

litetraturhaus wien
18. 05. 2017, 19:00

when I think of palace. die OUZHOU show ist eine dreifaltige Lecture Performance zwischen literarischem und theoretischem Schreiben; ein literarischer Schabernack über das Narrativ vom bevorstehenden chinesischen Jahrhundert; eine eurozentrische Kritik des Eurozentrismus; eine Illustration der Utopie der Illustration der Utopie …

Ouzhou ist das chinesische Wort für Europa, und ein Palast ist ein Gebäude, das zu allen Zeiten und in allen Kulturen Fantasien von Raum, Fülle und Luxus evoziert. Ouzhou Palace wird ein Moment zwischen Spiegelsaal, Asiarestaurant und europäischem Traumbild. Claudia Gerhäusser, Bernhard Luthringshausen, Christoph Szalay, Evelyn Temmel und Clara Wildberger sind in den Bereichen Architektur, Fotografie, bildende Kunst und Literatur zu Hause. Im Rahmen des Themenschwerpunkts „Rathaus der Herzen“ im Forum Stadtpark und in Kooperation mit dem steirischen herbst befragen sie mit „Ouzhou Palace“ Europa vor allem auf der Basis örtlicher Zustände, in welchen sich die Diskrepanz zwischen Werten, Idealen und Träumen manifestiert. „Ouzhou Palace“, der nach zwei Seiten geöffnete Palast, folgt seiner eigenen räumlichen Logik und versucht, eine kollektive Geschichte aus vielen Einzelteilen sichtbar zu machen. So werden der Ort selbst und die dortigen Objekte, Bilder, Meinungen und Ideen zu einem neuen Ensemble in der Auseinandersetzung mit dem Sehnsuchtsort Ouzhou.


Jonas Im Karst

09. 09. 2016 | 19:00 Uhr | JONAS 1918 / Schaumbad – Freies Atelierhaus Graz | Puchstrasse 41 | performance mit eva ursprung für saxophon und geschrei zur eröffnung der ausstellung ‚100 jahre weltübergang‘ |

foto: alexandra geschiel

Boring River · Film Text

Ein Film von Rainer Prohaska und Carola Schmidt

Vor 8 Jahren brach der Künstler Rainer Prohaska zu einer ersten Schiffsreise auf der Donau Richtung Schwarzes Meer auf. Entdeckt wurden viele Baustellen und international geplante Infrastruktur; eine Donaukultur im Aufbruch! Um den Stand der damals entdeckten ‚Rising danube culture‘ zu überprüfen und um zu entdecken, was sich wirklich in dieser osteuropäischen Landschaft entwickelt hat, wiederholte er diese Reise im Sommer 2014. Gemeinsam mit dem Theaterregisseur und Autor Volker Schmidt reiste Rainer Prohaska mit der eigens dafür konstruierten MS CARGO von Melk an der Donau stromabwärts nach Sulina am Schwarzen Meer. Die Eindrücke dieser Reise, geprägt vom Einfluss verschiedenen Gäste und einer bizarren Fracht, sind in diesem Film zu sehen.

Concept, camera, and production: Rainer Prohaska
Editing and post-production: Carola Schmidt
Music and sound design: Austrian Apparel
Production: Rainer Prohaska, Julia Gaisbacher
Text & Speaker – Version IR (2017): Alexander Peer
Text & Speaker – Version DF (2015): Stefan Schmitzer

DYA NA SORE. BLONDESTE DER BESTIEN

Gerger/Schmitzer · September 2015 · Performance nach Arno Schmitd

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lesung und powerpoint-extravaganz von jürgen gerger und stefan schmitzer nach einem hörspiel von arno schmidt. literatur, militarismus, literarischer militarismus und verkorkste körperbilder des achtzehnten bis zwanzigsten jahrhunderts grüssen das einundzwanzigste und gehen uns noch was an (vgl. etwa das wahlverhalten der sehr geehrten bevölkerung). ein hörspiel von arno schmidt (aus der zeit um 1960) über ein äusserst eigenartigs buch (aus der zeit um 1790).

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forum stadtpark (graz)
mi. 15. 09. 2015, 20:00
fr. 18. 09. 2015, 20:00

feldkirchner kleinkunstverein, herbertsstubn, aufelderweg 24
mi. 30. 09. 2015, 19:30
fr. 02. 10. 2015, 19:30


denunziationen. haltlose gedichte

hochroth wien 2015 · ISBN 978-3-902871-69-5

ICH möchte teil der kreativen klasse sein,
und nicht mehr wissen, welche welt das ist, die ich bewohne
(…)


Ja, Schmitzers unterkühlter Kosmos ist knallhart und bietet statt bukolischer Streuobstwiesen den metallenen Glanz von Kameras, die filmen oder überwachen. Da erstaunt es nicht, dass sich das lyrische Ich wünscht: „ich möchte teil der kreativen klasse sein,/und nicht mehr wissen, welche welt das ist, die ich bewohne“ (…) Diese Gedichte sind nicht fürs Stammbuch, sind nicht zur Zerstreuung bildungsbürgerlicher Sonntagsästheten verfasst worden, sondern funktionieren nach dem Prinzip permanenter Irritation.

Walter Wagner, Literaturhaus Wien

Die Zyklen, aus denen Schmitzers „denunziationen“ bestehen – »pasolini«, »heimatlied«, »traumzeugs« und »leute in landschaften« – verblenden Paradoxes miteinander, laufen thematisch ineinander über und entfernen sich immer wieder voneinander. Ständig wird die Ebene des Fiktionalen durchbrochen und in den folgenden Zeilen der Durchbruch wieder gestopft. Metaphysik ist nicht, Wirklichkeit ist nicht.

– Kristoffer Cornils, fixpoetry

HAITZMANN!

Gerger/Schmitzer · Dezember 2014 · Performance nach Sigmund Freud


d.v.f.k.a.k.k.f. (die veranstaltung formerly known as KlasseKrimiFaschismus)

es lesen: jürgen gerger und stefan schmitzer | textmaterial: sigmund freud, “über eine teufelsneurose im 17. jahrhundert” | mit freundlicher unterstützung von stadt graz kultur 

zimale, mariahilferstrasse 23, 8020 graz
16. 12. 2014, 20:30

Großmütig werden sie beschrieben haben, was sie als ordentliche Söhne unternehmen wollen, um den Taten der Väter gleichzuziehen. oder sie haben alles darangesetzt, das Lob der Verinnerlichung zu singen.

P. P. Pasolini, “Die erste, wahre Revolution von Rechts

jubiJANDLäum


Am 12. 06. 1964 las Ernst Jandl erstmals im FORUM STADTPARK in Graz. Laut Wikipedia markierte gerade diese eine Lesung“… eine Wende in seiner Aufnahme in Österreich, nach der eine zögernde Auseinandersetzung mit seinem Werk und eine allmählich wachsende Anerkennung begann.” 2014 jährte sich diese Lesung zum fünfzigsten Mal. c4 text/theater feierte das am Originalschauplatz. Und zwar mit zweierlei:

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jubi jandl äum teil I – „jandl ohne jandl“
Stefan Schmitzer, Lukas Custos und Johannes Rotheneder lesen die Jandl-Gedichte, die auch 1964 gelesen wurden – einmal mit und einmal ohne die Buchstaben J-A-N-D-L.

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jubi jandl äum teil II – „aus der fremde“ – Theaterperformance nach Ernst Jandl
Regie/Konzept: Johannes Rotheneder, Norbert Prettenthaler | Film: Norbert Prettenthaler | Schnitt: Andrea Schabernak | Musik: Lukas Custos, Mc Broko | Bühnenbild/Kostüm: Kerstin Schwab | Es spielen: Rebeacca Hofer, Johannes Rotheneder, Norbert Prettenthaler

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forum stadtpark, graz
12. 06. 2014, 16:00


SCHEISS SOZIALER FRIEDEN

Gedichte · Droschl 2011 · ISBN 9783854207887

scheiss sozialer frieden

scheiß sozialer frieden. (…) / scheiß wellblechlandschaften. scheiß planspiele, scheiß autonome zonen. / scheiß tanz, und selbst scheiß schattenkühles flüstern dann. / scheiß angst vor der eigenen wut, scheiß wut auf die eigene angst. scheiß liebe zu beidem. scheiß wissen, worauf es bezogen sein könnte. / scheiße was wir geworden sind. scheiß kifferei und scheiß bier und scheiß schwangerschaften, scheiß stammtische-strammtische, selbst noch scheiß waldspaziergang. / scheiß moment, wenn die systemischen faktoren greifen, also scheiß träume mit urgroß- und mit vätern. scheiß alter, scheiß reifung, scheiß anschein des organischen hervortretens. / scheiß kunst.


“ (…) Mit diesen Gedichten ist Schmitzer ein Wurf gelungen – direkt, eigensinnig und ohne Angst davor, Position zu beziehen.“

– Christoph Hartner, Kronenzeitung 2011

“ (…) Der Grazer Lyriker und Erzähler Stefan Schmitzer kotzt sich hier noch einmal ordentlich über die Beschaffenheit von Kunst und Welt, Liebe und Geld aus. Der Autor weiß natürlich darum, wie abgegriffen die Pose des jungen Wilden, des rebellischen Dichters inzwischen ist. Entsprechend richtet sich der Spott hier auch immer wieder gegen den Spottenden selbst. Und der hat zum Glück noch mehr im Angebot: zärtliche Sehnsuchtsbilder etwa, oder eine tiefe Liebe zur Popmusik, die sich in die Struktur der Texte eingeschrieben hat. (…)“

Sebastian Fasthuber, Falter 2011

“ (…) So oder so ist „scheiß sozialer frieden“ ein besonderer Band, der poetologisch gesehen allemal Anlass zum Affront gibt, weil er sich positioniert. Er positioniert sich gegen all jene, die keine Position beziehen, aber in seiner subjektiven Note ebenfalls gegen diejenigen, deren Lyrik Geltungsanspruch haben will. Es bleibt an Schmitzer, das noch zu verfeinern – aus den Augen verlieren sollte man ihn nicht.“

Kristoffer Patrick, FIXPOETRY 2011

“ Wer engagierte Lyrik macht, hat es nicht einfach; sind doch gerade die einladenden Pfade in die Köpfe des Publikums oft ausgetreten. Gesellschaftlicher und künstlerischer Anspruch scheinen sich da oft gegenseitig auszuschließen. Stefan Schmitzer hat das wohl erkannt; bei seinem aktuellen Gedichtband packt er dieses Problem schon im Titel an der Wurzel: „scheiß sozialer frieden“ – da wird gleich die Protesthaltung ausgepackt, genauso wie die gesunde Distanz zu ihr. Dem Politischen entkommt man zwar immer nur scheinbar, diese Ausflüge aber – ins Intime, in die Musik, in die ferne Zukunft – machen das Kraut erst fett. So sind Schmitzers Texte nicht nur bevölkert von der Bildzeitung, Wirtschaftstreibenden (a.k.a. „arschlöchern“) oder Brigitte Mohnhaupt, sondern auch z. B. von Miles Davis, den Dresden Dolls oder „will ficken. also richtig dringend“. In-der-Schlange-Stehen vor dem Konzert verfließt mit einem resignierten Blick auf Erste-Welt-Mentalität, auch Autobahnfahrten und Technomusik bieten Einfallschneisen in die gesamtgesellschaftliche Psyche. (…)“

Bernhard Oberreither, Buchmagazin Literaturhaus Wien 2011

“ (…) scheiß sozialer frieden ist noch einmal vielschichtiger als Schmitzers viel gelobter Erstling moonlight on clichy. der Grazer Dichter, Jahrgang 1979, erweitert in seinem neuen Lyrikband sein Formenrepertoire, spielt öfter ins Assoziativ-Prosaische, lässt auch Privates anklingen. Das Ergebnis: Post-Punk-Beat-Lyrik, bei der die Post abgeht. (…)“

Werner Schandor, schreibkraft

GEMACHT GEDICHT GEFUNDEN. ÜBER LYRIK STREITEN

Helwig Brunner und Stefan Schmitzer · Droschl 2011 · ISBN: 9783854207870

… lyrik heute im deutschsprachigen raum ist – mit ausnahme von song-lyrics, die zu ihrem glück nicht als zum feld gehörig behandelt werden – eine exklusiv-veranstaltung von leuten, die genug tagesfreizeit haben und sich etwas davon versprechen, die syntagmatischen feldchen von, meist kurzen, texten abzuschreiten und dann darüber zu reden. was sie sich davon versprechen, wird höflicherweise keiner den anderen fragen. genau gegen diese mangelnde kenntnis der eigenen bedingungen, oder diese unwilligkeit, sie einzubekennen, kann die frage nach der funktion des jeweiligen texts fruchtbar sein – als frage nach der funktion seiner rezeption. welches rudel-ich pflegen wir da? wird, wie wir ans gebilde herangehen, allen den texten gerecht, die wir uns in solcher weise unterwerfen? gibt es andererseits nicht auch texte, die uns nicht gerecht werden, die schlicht zu blöd oder zu eitel sind (was wir aber nicht zugeben, weil wir nicht drüber reden, was wir uns im feld der lyrik eigentlich erwarten)? nochmal anders, als frage strikt an die autoren gefasst: für wen schreiben wir eigentlich? also: für wen schreiben wir faktisch, und für wen wollen wir schreiben? …


„Ein erfrischender Disput über Lyrik und das Leben.“

Werner Schandor, KSG

„Wirklich lesenswert!“

Nils Jensen, Buchkultur

„Ein streitlustiger Band, in welchem die konträren Ansichten beider Dichter bezüglich der Tendenzen zeitgenössischer Lyrik ordentlich aufeinanderprallen.“

Axel Helbig, Ostragehege

„Gepokert wird um nichts weniger als das goldene Kalb oder den Gral: den Erkenntniswert von Lyrik, speziell der gegenwärtigen.“

Max Christian Graeff, Kulturmagazin Luzern

TEXT PERFORMANZ TEXT (COOPERATE AND/OR DEFECT)

Schmitzer (hg) · FORUM STADTPARK Verlag 2010 · ISBN 3-901109-24-2

[…] wie man ernsthaft die vorliegende anthologie „das geile buch mit dem erweiterten theaterbegriff“ nennen wollte. (…) ins leere ging die anfangsforderung, man habe da ein konglomerat aus metareflexion der produktions-bedingungen, pop-slang, abbildtheorie und romantischer vernunftskepsis, das habe doch nun gefälligst auf eine den akteurInnen gemeinsame analyse ihres gegenstands zu weisen. […]


“Endlich gibt es nun eine Veröffentlichung zur zeitgenössischen, tatsächlich gerade stattfindenden literarischen Performance, eine Darstellung also jenes Wildwuchses von Aktionen, die wir dem Verlangen mancher Künstler zu verdanken haben, Texte nicht nur dem Alphabet in Druckform zu übergeben, sondern darin auch, um es mal salopp zu schreiben, die Modi der Ekstase aufzuspüren: (…)”

Robert Prosser, schreibkraft #21, 2011

ZWEI PRIMITIVE BALLADEN

schöner lesen 98 · SuKuLTuR juli 2010 · ISBN 978-3-941592-17-9

der trendscout geht langsam durch den durchlass
er geht und pflegt die taktile empfindung das
abdeckvliess die mauer der baucontainer zur rechten
geht langsam fördert
unbürokratisch und unaufdringlich
was – und nichtmal pose – eben abgeht


WOHIN DIE VERSCHWUNDEN IST, UM DIE ES OHNEHIN NICHT GEHT

Roman · Droschl 2009 · ISBN 9783854207542

[…] träumt in der nacht, was zu tun ist, so ungefähr. das setzt sie am morgen um. geht vormittags und kauft sich einen schweren schwarzen mantel, der die statur verbirgt, und eine skimaske und einen baseballschläger. besucht nachmittags eine vorlesung, und prügelt abends die scheisse aus dem lehrbeauftragten für wirtschaftsmathematik. […]


Bei Schmitzers Debüt handelt es sich um einen raren Glücksfall: Formal bewusstes Erzählen verbindet sich mit einem starken Plot und Trash-Elementen zu einer explosiven Einheit – das Ding knallt.“

Sebastian Fasthuber, Der Falter

„Schmitzers Buch eckt an, weil es Kanten hat und nicht auf Markttauglichkeit geschliffen wurde. Das ist heutzutage durchaus ein Wert an sich. Das Buch hat speed und drive eines Rocksongs. Und hinter all dem Plakativen, dem ungestümen, doch auch sympathischen Hohruck und Haudrauf zeigt sich eine Sprachfähigkeit, verstecken sich Wendungen und Formulierungen, die das Talent des Autors offenbaren.“

Peter Landerl, Literaturhaus Wien

„Eine Geschichte über die Unvereinbarkeit von Menschen in Entwicklung – und ein sehr lesenswertes Buch.“

Korso

„Beinahe comichaft verdichtet Schmitzer Sätze und erschafft eine Atmosphäre zwischen aussichtsloser Realität und verzweifelter Emotionalität.“

Kronen Zeitung

„Alles andere als herkömmlich (…) anders, witzig, neu.“

– Radio Fritz


„Ein radikales, schonungsloses Buch mit virtuosem, musikalischem Sprachdröhnen – Powerpoesie.“

Werner Krause, Kleine Zeitung

„Schmitzer gelingt es in dem Buch, zwei schöne Seiten der Literatur zusammenzubringen, die viel zu selten in einem Text Platz finden – formalästhetischen Anspruch und Unterhaltung, Sprachwitz und Action.“

Der Falter

wohin die verschwunden ist, um die es ohnehin nicht geht hat Pop und Poesie, ist ein Generationenroman ohne Belehrung und ein Road-Movie ohne Heldenverherrlichung.“

Wolfgang Huber-Lang, APA

„Mit seiner mündlichen und doch künstlichen Erzählweise fesselt Schmitzer des Leser.“

Tiroler Tageszeitung

„Die Szenenabfolge in diesem grobkörnigen Action Movie ist rasant, ausgeklügelt das Hell-Dunkel-Spiel und energetisch die Figurenpsychologie.“

Roland Steiner, The Gap

„Diese Ungestümheit ist sympatisch, weil sie vor Kraft strotzt.“

Peter Landerl, Bücherschau

„Schmitzer gelingt es, seinem Roman die Farben einer Ulrich-Seidl-Welt zu geben, ohne diesen zu kopieren.“

Lennart Laberenz, literaturkritik.de

„Eine gelungene Konstruktion, ein höchst lesenswerter Roman.“

NOW

VIER SCHUSS

Erzählung · Leykam 2007 · ISBN 978-3701175901 · Im Handel vergriffen

… ein gefangenenlager. tagsüber arbeiten sie auf feldern, und abends hören sie bob dylan, highway sixtyone revisited. keiner weiß, wie der recorder mit dem tonband hierhergekommen ist. er war schon immer da. tabak haben sie, und wasser, und manchmal tee, pökelfleisch, feldfrüchte und offenes feuer im mittelgang der langgestreckten baracke…


„(…) Wenn Übereinstimmung von literarischem Gegenstand mit seiner sprachlichen Form Qualitätsmerkmal ist, dann ist «vier schuss» von erlesenster Qualität. Und es ist unmöglich Zufall, dass diese Prosa von einem Lyriker stammt – nur dass sie zwar hoch artifiziell ist, aber alles Ätherische, Bildhafte, Verweisende verbannt. Und stattdessen ein Vokabular installiert, welches den Leser mit der unwiderstehlichen Kraft des Faktischen von Punkt zu Punkt schwemmt – atemlos treibende Kleinschreibung inklusive. (…)“

walter eigenmann, glarean magazin 2007

“ (…) Eine Geschiche, die einen länger beschäftigen wird, als man vorerst glaubt.“

jelena dabic, literaturhaus wien 2008

MOONLIGHT ON CLICHY

Gedichte · Droschl 2007 · isbn: 9783854207207

(…) wir
sind nicht unsere generation und die vorstädte
brennen (…)


„Es ist der Wortbeat unserer Tage (…) hellwach, verzweifelt, sarkastisch, stets aber wunderbar abgebrüht.“

Werner Krause, Kleine Zeitung

„Eine neue eigene Stimme.“

Silke Scheuermann

„Selbstsicher, lässig und dennoch sehr reflektiert leiht der Autor einem politischen Ich und seinem metrosexuellen Alter Ego eine Stimme. Der 28-Jährige agiert dabei sprachlich souverän, arbeitet in Strophen mit Variationen und Refrains, mit Sprüchen, Pop-Zitaten und Bildern und erzeugt so einen eigenen Groove. (…) Schmitzer möchte mit seiner Lyrik verdeutlichen, dass der heutige Mensch im Charakter ›stromlinienförmig deformiert‹ ist und sich zu wenig um die sozialen Bedingungen schert, unter denen viele leiden. Dazu greift der Dichter zu starken Bildern und fährt mit ihnen frontal aufs Publikum zu. Und das mit Erfolg.“

Werner Schandor, KSG

„(…) Hören wir da so etwas wie Groove in einem deutschsprachigen Gedicht? Dieser Autor nimmt seine Leser mit in den rasenden Puls der Sprache, zum Herzschlag der besseren Musik. (…)“

Tom Schulz, Steinschlag – Berliner Stadtzeitung

Episches Reisetagebuch. Zu Thomas Antonic, „United States of Absurdia“

Erschienen in Tagebuch – Zeitschrift für Auseinandersetzung #9/2022

Georg Lukács unterscheidet das Epos vom Roman durch das unterschiedliche Verhältnis des Protagonisten zu seiner Welt: Im Roman stehe es zur Disposition, müsse erkämpft oder verhandelt werden. Der Romanheld nehme eine von der Natur abgetrennte Position ein, die erst mit dem bürgerlichen Zeitalter denkmöglich geworden sei. Im Epos dagegen sei das Verhältnis des Helden zur Welt unproblematisch. Der Gegenstand, von dem er erzählt, sei schon die Ganzheit, nd die Taten des Helden nur ein Teil davon. An diese Setzung schließt sich natürlich manches dialektische Weiterdenken an, wie wenn zum Beispiel Odysseus bei Adorno als früher Romanheld erscheint.

Wenn nun Thomas Antonics neues Buch United States of Absurdia oder Die Glorifizierung des goldenen Westens die Gattungsbezeichnung Epos im Untertitel führt, dann ist das in diesem Sinn entweder Etikettenschwindel, oder es ist ein solcher Fall von Weiterdenken. Denn (…)

Ein bescheidener Vorschlag zur Solidarität

Erschienen auf KiG!

Es ist völlig egal, ob wir individuell der Meinung sind, Russland in seinem derzeitigen Zustand unterscheide sich nicht wesentlich von einer zumindest totalitär zurechtgemachten, wo nicht gar im engen Sinne faschistisch formierten Gesellschaft; Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine (von früheren Militäroperationen wie denen in Tschetschenien und Syrien ganz geschwiegen) werde von verantwortungslosen Gaunern betrieben, denen es v. a. um das nach innen gerichtete Anheizen einer nationalideologischen, reaktionären Kulturrevolution geht, mit der sie die eigenen Machtgefüge einzuzementieren suchen; und ob wir folglich fürchten, für die Staaten auf dem potentiellen Aufmarschgebiet Russlands gelte es, sich rasch und klar zum Westen zu bekennen …

… oder ob wir, im Gegenteil, in dem Krieg in der Ukraine die finale Eskalation eines langen, zuvor nur lauwarmen Kolonialkriegs sehen, den die NATO und die USA seit Jahren an vielen Fronten gegen Russland führten; ob uns westliche militärische Solidarität mit der Ukraine bis auf die fünfte Nachkommastelle derjenigen Schützenhilfe zu gleichen scheint, die ein Reagan oder ein Kissinger damals stets verlässlich den ekligsten Fascho-Staaten in der dritten Welt zukommen ließen; ob wir fürderhin in der aufkommenden Angst vieler Westeuropäer vor all den antiliberalen, antisäkularen und überhaupt antimodernen Tendenzen im Osten, von denen man so viel hört, das Ergebnis blanker Propaganda erkennen …

… ob wir, verschärft gesagt, in Putins Russland die Sorte von Bedrohung sehen, mit der nicht verhandelt werden kann, und die unsere Lebensweise in Frage stellt; oder ob uns im Gegenteil Russlands Bündnis- und Kriegspolitik als Gegenwehr gegen eine bereits laufende Katastrophe erscheint …

(… oder beides …)

… ob wir uns auf Seiten der sog. Westmächte “wertegeleitete Außenpolitiken” wünschen (sollen), mit all den Militäreinsätzen, die das mit sich brächte; oder lieber, damit man sich auskennt, blanken Investitionsschutz mit Waffengewalt; bzw. auch, was von beidem wir glauben, dass die letzten dreißig Jahre über tatsächlich gespielt wurde …

… unsere individuelle Meinung zu allem diesem ist, wie gesagt, völlig egal. Dies (…)

Wozu man Autor wird – ein Nachruf auf Erasmus Schöfer

erschienen in TAGEBUCH #7/8 / 2022

Ein Symposion vor einigen Jahren: Impulsreferat eines jungen Autors, der eben Aufsehen erregt hatte, mit einem Feuilletonbeitrag, in dem es um die Selbstverständlichkeit ging, dass Bürgerkinder es leichter als Proletenkinder hätten, im Literaturbetrieb Fuß zu fassen – also im Wesentlichen mit einem auf zeitgenössisch-deutsche Verhältnisse angewandten und durch lebensnahe Beispiele unzweideutig illustrierten Exzerpt von Bourdieus Die Regeln der Kunst. Der Autor in der anschließenden Diskussion, extemporierend, sinngemäß: Erschreckenderweise sei es ja auch ihm selbst unmöglich, sich mit seinen Texten ganz außerhalb des Statusspiels der Mittelverteilung im literarischen Feld zu stellen. Was zum Beispiel von seinem gegenständlichen Beitrag bleiben werde, sei nicht dessen diskursiver Impuls, sondern nur, dass dieser Impuls sich in einer Anzahl an beruflichen Gelegenheiten für ihn, den Autor, abbilden werde. Man könne die Mechanismen von Ein- und Ausschluss eben nicht hintergehen – man müsse sie viel mehr strategisch nützen. Und wohl wollte der Vortragende an dieser Stelle zur Volte ansetzen, wie solch strategische Nützlichkeit dann doch solidarisch gedacht werden könne – da regte sich eine nüchterne Gegenstimme im Raum: »Aber dafür wird man doch nicht Autor!«

(…)

Der Gauner und die Sprache

erschienen auf poesiegalerie.at

Wenn wir im Jahr 2022 auf amazon.de den Namen von Helmut Eisendle eingeben, erhalten wir Suchergebnisse im Umfang von immerhin elf Seiten. Das sind allerdings v. a. Zeitschriften, antiquarische Bücher und gelegentlich algorithmische Irrtümer („Kuckuck! – Welches Tier versteckt sich hier?“). Die einzigen zwei Titel, die es neu – im Sinn von nicht gebraucht – zu finden gibt, sind der Roman „Jenseits der Vernunft oder Gespräche über den menschlichen Verstand“ (Gemini Verlag, 2001) und Eisendles Hörspiel „Wie man verschiedene Geräusche erzeugen kann“ mit Helmut Qualtinger („als Audible-Hörbuch zum Gratisdownload“). Selbst jenes „Glossar über die Verwendung von Giftpflanzen für den ästhetischen Täter“ namens „Tod & Flora“ – eine Materialsammlung Eisendles aus allerhand botanischen Quellen, die Thomas Eder 2009 für Jung und Jung herausgegeben hat – müssen wir gesondert suchen (der Autor ist zwar vermerkt, scheint aber vom System nicht als derselbe Eisendle erkannt zu werden, der auch jene anderen Bücher … ach). Was weit und breit nicht aufscheint, sind Neuauflagen eines der zahlreichen Romane und Theater- oder Rundfunktexte des Autors – von einer Werkausgabe ganz zu schweigen. 

So rächt sich, neunzehn Jahre nach Eisendles Tod, sein zu Lebzeiten so besonders verstreutes, besonders projektbezogenes Publizieren. Es macht den Anschein, die schiere Menge seiner vielfältigen Produktion habe dem Autor zeitlebens strategischeres, gezielter portioniertes Publizieren schwer gemacht. So umfasst sein Werk ganz unterschiedlich situierte Produkte: von der ISBN-losen Kleinauflage im Selbstverlag (oder auch z. B.: „Reproduktion, Druck und Endfertigung: Grafische Abteilung der Landesberufsschule 7 Graz“) bis zum Buch bei Fischer, rororo und Residenz ist alles dabei. Dementsprechend stünde heute der Personalaufwand, den es mit sich brächte, selbst nur mal die verstreuten Rechte an diesem umfangreichen Werk einzusammeln, in einem klaren Missverhältnis zur damit verbundenen Gewinnerwartung.

(…)

Kreativer Kakao

erschienen in derFreitag # 41/2021

Unter der Bedingung einer schwächer werdenden Pandemie ist die herannahende Frankfurter Buchmesse immerhin wieder auf die physische Anwesenheit des Betriebspersonals ausgerichtet; auch abseits von ihr blühen die Präsenzveranstaltungen wieder auf, fast wie vor der Krise. Das führt uns Autor*innen unter anderem auch dies eine vor Augen: …

Der Poesiegalerie erster Tag …

erschienen auf poesiegalerie.at

Achtzehn Uhr. Der Raum ist noch leer. Statt der Stühle bloß die Bodenmarkierungen. „Jetzt gibt es eine Vernissage. Bitte die Masken tragen. Es wird eine Performance geben.“ Die Performance wird wohl die angekündigte mit dem Titel fünf minuten in die zukunft von Jörg Piringer sein und ein bissl verspätet anfangen. Inzwischen unterhalten sich drei Kolleg*innen (Vallaster, Jotakin und Krcmarova) über die Möglichkeiten der Instagrampoesie angesichts der Ausstellung – oder ist das am End‘ schon der Beginn der Performance im Geiste von Augusto Boals unsichtbarem Theater? Rhea Krcmarova erzählt Interessierten über ihren Beitrag zur „transmedialen poesiegalerie. digital und analog“, kuratiert von Günter Vallaster

Augsburger Gespensterkiste

erschienen in TAGEBUCH #10/2021

Wir können Bruder aller Bilder als Roman einer endlich gelingenden Sozialisation in einer beliebigen kleinen Großstadt lesen. Jede Konkretisierung des Schauplatzes ist aus dem Text nicht so sehr getilgt als für ihn überflüssig; keine der Figuren erwähnt je einen Ort, ein Detail der Lokalhistorie, den oder das es nicht genau so überall sonst in Deutschland gibt, wo die Einwohnerzahl zwischen 150.000 und 400.000 beträgt. Einzig das gelegentlich erwähnte Wäldchen lässt sich googeln und erschließt der interessierten Leserin, dass wir uns in Augsburg befinden. »Endlich gelingende Sozialisation« heißt, am Ende hat sich die hermetische Schließung einer Lebenswelt vollzogen.

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Geckos einer Ausstellung

erschienen auf poesiegalerie.at

Zuerst eine reine Äußerlichkeiten: Die Parasitenpresse hat scheint’s den Umschlagkarton für ihre „nummernlosen Bücher“ geändert. Dieser hier, in den Astrid Nischkauers neue Gedichte gehüllt sind, erinnert in der Haptik ungefähr an österreichische Schulbücher um 1990 – dünn, aber mit Wachskartonstruktur. Zum Lesen in der Badewanne eine deutliche Verbesserung.

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Das kleine Würstchen

erschienen in TAGEBUCH #5 / 2021

Derzeit läuft auf Netflix die deutsche Produktion Tribes of Europa. Sie war Teil einer »deutschen Bestellinitiative«, ausgelöst durch den Erfolg der Serie Dark. Wie Dark ist Tribes of Europa unfreiwillig komisch, weil darin Fernsehdialoge nach Stadttheater klingen. Aber Dark ist zumindest vertrackt. Tribes nicht: Vom Standard-Plot aus ihrem »friedlichen Waldleben« gerissen, führen uns drei Point-of-View-Figuren durch kaum erklärungsbedürftige postapokalyptische Zivilisationen (SM-Faschos, das Römische Reich mit Marschflugkörpern usw.). Ausstattung, Drehbuch und Regie sind darauf aus, jenes (deutsche) Publikum anzulocken, das Game of Thrones mochte. Interessant ist an Tribes das Update der Ideologie, die der Kulturindustrie-Apparat hervorbringt, wenn der Autopilot erst einmal auf »deutsche Qualitätsware« gestellt ist. Sagen Deutsch sprechende Figuren stets »tribe« statt »Stamm«, macht das niemandem was vor; schon gar nicht, wenn die Helden ausgerechnet dem »tribe« der »Origines« angehören – lausbübische Laubwald-Cherusker (und im Gegensatz zu den fiesen »Crows« garantiert hetero).

(…)

Beugung, Stehsatz, Zollfreiheit

erschienen in TAGEBUCH #5 / 2021

Wir wissen, wie anders das Feld sich entwickelt hat. Hito Steyerls Aufsatzsammlung Duty Free Art von 2018 bietet, trotz kunstweltlicher Fragerhethorik, eine gute Übersicht über den aktuellen Stand dieser Entwicklung: Was am Verhältnis von Echtheit, Marktwert, Qualität und den (Re-)Präsentationsorten der Kunstwerke ändert sich unter dem Eindruck neuester Informationstechnologie und angesichts der massiven Zuspitzung sozialer Konflikte weltweit? Welche neuen Erkenntnisinteressen werden in der bildenden Kunst denkbar?

Theodor W. Adorno führte 1966 ein Gespräch mit Arnold Gehlen über »soziologische Erfahrungen an der modernen Kunst«. Aus heutiger Sicht beide rührend altväterlich, sahen der fortschrittliche und der konservative Denker in der damals neuen Praxis staatlicher Kunstkäufe fürs Depot als »Standortförderung« einhellig eine Entwicklung, die sich wieder einrenken müsse: Bleibe doch der Kern der Kunst als sozialer Praxis die persönliche Beziehung des Sammlers zum Werk, mit dem er dann lebe

Ungleich weniger wissen wir über mögliche Endpunkte der Entwicklung, die derzeit, mit fünfzig Jahren Verzögerung, das benachbarte Feld deutschsprachiger Kunstliteratur durchläuft. Einen Überblick zumindest darüber, was in diesem Zusammenhang gerade jetzt frisch denkbar wurde, bietet Christian Metz’ Essay Beugung. Poetik der Dokumentation, erschienen 2020. Metz dokumentiert als Literaturwissenschafter seine Quellen sorgfältig, und er scheint den Anspruch zu haben, sein Thema auf einen verständlichen, nicht unnötig komplizierten Begriff zu bringen.

Ob dieser Begriff etwas tatsächlich Neues an zeitgenössisch ästhetischer Praxis bezeichnet oder, wie bei der bildenden Kunst vor zwei Generationen, »nur« neue Arten, wie Leute über das (eigene) Schreiben schreiben, ist auf den ersten Blick nicht leicht zu entscheiden. Reden wir von der Produktion oder »nur« vom Reden über die Produktion – ein Meta oder zwei? (Und ist das just im Fall von Literatur nicht das Gleiche, da die Produkte aus demselben Stoff gemacht sind wie die Produktbeschreibungen, nämlich Sprache?)

Metz’ These, viel zu kurz gefasst: Zeitgenössische Dichtung habe neuerdings den Impuls entdeckt, dokumentarisch zu wirken. Lyrik sei also nicht mehr notwendig mit subjektivem Befinden und dessen Ausdruck befasst.

(…)

Radiohören und anschließend delirieren

erschienen auf KiG!

ORF-Mittagsjournal: “Sie haben jetzt bereits angesprochen, dass es da durchaus Mängel gibt, wenn es um das Wohl der Kinder geht. Immer wieder wird in derartigen Fällen ja kritisiert, dass nicht auf jene Menschen gehört wird, die am nähesten [SIC] dran sind, also etwa Nachbarn, Mitschüler, oder andere, die am besten beurteilen könnten, wie gut integriert Asylwerber tatsächlich sind. Zu welchem Schluss kommt denn da die Kommission bis jetzt?”

(…)

Ein „daß“ mit scharfem ß

erschienen auf poesiegalerie.at

Um die österreichische Lyrik zweifach verdient gemacht hat sich Daniel Wisser mit dieser Herausgeberschaft eines Auswahlbandes mit Gedichten von Andreas Okopenko. Dies erstens, weil es zehn Jahre nach dem Tod des Dichters seine einzelnen Gedichtbände der Fünfziger-Sechziger-Siebziger bloß noch in den Bibliotheken zu finden gibt – und Leuten, die diese dort gezielt zu suchen wissen, nicht zwingend auffällt, dass sie inzwischen vergriffen sind, während das jüngere Publikum nicht weiß, dass es was verpasst. Wohl ist die Gesammelte Lyrik weiterhin lieferbar, von Okopenko selbst 1980 für Jugend&Volk zusammengestellt und heute im Vertrieb des Droschlverlags, aber die ist an der Entstehungszeit einzelner Gedichte orientiert.

(…)

Längen von Buchstaben

erschienen auf poesiegalerie.at

Der von Günter Vallaster herausgegebene Sammelband schriftlinien.transmediale poesie ist ein Dokumentationsband zu einem Komplex an Veranstaltungen und Workshops zwischen 2017 und 2021 – vier Leseabenden der Grazer Autorinnen Autorenversammlung im Literaturhaus Wien unter dem gleichen Titel wie das vorliegende Buch, zwei Workshops des Berufsverbands Österreichischer SchreibpädagogInnen, überschrieben „Text und Bild / Text als Bild“ sowie einer mehrgliedrigen Veranstaltung (mit Workshops, Lesungen usw.) in Sankt Petersburg.

Jedes der vier Lesungskapitel wird eröffnet von einer Variante des folgenden Programmtexts, jeweils mit anderen Akzenten und Formulierungen.

(…)

„Das Mädchen Parzival“

erschienen auf poesiegalerie.at

Es gibt in Thomas Ballhausens Gedichtband „Das Mädchen Parzival“ eine „behauptete“ oder, sagen wir, äußerliche Struktur, die sich in den Kapitelüberschriften – „Karbon, Kartografie“, „Postantike“, „Das Mädchen Parzival“, „Genealogie“, „Instabile Elemente“ –, den Fotografien Chris Sauppers und über die basalen Eigenschafen der einzelnen Gedichte vermittelt. Beginnen wir damit, diese nachzuzeichnen:

(…)

Feyrer zaubert

erschienen auf poesiegalerie.at

Heute habe ich geträumt, ich müsse die Zahl 26 vor die Zahl 20 oder die Zahl 21 stellen. Ich müsse also das Nachfolgende vor das davor Kommende stellen, das Danach vor das Davor, das MorgeN vor das Heute stellen und ziehen und somit mein Gesicht dem Himmel voranstellen (…)

So beginnt, von einem Vorwort abgesehen, Gundi Feyrers Der Tempel des Nichts (Das Zaubern). Dieser erste Halbsatz, „Heute habe ich geträumt“, leistet dabei Schwerstarbeit. Zum einen verankert er den Text, oder das Geflecht mehrerer Texte, als das wir das Buch lesen können, in einer plausiblen Sprechsituation – stets werden wir zu dieser einfachen Tatsache zurückspulen können, X habe geträumt und spreche jetzt darüber – zum anderen ist der Halbsatz so unaufdringlich, dass wir ihn rasch vergessen können – erleichtert also das immersive Sicheinlassen. Der Band lebt, man sieht es im obigen Zitat, vom höchst systematischen Abarbeiten höchst arbiträrer Setzungen, oder, genauer, von der Behauptung, der wir mit der Kenntnisnahme dieses Systematischen unmerklich mit-zustimmen:

Zu Asja Bakić, „Mars“

erschienen in TAGEBUCH #3/2021

Das Mindeste, was sich über die zehn Erzählungen der kroatischen Autorin Asja Bakić (ins Deutsche übertragen von Alida Bremer) sagen lässt, ist, dass die Sammlung Mars auch solche Leser nicht langweilen wird, die normalerweise fetten Romanen oder, gegenläufig, Gedichten und experimentellen Formen den Vorzug geben: Der Band ist einerseits romanhaft auf das Durcharbeiten von zwei Motiven – oder zwei Seiten eines Motivkomplexes – hin organisiert; andererseits geben die einzelnen Prosastücke auch formal mehr her, als dem Mindestanspruch zu genügen. Keiner der Texte ist völlig frei von Genre-Elementen verschiedener Subkontinente der Fantastik, doch die je aufgerufenen Genrekonventionen dienen hauptsächlich als Set-up-Vehikel, und häufig ist die Vermittlung zwischen »hoher Literatur« und (Genre-)Wirklichkeit nicht einfach Subtext, sondern greifbarer Gehalt der Geschichten. 

(…)

„Spoiler Warning“ – zu Kaśka Bryla, „Roter Affe“

„Roter Affe“ ist ein dichter, abwechslungsreicher Thriller um eine Konstellation mehrerer plastisch und schlüssig gezeichneter Figuren, der sich auch sprachlich über die engsten Grenzen des Genres hinauswagt. Letzteresbesonders deutlich gegen Ende, nach dem Höhepunkt der Handlung, wenn die Autorin das Durcheinanderreden ihrer Figuren, alle zum ersten Mal zusammen in einem Raum, als den Bewusstseinsstrom eines Gruppenwesens inszeniert, ohne die individuellen Motivationen und Charakteristika aufzugeben. Zugleich handelt es sich um die Sorte Buch, bei der nicht verkehrt sein wird, die folgende Rezension mit dem popkulturell ubiquitär gewordenen Hinweis „Spoiler Warning“ zu versehen …

Die Autorin meistert es, uns auf falsche Fährten zu locken, was die Bedeutung einzelner Szenen betrifft; sie bedient sich dabei der kulturell unvermeidbaren Kenntnis von Krimitropen auf Seiten ihrer Leser, ohne übermäßig dick aufzutragen. So legt uns zum Beispiel das Eröffnungskapitel nahe, wir würden der Protagonistin (namens, ausgerechnet, Mania) dabei zuschauen, wie sie ihren Job als Gefängnispsychologin ohne zu zögern einer privaten Verpflichtung unterordnet. Wenn wir viel später verstehen, was da in Wirklichkeit geschehen ist, erscheint natürlich auch die Protagonistin uns in einem ganz anderen Licht. Die wiederholte Inszenierung dieser Erfahrung – wir denken, wir lesen von der einen Sache, und merken später, es war in Wahrheit eine andere – ist sozusagen der Erzählmotor von „Roter Affe“.

Gleichwohl sind es gerade alle diese guten Eigenschaften von Kaśka Brylas Roman, diejenigen, die ihn empfehlenswert und wohl erfolgversprechend machen, an denen sich Kritik festmachen lässt – Kritik an der bestimmten Romanform, in deren Tradition sich Bryla einschreibt; nicht unbedingt Kritik an ihrem Roman.  Denn wenn die Story wie gesagt „dicht“ und „spannend“ ist, bedeutet das auch, dass auf sich anbietende, geradezu aufdrängende Exkurse und Nebenschauplätze verzichtet wird, auf ineffiziente, aber reizvolle Verästelungen, die zur Spannung und zur Plotstruktur zugegebenermaßen nichts beigetragen hätten.  Etwa der titelgebende „Rote Affe“: er ist ein Rätselbild aus einem Traum der Protagonistin, und es ist eben der einzige solche Traum, den wir zu lesen bekommen, obwohl sich da manches entfalten ließe. Oder jene Ereignisse in der Arbeit Manias, die dem Beginn der Handlung vorausgehen: sie werden an gegebener Stelle beim Namen genannt, aber nicht erzählt. Warum sie diesem Rezensenten dann überhaupt wünschenswert erscheinen, die Verästelungen? – Zum einen, weil er gern schlicht mehr davon zu lesen gehabt hätte. Zum anderen wohl , weil der Tonfall der einzelnen Absätze eine thematische Stringenz aufweist, die über den Rahmen des Ganzen als einer prinzipiell verfilmbarer Noir-Story stets wieder hinauszuwollen scheint, aber von den Erfordernissen der Story zurückgehalten wird.

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Bodycheck, Gedächtnistheater. Zu Max Czollek, „Gegenwartsbewältigung“

Es gibt ein Kapitel in diesem neuen Essay von Max Czollek, das ausgeht von nicht-mehrheitsdeutschen Wahrnehmungen des Mauerfalls 1989, und im Endeffekt über die  polit-künstlerischen Interventionen des heutigen Zentrums für politische Schönheit spricht. Über jenen 9. November 1989 heißt es dort unter anderem:

Die mit dem Begriff Wiedervereinigung markierte Vorstellung des gemeinsamen identitätsstiftenden Deutschseins wurde vonseiten etwa jüdischer, afrodeutscher, queerer und migrantischer Marginalisierter als (…) Bedrohung erlebt, gegen die sie sich zur Wehr setzten.

Damit ist erstens schon ungefähr angedeutet, wie geartet und wie weit verknüpft die einzelnen Theorie- und Recherche-Schauplätze des ganzen Bandes sind. Zweitens aber legt es nahe, den Band zusammen zu denken – aneinander zu denken – mit Durs Grünbeins ebenfalls jüngst erschienenen und auf Fixpoetry besprochenen Oxford Lectures, einem Buch, das sich ebenfalls, und ausschließlicher als das von Czollek, dem subkutanen Fortwirken der Hitlerei im Zeitgenössischen widmet, und aufs Ehrlichste, teils Unbequemste widmet – aber eben explizit genau aus der Perspektive eines Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft, für den der Mauerfall essentiell das erfreuliche Ende einer langen Nacht bedeuten konnte.

Max Czollek ist von Haus aus Lyriker und, wie das wohl heißt, Theaterimpresario, und hat mit dem Band „Desintegriert Euch!“ 2018 das Projekt begonnen, in unmissverständlicher und nach Maßgabe des Feuilletons hinreichend unterhaltsamer Weise den Hinweis in die Gegenwartsdiskurse einzuspeisen, dass das Selbstbild des zeitgenössischen „guten“, „bunten“, „besseren“ Deutschland  durchaus problematisch bleibt – egal, wie viel „Vergangenheitsbewältigung“ da betrieben werde. Die Inszenierungen von „Versöhnung“ nach der Shoah beispielsweise unterstellen die Bereitschaft zur Versöhnung beim (jüdischen) Gegenüber als selbstverständlich; die Rede von der Offenheit dieser Gesellschaft für Integration behält die Scheidung der Welt in „uns“ und „die“ bei, und ändert bloß den Modus, mit dieser so geschiedenen Welt umzugehen. Das ist nicht nichts, aber nicht die Hauptsache: wer als das handelnde Subjekt der deutschen Geschichte gesetzt ist – das Volk – und was dieses „Volk“ ausmacht, hat sich mit seiner „Gutwerdung“ kaum geändert.

Der neue Essay, „Gegenwartsbewältigung“, aktualisiert Czolleks Thema, fokussiert es aber auch andres, nämlich vom Integrations- auf den Heimatbegriff, und darauf, welche Aus- er neben all den Einschlüssen produziert; wie auch ein vorscheinlich fortschrittlicher Begriff von „Heimat“ und „Nation“ gruselige Zustände entweder verschleiern hilft oder hervorbringt:

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Sprache und Historie. Zu Durs Grünbein, „jenseits der Literatur“

Auf Seite 109f von Durs Grünbeins kürzlich unter dem Titel „Jenseits der Literatur“ erschienenen Oxforder Lord Weidenfeld Lectures aus dem Jahr 2019 stehen diese Sätze:

So war erst der Fall der Mauer für mich das erlösende Ende. Es war das Erlebnis eines totalen Hierarchiezerfalls: Ein Staat hatte sich aufgelöst, die Diktatur der Arbeiter-und-Bauern-Führer. Erst mit dieser letzten Korrektur starb der deutsche Untertan – der realsozialistische Kleinbürger, Renegat der großen Weltrevolution. Erst damit war Preußen wirklich zu Ende (…)

Das kann man – um es diplomatisch auszudrücken – auch anders sehen. Daran ändert jenes einschränkende

für mich

nichts; selbst dann nicht, wenn wir uns vor Augen halten, worauf es im Kontext von Grünbeins vier Vorträgen verweist: auf eine persönliche Lebens- und Lesegeschichte nämlich, die früh berührt wurde von der untoten Präsenz der Naziverbrechen im Nachkriegsalltag West wie Ost, ihren Spuren in der Sprache, im Denken, selbst im Schweigen, wenn es sozusagen auf Deutsch geschah. Also: nicht nur vom Fortwirken jener Verbrechen, jenes Denkens und Schweigens, sondern insbesondere auch von der Erfahrung, dass es das gibt: untote Sprache, untotes Denken. Und es ist schlechterdings ein ebenso glaubwürdiger Teil dieses Erlebens, wenn Grünbein im

Fall der Mauer für mich das erlösende Ende

sieht, wie auch, wenn er in Faschismus und Kommunismus (mehrmals im Band, in diesen Worten)

zwei Drachen

erkennt, die einander belauerten – wenn also einer der zu Recht bedeutendsten Dichter Deutschlands sich ganz ungebrochen affirmativ auf die zeitgenössisch deutsche, staatstragende Lesart der Arendt’schen Totalitarismustheorie bezieht, im Volksmund als „Hufeisentheorie der politischen Systeme“ bekannt.

(In dieser Hinsicht …

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Ein Schiff nach Nirgendwo

Dass der Roman Auwald just im Jahr 2020 mit seinen Lockdowns und Corona-Ausnahmezuständen erscheint, ist Zufall. Trotzdem ist es verlockend, so zu tun, als könnte Jana Volkmann, die auch für das TAGEBUCH schreibt, ihn, in Echtzeit, als Reaktion auf die Atmosphäre dieses Jahres geschrieben haben – als Intervention vis-à-vis den Vereinzelungsphänomenen in den Heimquarantänen. Denn unsere »neue Normalität«, von der allenthalben medial die Rede ist, sie scheint in dieser Erzählung einer Frau, die aus ihren Bindungen fällt, präfiguriert. (Freilich: nicht eins zu eins präfiguriert. Das Menschenleer-Werden der Stadt ist in Auwald sozusagen atmosphärisch angelegt; der Ausnahmezustand selbst ist viel diffuser.)

Ganz wörtlich sehen wir der Ich-Werdung der Protagonistin Judith zu: …

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„mein kopf folgt seltsamen gesetzen“

Im März 2019 erhielt Yevgeniy Breyger für den Zyklus „Königreiche“ den Leonce-und-Lena-Preis. Die zehn Gedichte dieses Zyklus sind sämtlich nach der gleichen strengen Weise gefügt (vierzeilige Strophen aus meist alkmanischen Versen, gelegentliche Auftakte und drei- oder fünfhebige Abweichungen) und scheinen dabei doch verlustfrei im leisen, ungezwungenen Understatement-Sound der Lesebühnen vorgetragen werden zu können. Mit ihren verketteten, größenverschoben immer wieder- und wiederkehrenden Motiven lesen sie sich wie ein einziges langes Hermetisches Gedicht. Die titelgebenden „Königreiche“ sind dabei einerseits als Wahrnehmungsebenen, „Phylae“ im Sinne der Taxonomie zu denken („Königreich der verschluckten Muschel“, „… des Ahornblatts“ usw.), weisen andererseits auf den thematischen Grundton der ganzen Anordnung:

Heimat, dörfliche Heimat, einer Generationenfolge eingeschrieben, als Kategorie von ich-stiftender Erinnerung. Der Text stellt „Hinweisschilder“ vor die ganz bestimmten Traumata und Gewalterfahrungen (mutmaßlich) ganz bestimmter Leute – ohne dann aber das jeweilige Ding auch unzweideutig beim Namen zu nennen … ganz, wie in den wirklichen Familienchroniken und Kindheitserinnerungen, die wir alle kennen, Mäntel des Schweigens über gleichwohl faktisch-schrecklich fortwirkende Ereignisse sich breiten … an den Märchenbegriff vom Zauberbann lässt sich denken, und nicht zufällig tönt vieles in diesen Zeilen auch als Zauberspruch …

Angesichts all dessen finden sich überraschend langen Strecken durchaus greifbarer Schilderung. Das verstärkt den Eindruck, es gebe durchaus auch eine ganz konkrete, intelligible Handlungsdimension, durch welche hindurch jenes hermetische Ganze wirke. Doch die unzweideutige Handlung – Breyger entzieht sie uns immer wieder, indem er stets gekonnt oszillieren lässt, welche Textelemente den „Zeichen“ und welche den bezeichneten Gegenständen zugehören.

(Natürlich ist auch eine naiv-phantastische, ganz sinnlich-identifikatorische Lektüre der „Königreiche“ als eines Heldinnenepos voller Verwandlungen möglich; vom vierten Gedicht in der Folge, „Königreich der überbrachten Nachricht“, wird uns dies geradezu, tongue-in-cheek, nahegelegt, wo jener Text von den Beschlägen einer Truhe gerade so spricht wie die Ilias vom Schild des Achill …)

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TRAVERSO LA CITTÀ


Participants are invited to explore hidden aspects and playfully test new usages of the public urban space in five performance-modules of Rainer Prohaska’s project at Kulturjahr Graz 2020. The FUTURAMA LAB*’s project Traverso La Città transforms the urban space with performative essays on the future of the city of Graz. These interventions will be realized on several spots throughout Graz’s cityscape and engage in discourse on social and ecological changes in cities. On their daily routines through Graz, residents will encounter humorous interventions, which will discuss possible future urban scenarios. Traverso La Città consists of five performative modules, engaging in different forms in mobility. Some interventions take place on mobile elements in the streets, others will use the river Mur as a waterway.

Künstlerisches Team
Rainer Prohaska – Konzept / Künstlerische Leitung / Grafik
Carola Schmidt – Performance / Sound / Inszenierung
Stefan Schmitzer – Texte & Essays / Performance / Inszenierung
Jürgen Gerger – Performance / Inszenierung
Anita Fuchs – Rollfährenbeauftragte

Produktionsteam
Sabrina Stadlober – Kostüme
Florian Sorgo – Produktion / Aufbau / Medien
Bernhard Werschnak – Produktion / Genehmigungen
Julia Gaisbacher – Dokumentationsfotografie


DIE ROLLFÄHRE
Datum: 23. – 27. September 2020
Ort: Augarten am Murufer
Dauer: Täglich von 13:00 – 19:00
Route: Augarten zwischen linkem und rechtem Murufer
Einige Meter stromaufwärts der Augartenbucht wird eine temporäre Seilfähre über die Mur installiert. Diese Seilfähre wird von einer Person händisch betrieben. Das Boot selbst hat nur Platz für zwei Gäste. Am gegenüber liegenden Mur-Ufer wird auf einem kleinen Ponton eine poetische Bar installiert, die ebenfalls nur wenigen Person Platz bietet. So einsteht für wenige Tage ein sehr intimer, temporärer Platz, wo die Essays zu dieser Intervention zu hören sein werden. Ebenfalls werden den ZuhörerInnen Getränke angeboten.


SCULPTURES EN FLUX
Datum: 24. September 2020
Ort: Erzherzog-Johann-Brücke zum Augarten
Dauer: 10:00 – 16:00
Route (auf der Mur): Erzherzog-Johann-Brücke – Marburger Kai – Augarten
(Ersatztermin: 25.09.)
Fünf Personen schwimmen mit je einer aufblasbaren Skulptur als Schwimmkörper die Mur stromabwärts. Das Publikum steht am Mur-Ufer und beobachtet von dort aus das Geschehen, das, ähnlich wie bei einem absurden Ski-Rennen über Lautsprecher moderiert wird. Die Essays, die zu dieser Arbeit gehören, sind in die lautstarke Moderation verpackt.


MÜHLGANG GANG
Datum: 01. Oktober 2020
Treffpunkt: 15:00 • Marienplatz
Dauer: 15:00 – 19:00
Route: Marienplatz – Volksgarten – Oeverseepark – Schützgasse – Taggerwerk
(Ersatztermin: 02.10.)
Eine Gruppe von Personen geht durch die Stadt. An vorher definierten Versammlungspunkten macht die Gruppe halt, um einem Sprecher beim Vortrag von Essays, die sich mit der städtischen Entwicklung rund um den „Mühlgang“ drehen, zuzuhören. Die Personen bewegen sich am Gehsteig, gelegentlich ist auch eine Überquerung der Fahrbahn notwendig. Mit einem Band werden geometrische Formen gebildet, so dass sich das Publikum innerhalb dieses „menschlichen Zaunes“ befindet und sich so durch die Stadt bewegt.


CHARIOTS OF SADNESS
Datum: 04. Oktober 2020
Treffpunkt: 12:00 • Schloss Eggenberg
Dauer: 12:00 – 19:00
Route: Schloss Eggenberg – Wasserturm – Seidenhofstraße
(Ersatztermin: 05.10.)
Zwei sehr protzige Autos werden wie bei einem historischen Wagenrennen von ca. 10 Personen als Fuhrwerk durch die Stadt gezogen. Am Autodach sitzt der “Kutscher” mit einer Peitsche, um die ziehenden Personen entsprechend zu motivieren. An vorher definierten Versammlungspunkten machen die Fuhrwerke halt, um für inszenierte Fotos als „Model“ zur Verfügung zu stehen. Die Fuhrwerke bewegen sich dabei wie normale Fahrzeuge auf der Fahrbahn. Die dafür entwickelten Essays, abgespielt vom Autoradio, dröhnen aus den offenen Fenstern des jeweiligen Fahrzeugs.

SIESTA FÜR GRAZ
Datum: 08. Oktober 2020
Treffpunkt: 10:00 • Hauptbahnhof
Dauer: 10:00 – 19:00
Route: Hauptbahnhof – Lendplatz – Kunsthaus – Herrengasse
10 Holz-Objekte werden von einer Gruppe von Personen durch die Stadt gerollt. Grundsätzlich bewegen sich die Objekte am Gehsteig, aber gelegentlich ist eine langsame Überquerung der Fahrbahn notwendig. An vorher definierten Versammlungspunkten macht die Gruppe halt, um mit bzw. auf diesen Objekten zu verweilen, sich auszuruhen und um Tee zu trinken. Dort werden dann den ruhenden Personen spezielle Gutenachtgeschichten erzählt.


Burroughs beim König von Ungarn

Es gehört zum Tagesgeschäft der Literaturwissenschaft, minutiae über das Leben der Autorinnen zusammenzutragen – Referenzmaterial für die Beschäftigung mit Texten, Publikationshistorien und was sonst anfällt. Das betrifft im Normalfall das Publikum außerhalb der Wissenschaften nicht. Diesem reicht es, im Fall des Falles irgendwo nachschlagen zu können, wann und in welchem Landgasthof Adalbert Stifter das Gulasch nicht schmeckte. Auf den ersten Blick gehört das jüngste Buch von Thomas Antonic über den Aufenthalt des legendären Beatnik William S. Burroughs im ständestaatlichen Wien in diese Ordnung von Materialsammlungen, zur weiteren Verwertung durch die Fachkreise. Tatsächlich aber bietet die kleine Studie auch uns, der Laufkundschaft, einiges.

Im Kern handelt es sich um einen nur knapp fünfzigseitigen Aufsatz, nebst umfangreichem Material-, Literatur- und Abbildungsteil, auf einer längeren Zugfahrt leicht wegzulesen. Wie schon Antonics eigener Gedichtband Flackernde Felsbilder übler Nachtvögel aus 2017 ist das Buch übrigens zweisprachig publiziert, von vorn auf Englisch, von hinten auf Deutsch zu lesen, mit den Bildern in der Mitte. Als zentralen claim verspricht der Klappentext:

[weiterlesen auf tagebuch.at]

Wenn’s denn sein muß. Zu Lisa Eckhart, „Omama“

Um fair zu sein: „Omama“ ist, im Ganzen, doch unterhaltsam. Was auch immer sich sonst über den knapp vierhundert Seiten langen Roman sagen lässt – dass er nicht unterhalten würde, kann keiner behaupten. Es ist dies auf die Kombination von zwei stilistischen Eigenheiten zurückzuführen, derer sich Lisa Eckhart massiert bedient – erstens einen Grundgestus, der Vokabular, Grammatik und Rhythmus ländlich-österreichischer Umgangssprache punktgenau abbildet, und zweitens, „darübergelegt“ und in scharfem Kontrast zum dialektalen Fließen, einen Drang zur je gesuchtesten, entlegensten Formulierung: jeder Absatz eine Pointe. An dieser Kombination ist vor allem bemerkenswert, dass Eckhart sie tatsächlich durchhält, und wie klar ihr Gespür für den je bestgeeigneten Registerwechsel ist. Hinzu kommt die wirkungsvoll durchdachte Gliederung der einzelnen Kapitel, die zugleich wie spontan mäanderndes Geplapper wirken und doch ganz ökonomisch je um ein Thema herum oder auf einen Lacher hin angelegt/montiert sind.

Der komischen Fallhöhe zwischen gewählter Formulierung im Einzelnen und dialektaler Sprache im Allgemeinen entspricht der Inhalt: Die Erzählerin berichtet titelgemäß vom Leben ihrer „Omama“ in Vignetten – eine Kriegskindheit und Nachkriegsjugend auf dem Dorf, in Konkurrenz zur bevorzugten, hübscheren Schwester; (beinahe Zwangs-)Heirat in die Wirtsfamilie eines anderen Dorfs; „Karriere“ beim Direktverkauf irgendwelcher Quacksalberwässerchen auf Messen, dann als „Mastermind“ einer mehrjährigen Salamischmuggel-Operation über die ungarische Grenze; mit der Erzählerin im ungarischen Thermalbad; mit der Erzählerin auf Kreuzfahrt; beim Begräbnis der verstorbenen Freundin Gitti – alles extra nicht glamourös, mit Mut zum heiteren Grind, unter steter Betonung der Unfähigkeit dieser Figuren zur Reflexion und Veränderung ihrer Verhältnisse. Zusätzlich eingebettet sind diese Vignetten in eine pseudosoziologisch kabarettistische Typenschau des ländlichen Raums in Österreich.

Alles dies ist lustig. Man muß – Ausweis der unleugbaren Qualität der Prosa dieser Autorin – sogar gelegentlich lachen, wenn man, was Eckhart da tut, insgesamt durchschaubar und ungustiös findet und das Buch nur unter dem Zwang liest, es zu rezensieren.

Denn Eckharts Humor funktioniert hauptsächlich über das Treten nach unten; über die Kontrastierung der erwähnten gewählten, reflektierten Formulierung, zu der die Erzählerin fähig ist, mit den hilf- und geistlosen, unreflektierten Daseinsäusserungen der kabarettistisch überzeichneten Gruselfiguren, auf die sie unseren Blick lenkt. An keiner Stelle – wirklich: an keiner einzigen Stelle – wird diese reflektierte Sprache vom bloßen „Kontrastmittel“ zum Medium der Kritik an den ausgestellten Verhältnissen. Schlimmer: wenn Eckharts Erzählerin ihren Figuren gegenüber auch nichts als Verachtung übrig zu haben scheint, so kehrt sie doch wieder und wieder zu dem Gedanken zurück, dass die depravierten Verhältnisse, die diese Figuren hervorbrachten, doch sicherlich viel besser – viel stabiler – waren und wären als jene, die aus den Versuchen resultieren mussten und müssten, irgendetwas gesellschaftlich zu verbessern.

Dass diese erzdoofe Trope plausibel erscheinen kann, ist ein Artefakt der zahlreichen kabarettistischen, vereinnahmenden Verkürzungen, die die Erzählerin aufbietet, um irgendeinen Sachverhalt für die (noch unsichtbare, aber hinter der nächsten Ecke lauernde) Pointe passend zu machen: „Wir“ stimmen beim Lesen selbstverständlich zu, dass „Weiber“ (wie es in „Omama“ nämlich kaum Frauen gibt, sondern stets „Weiber“) so und so sind, und Männer so und so, und deshalb etc. pp. und hahi haha und schaut euch die dummen Weiber an! … Dass „wir“ an jener Stelle aber lesend zustimmen, ist halt bloß der Notwendigkeit zur Identifikation geschuldet, nicht der Richtigkeit des Gelesenen – wir könnten, statt der Erzählerin zu folgen, bloß das Buch weglegen.

Eine optische Täuschung also, die uns den Effekt einer Lesekonvention, angewandt auf eine lustig-arrogante Erzählerinnenstimme, als die Erkenntnis erscheinen lässt, früher wäre alles besser gewesen, gerade WEIL es den weniger hübschen, klugen, talentierten Individuen schlechter gegangen sei … Wir kennen diese Selbe Täuschung von Houellebecq … den von Eckhart unterscheidet, dass er einerseits viel, viel weniger unterhaltsam zu lesen ist, weil er andererseits mit seinen Romanen irgendeinen Anspruch hat außer dem, uns möglichst reibungslos zu bespaßen.

„Omama“ ist so lustig wie unerfreulich, weil es sich entweder um die Einladung an „Gewinner“ handelt, über „Verlierer“ zu lachen, aufs Olympischste zu lachen (die „eigentliche Handlung“, betreffend die Beziehung zwischen der Erzählerin und ihrer Omama, ist davon natürlich ausgenommen, bildet aber wirklich nur den notwendigen roten Faden für Eckharts „Gag-Feuerwerk“) oder um eine ernstgemeinte literarische Intervention, die hinter die Errungenschaften der Moderne zurückwill. Beides hinterlässt einen Nachgeschmack, der eher soso lala ist.

War sonst noch was? – Ach ja: der Skandal mit dem kuratorischen Missgeschick: Autorin ein-, öffentlich aus- und dann verschämt wieder einladen; dann doch nicht; erst wegen „Drohungen“ angeblicher Linksradikaler, dann waren’s nur Bedenken von Nachbarn usw. Das geht einerseits alles gar nicht. Es hätte der Autorin andererseits nichts Besseres passieren können: Die Schaufenster der Buchhandlungen sind voll mit Eckharts Buch; nicht dagegen auch mit den Büchern jener andere Autor*innen, die zu dem skandalumwitterten Wettbewerb eingeladen waren. Ohne zu googeln, weiss ich jetzt nicht mal, wer das gewesen wäre. Oder den Namen des Wettbewerbs.

Dann auch noch: Diese Feuilleton- und Facebook-Diskussionen darüber, dass man in der Textrezeption – von Kabarett ebenso wie von Romanen – einen Unterschied zwischen Autor und Erzählerstimme machen müsse; die Interpretation einer Aussage im Text als unmittelbare Autorenintention natürlich Quatsch sei. Eh. Behauptet halt auch niemand. (Auch wäre dieser Gesichtspunkt vermutlich deutlich weniger wichtig für die medialen Rezipient*innen, wenn der Autorin nicht schon wieder [eh nur] einer dieser Kalauer, bekannt aus ihren Kabarettprogrammen, mit „Juden“ und „Geld“ eingefallen wäre, und an anderer Stelle was ganz Lustiges über „deutschen Selbsthaß“) …  Und es ist eben andererseits auch nicht so, als böte uns der Text von „Omama“ Gelegenheit, uns über die fiktionale Erzählerin in derselben Weise erhaben zu fühlen wie über die dörflichen Witzfiguren, über die sie spricht; und just die Verhaberung von uns mit ihr treibt den ganzen „Spaß“ wie ein Schwungrad voran …

Der Triumph übers Schöne wird vom Humor vollstreckt, der Schadenfreude über jede gelungene Versagung. Gelacht wird darüber, dass es nichts zu lachen gibt. Allemal begleitet Lachen, das versöhnte wie das schreckliche, den Augenblick, da eine Furcht vergeht. Es zeigt Befreiung an, sei es aus leiblicher Gefahr, sei es aus den Zwängen der Logik. Das versöhnte Lachen ertönt als Echo des Entronnenseins aus der Macht, das schlechte bewältigt die Furcht, indem es zu den Instanzen überläuft, die zu fürchten sind. Es ist das Echo der Macht als unentrinnbarer. (…) Das Lachen über etwas ist allemal das Verlachen, und das Leben, das da (…) durchbricht, ist in Wahrheit das einbrechende barbarische, die Selbstbehauptung, die beim geselligen Anlass ihre Befreiung vom Skrupel zu feiern wagt. Das Kollektiv der Lacher parodiert die Menschheit. (…) In solcher Harmonie bieten sie das Zerrbild der Solidarität. Das Teuflische des falschen Lachens liegt eben darin, dass es selbst das Beste, Versöhnung, zwingend parodiert.“

(Aus: Adorno/Horkheimer, „Dialektik der Aufklärung“)  

[Beitrag zuerst erschienen auf Fixpoetry]

writer und wirt

Die Sammlung „Relativität ist Freiheit“ von Herbert J. Wimmer umfasst laut Untertitel „200 Gedichte“, verteilt auf zwei Kapitel. Eines dieser beiden heißt „Fenster wie Tage“ – damit ist schon gesetzt, dass wir durch die Texte wie durch Fenster schauen, und diese glichen darüber hinaus Tagen  … aber inwiefern? Was meint die Gleichsetzung konkret? – Um das zu beantworten, scheint in einem der beiden Verzeichnisse im Anhang (jenem, das die „entstehungsdaten“ auflistet) zu jedem Gedicht auch noch vermerkt worden zu sein, es handle sich um einen „sonntagstext“, oder „dienstagstext“, oder (häufig) einen „pfingstmontagstext“ und so weiter. Tage also wie Großwetterlagen, die das Licht auf den Gedichtgegenständen so oder so beeinflussen; und erst im nächsten Schritt Fenster wie Tage – Gedichte wie Fenster …

Womit wir schon mitten in der Textrezeption sind, denn so wie in diesem Titel operiert Wimmer in seinen (meist) aphoristischen Gedichten häufig genug. Uns die einzelne Kippfigur oder Verknüpfung, um die das Gedicht geordnet ist, gedanklich durchspielen und auf ihre erste Permutation zurückverfolgen zu lassen, ist sein Kerngeschäft. Er scheint darin stilistisch eher vom österreichischen Radiokabarett der Ära „Guglhupf“ und der dazu korrespondierenden schönen Literatur zu kommen, die zu gleichen Teilen zum Selberlesen, für die Kabarettbühne (in Figurenrede) und den Vortrag (ohne Figurenrede)  geschrieben schien … 

Texte, meist mit der groben Struktur des Witzes, und damit auch mit dessen Vorschein von dem, was mit Recht Volkstümlichkeit hieße, wenn es das schreckliche Genre „volkstümlicher Musik“ nicht gäbe – Mündlichkeit, antiautoritäre Stoßrichtung –, aber ohne den Zwang zur lustigen Pointe, der dem Witz auferlegt ist. Kostprobe: …

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Drüberfahren

Zunächst registrieren wir bei diesen Gedichten von Hans Thill die Bereitschaft, einmal eröffnete Muster in der Luft hängen zu lassen, etwas „mittendrin“ abzubrechen – Sätze, Strophen, Sinnzusammenhänge, Redewendungen, Parabeln – und uns damit Strukturschablonen, wie auf Autopilot geschaltete Poesieroboter, in den Vorstellungsapparat zu setzen, der weiter vor sich hin arbeitet, wenn wir in Wirklichkeit mit dem jeweiligen Gedicht (oder kleinerem Stück Text) abgeschlossen zu haben glauben.

Außerdem finden wir viele paradoxe Formulierungen, bedeutungsverschobene Wendungen wie

ein Zug fuhr
durch die letzten Minuten der Stadt

– und viele Anlässe, bei denen Thill aus den Trennstellen von Zeilen- bzw. Strophenbruch Sinn und/oder Effekte erzielt:

Wenn du den Löffel in die Hand
nimmst, ist schon Krieg in den Gärten
und Brunnen werden unter Sand
gelegt.

Selbe Farbe, selber Preis: Du hast den
Sand im Haar und der graue Wind
müht sich, aber wirklich tief
schläft

der Älteste unter den den Toten. Das
Geld ist eine Maske, eine Verschwörung
der Gesichter. Du nimmst es in die
Hand

wie Wasser, das die Augen reizt.
Du bist ein Wanderer über diesen
Hügel, auf dem Weh des rätselhaften
Hungers. Du sagst wenig,

aber in Brocken. Wenn du den Löffel
wieder neben den Teller legst, ist
der Krieg nicht aus. Das Geld reift in den
Fässern des Schlafs und dein Haar

(…)

Es verhält sich auch so, dass in vielen, nicht allen, der Gedichte die Strophen nummeriert sind, sodass sie gegen das, was jeweils im Text selbst steht, den Anschein erwecken, sie wollten gelesen werden  wie „Kränze“ vieler einzelner Zwei- oder Vierzeiler, und diese Zwei- oder Vierzeiler hätten auch für sich, als Miniatur, Gültigkeit … während doch das Syntagma des Gedichts über diese Nummerierungen einfach drüberläuft, „drüberfährt“. (Wir denken ggf. an das Bonmot, dass die Kunst Sinn machen müsse, nicht jedoch das Leben …)

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„Ich rede von der Cholera“

Tim Jung hat für Hoffmann und Campe ein Büchlein herausgegeben, das aus Heinrich Heines „Französische[n] Zustände[n]“, die jener ab Dezember 1831 für die Augsburger „Allgemeine Zeitung“ schrieb, diejenigen Abschnitte versammelt und aufbereitet, die direkt von der Choleraepidemie im Frühling 1832 handeln und also „Parallelen zur Corona-Krise“ nahelegen.

Der Band bietet ein locker-feuilletonistisch zu lesendes, aber inhaltlich konzises Herausgeber-Vorwort, er bietet den Text selbst – knappe 30 Seiten – und er bietet das Faksimile der damaligen Zeitungsseiten, leider so sehr verkleinert, dass sie nicht ohne Weiteres lesbar sind. Über Heines Text selbst … [Weiterlesen auf Fixpoetry]


Sehr viel sprachig

„Leipzigيّاt“ ist der Titel eines Büchleins von hochroth München, in dem Autor und Gestalter ausloten, was Mehrsprachigkeit bedeuten kann. Die einzelnen Worte oder Satzglieder der zwölf Gedichte, die je auf der linken Seite jeder Doppelseite stehen, alterieren zwischen Deutsch, Englisch, Kurdisch, Arabisch, Spanisch; rechts findet sich jeweils eine Tabelle [fast] aller verwendeten Begriffe und Wendungen in allen fünf Sprachen (und zwei Schriften). Zusätzlich gibt es je noch einen QR-Code, um den Text, wie er da steht, auch vom Autor gelesen hören zu können.

Die Fremdheit, die dieses Leseerlebnis erzeugt, ist profund: Der Moment, da wir lesend vergessen können, dass wir lesen, um uns stattdessen der Struktur zu überlassen (identifikatorisch oder sonst wie anders), er wird uns vom Gebilde verweigert. Dafür … [Weiterlesen auf Fixpoetry]


Zu Caca Savic, „teilchenland“

Das allererste, was auffällt, ist das wiederholte Auftauchen von (ich vermute) serbischen Wörtern im Textfluss – und zwar nicht besonderes hervorzuhebenden Wörtern, sondern einfachem Alltagsvokabular. Dies geschieht ohne nähere Erklärung, ohne Übersetzung, es handle sich bei dem abgebildeten Sprachschatz zwischen Deutsch und Serbisch eben um den verfügbaren.  Auch die Namen der vier Kapitel sind serbisch. In dieser Reihenfolge lauten sie2: „obris“ – Gliederung, „utopija“ – Utopie, „tjelo“ – Körper, „iluzija“ – Illusion. Dass nun der erste Teil der Gliederung selbst „Gliederung“ heißt, und zwar in einer Sprache, die dies nicht unmittelbar offensichtlich sein lässt, darf als Beispiel für das zweite konstitutive Element von „Teilchenland“ gelesen werden:

Im Klappentext steht nämlich u. a. … [Weiterlesen auf Fixpoetry]


Sprachraum und Auffassungsunterschied

2020 erschien bei Limbus Preziosen das Märchen-Triptychon „Der gute Bruder Ulrich“ von Marlen Haushofer, wohl auch anlässlich des aktuellen hundertjährigen Geburtsjubiläums der Autorin, versehen mit einem lesenswerten Nachwort von Herausgeber Markus Bundi. Zu jenem Buch (das auf Fixpoetry bereits von Marcus Neuert besprochen wurde) gibt es aber auch einen kurz zuvor erschienenen Sekundärband aus der Feder Bundis: „Begründung eines Sprachraums. Ein Essay zum Werk von Marlen Haushofer„. Mit diesem Begriff – „Sprachraum“ – nähert sich der Linguist und Philosoph Bundi den im Werk Haushofers auf besondere Weise gesetzten Sprech-Situationen – ihren mehrfachen Rahmenkonstruktionen, den klarer als bei anderen Autor*innen definierten Ebenen zwischen Erzähler*in, Leser*in, Protagonist*in und ontischer Autorin – als einem wesentlichen Charakteristikum ihrer Prosa. Wir müssten, so Bundis zentrale und plausibel belegte These, Haushofers Texte von der Begründung des Sprachraums im jeweiligen Narrativ her lesen.

Auch sind die literarische Referenzmodelle, die Bundi auf Haushofer anwendet, (mir) neu, kenntnisreich gewählt und aufschlussreich (die erste Konsequenz der Lektüre seines Aufsatzes für mich war, … [Weiterlesen auf Fixpoetry]


Alfred Kolleritsch 1931-2020

(…) Als kein Blut mehr herausfloß, brach das Schwein zusammen, blieb liegen und hörte zu zucken auf.

Zählingsar, der Poet und der schöne August hatten den Vorgang beobachtet. Sie lehnten es ab, das in heißem Fett gebratene Blut zu essen. Zählingsar ging zwar in die Küche des Brauhauses. Als sie das Schwein hereinbrachten, um es auf dem bereitstehenden Schragen zu häuten und zu zerlegen, forderte er die Freunde auf, zu gehen. Auf der Heimfahrt schien die Sonne blaß, dein Dunstkreis rückte sie weiter weg. Der schöne August wagte nicht, vom Gesetz der Natur oder vom Gesetz des Lebens zu sprechen, wie Zährlingsar befürchtet hatte. Während er erklärte, dass Fledermäuse nie gegen Gegenstände fliegen können, flog dem Poeten eine Fledermaus in den Mund. Zählingsar meinte, daß der Widerstand, den die Welt leiste, auf ein falsches Training der Sinnesorgane zurückzuführen sei.

Dieser Ausschnitt stammt aus dem Debütroman von Alfred Kolleritsch, „Die Pfirsichtöter. Seismographischer Roman“, der 1972 bei Residenz erschien. Kolleritsch war – durch die Gründung der Zeitschrift manuskripte 1960, durch sein Engagement für die Eröffnung des Kulturzentrums Forum Stadtpark, und vor allem durch seine unermüdliche, kulturpolitisch klarsichtige Herausgeber- und Förderertätigkeit – neben Emil Breisach und dem Politiker Hanns Koren einer der entscheidenden Impulsgeber, die in Graz und Österreich der damals noch höchst lebendigen Ästhetik und Kultur der verbliebenen Nazis und Austrofaschisten mit ihrem Kitsch, Blut und Boden als Erste etwas entgegensetzten.

Er verantwortete zum Beispiel als Veranstalter die für die konkrete poesie so wichtige Grazer Lesung von Ernst Jandl 1964, oder gab Oswald Wieners „Die Verbesserung von Mitteleuropa. Roman“ heraus – beides stieß auf Bedenken und Widerstände von Milieus und Medien, die ihn Jahrzehnte später als Symbolfigur feiern würden, ohne sich je auf genauere Auseinandersetzung mit einzelnen Texten einzulassen.

Wikipedia listet zahlreiche Autor*innen auf, die ihm ihre ersten Veröffentlichungen, oder auch weitere Förderung, verdanken. Sein Verhältnis zur weiteren Literaturzeitschriftenlandschaft in Graz und Österreich war spätestens ab den Achtzigern und Neunzigern nicht ohne Verwerfungen. Das wird auch daran liegen, dass es diese Landschaft in ihrer vorliegenden Form – man scherzt, Graz, „Die heimliche Literaturhauptstadt der Steiermark“, hätte inzwischen die größte Zahl an relevanten Zeitschriften pro Einwohner überhaupt – ohne ihn nicht gegeben hätte.

[Beitrag ursrpünglich erschienen auf Fixpoetry.]

Episoden, in denen Deutsche sterben

roße Empörung löste 2017 die Linke-Politikerin Sarah Rambatz aus, als sie auf Facebook, nach Filmempfehlungen gefragt, für »grundsätzlich alles, wo Deutsche sterben« plädierte. Selbst Funktionäre ihrer eigenen Partei stimmten in den Shitstorm »besorgter Bürger« ein, der auf ihr Statement folgte. Ihren Listenplatz für die Bundestagswahl war Rambatz los. Dabei hatte sie nichts Aufregenderes artikuliert als eine Vorliebe für Produktionen der Unterhaltungsindustrie, die ihren normativ erwarteten, freudvoll-kathartischen Gewalt-Slapstick eben gegen die Körper von Nazis richten (statt gegen Aliens, Vietcong, Zombies, Terroristen oder Autos) – ein wohlbekanntes Setting zur Befriedigung eines wohlverständlichen Bedürfnisses. 2009 war es … [weiterlesen in TAGEBUCH #6]


Altar und Selbst und Überschätzung

Ein Gespräch mit Raphaela Edelbauer über „Das Ritual“

Zahlreich sind derzeit die Literatur-Im-Netz-Projekte in Österreich. Sie verdanken sich der Gemengelage von (a) Fadesse unter Quarantäne, (b) fehlenden beruflichen Perspektiven bei den  Kulturschaffenden sowie (c) unserer gut eingeübten Haltung, zu jedem Thema auf Zuruf „was machen“ zu können (und, viel wichtiger: auch zu sollen).

Manche dieser Projekte und Reihen transferieren schlicht die klassische Lesung mit allen ihren zwölf Besucher*innen als Stream ins Netz. Andere bemühen sich um alternative Formen, die etwas mit den geänderten Anforderungen des „neuen“ Mediums zu tun haben (etwa Jörg Piringers QuarantineArtTV). Manche waren vor allem als praktische Lösungen für die Frage gedacht, wie man von institutioneller Seite dem drohenden ruinösen Einkommensausfall so vieler KollegInnen begegnen soll (etwa die Benefizlesung von Camus‘ gesamtem Roman „Die Pest“). Allen diesen Sorten Quarantäne-Programm war gemeinsam, dass sie uns in den letzten sieben Wochen mitunter gut unterhalten haben, und dass sie relativ leicht in unseren neuen, abgeschotteten Alltag integrierbar waren: Man wusste ungefähr, was man jeweils bekommen würde.

… nicht so mit dem Programm, das am Donnerstag, den 14. Mai, von 20:00 bis 21:30 von dem Duo Edelbauer/Goritschnig auf Youtube gestreamt werden wird. Der Text zur Facebook-Veranstaltung lautet:

Edelbauer/Goritschnig (…) führen aus Edelbauers Garten den ersten Live-Stream-Exorzismus aus, dessen Patient die ganze Welt ist: Das Coronavirus wird ausgetrieben. Das Setting: Ein kolossaler Altar, ein Dreibein, ein Schafsschädel, ein Gong, ein chymischer Topf. In höchster Komprimiertheit werden sämtliche mittelalterlichen Techniken – Alchemie und früher Katechismus, pagane Strömungen und Runen – zusammengezogen, um mittels symbolischer Übertragung das Virus zu bannen. Das Ergebnis zeigt eindrucksvoll die metaphorische Bannkraft der Kunst: der Therapie namens Selbstüberschätzung.

Über diese wuchtige Ansage und das, wofür sie steht, unterhielt ich mich für fixpoetry mit Raphaela Edelbauer.

Schmitzer: Liebe Raphaela! Freundlicher als in diesem Schlusssatz eurer Veranstaltungseinladung ist schon länger keine Fundamentalkritik mehr an der Selbstwahrnehmung der Intellektuellen geübt worden …

Edelbauer: Ja, ich habe das rezent in einem Blogeintrag für die Schule für Dichtung, die „Krisentagebücher“ von AutorInnen macht, so paraphrasiert:

Es sind dies (klassische Lesungen, Anm.) allesamt Formate, in denen zumeist einem alphabetisierten Publikum Texte vorgelesen werden, um des Reizes Willen, den es auszumachen scheint, die auratische Präsenz der Autorin im Raum zu spüren. Bar dieser „physischen Repräsentation“ der Kunst – weil sie nun einmal momentan virologisch untersagt wurde – emaniert aus dem was übrig bleibt (nämlich gar nix) in unvergleichlich majestätischer Weise die vollkommene Leere.

Ich finde es also spannend, wie wir einer ohnehin schon sehr umstrittenen und immer unbeliebter werdenden Praxis, der Lesung, zusätzlich eine Skypeversion entgegensetzen, und was diese Form des Relevanzanspruchs über den Literaturbetrieb aussagt.

Schmitzer: Was sagt sie denn?

Edelbauer: Ich beantworte es zunächst jetzt einmal auf einer politischen Ebene: Die … [Weiterlesen auf Fixpoetry]

Lesen mit Schmitzer: Till Lindemann, “100 Gedichte”

Vermutlich möchte über Corona, oder über die Folgen von Corona, oder über den Sinn der Regierungsmaßnahmen gegen Corona, oder über die Perfidie der Machtergreifung von (mindestens) Bill Gates vermittels der Regierungsmaßnahmen gegen Corona, oder über die Blödheit der Leute, die an die Perfidie der Machtergreifung von (mindestens) Bill Gates vermittels der Regierungsmaßnahmen gegen Corona glauben, niemand mehr was lesen. Deshalb, hier, bitte, frisch aus der jüngsten Vergangenheit knapp vor dem Lockdown – ein unschuldigeres, weniger problematisches Thema: Vergewaltigungslyrik.

Till Lindemann, der Sänger von Rammstein und laut einer Fanseite auf Facebook “poet of rock”, hat nämlich seinen zweiten Gedichtband publiziert: “100 Gedichte”. Das Titelbild – Stiere als Genitalien, aufeinander los galoppierend wie auf dem Red-Bull-Logo – lässt mancherlei hoffen: Bekommen wir surreale, pornographische Lyrik, brachiale erotische Attacken gegen die lustfeindliche Werbebildchen-Welt? Oder in Gegenrichtung, streng-poetische Kritik an der Übersextheit-und-Unterbumstheit jener Konsumwirklichkeit im Spätkapitalismus? So oder so: Archaisches! Besonders die zum Stierkopf gewordene Vulva – in sich eine widersprüchliche Chiffre – reizt erst einmal (… und dann reizt sie auch noch zum Lesen). Doch leider, leider: Pustekuchen, bzw. false advertising. Das Wort “archaisch” bezeichnet Lindemanns Band nur genau, insoweit auch die Wachskreide-Kritzeleien kleiner Kinder “Archaisches” an sich haben.

Betreffend die Wahl der Stilmittel und die Formsicherheit gibt es keinen großen Unterschied zwischen diesen “100 Gedichten” und einer Sammlung besinnlicher Festtagesgedichte, wie wir sie uns gut neben angegilbten Hummelbildchen aus Großmutters Tagen vorstellen können. Das Alleinstellungsmerkmal demgegenüber ist bloß inhaltlicher Natur. Es besteht in Lindemanns verschwitzt-pubertärem Transgressionszwang. Dabei geht es nicht um Erotik, sondern um das Ausmalen einer Identität als böser Bube, die jedoch als Sprecherposition konkret kaum mehr hergibt als die wenig überraschende Beobachtung, dass man verschiedene Körperteile von Frauen gut findet, und mitunter sogar noch besser, wenn man sie angreifen kann – darin bestehe das Böser-Bube-Sein, so der Gestus dieser Texte, und weil man sich das sagen traue, sei man ganz besonders wild, und sein Kinderzimmer – ich extrapoliere – habe man auch schon lange nicht mehr aufgeräumt.

Mit anderen Worten: “100 Gedichte” bietet identifikatorisches Zielgruppentheater, das wenige innere Widerstände aufweist und insofern als “niederschwellig” angesehen werden darf. Soll sein. Man kann sich, als Begleitgeräusch dazu, Musik von Rammstein vorstellen, oder wahlweise von Helene Fischers Backgroundkapelle – dann fällt die eklatante Schlichtheit der Verse des “Poeten des Rock” nicht ins Gewicht. Lieder sind strukturell einfacher als “bloß-gedruckte” Gedichte, sie müssen es sein, und das allein spräche nicht gegen sie.

Der Rede wert ist an dem Band nur der – offenbar auf dem Reißbrett geplante – Skandal um ihn. Eines der “100 Gedichte” ist nämlich ein Text namens “Wenn du schläfst”, welcher den Übergriff auf eine mit Rohypnol ruhiggestellte Frau beschreibt. Dieses Gedicht nun entfaltete in den sozialen Medien, den Onlinezeitschriften und den paar wenigen Printmedien, die sich für Gedichte überhaupt noch interessieren, seine vorprogrammierte Wirkung.

Folgende Spielzüge wiederholen sich, mit kleineren Unterschieden in Eleganz und Gewichtung je nach Plattform: Zuerst … [Weiterlesen auf KiG!]

„Ohnmacht, Schwerkraft, Reh“

„bezüglich der schatten“ heißt der jüngst hoch ausgezeichnete dritte Gedichtband von Levin Westermann. Das Zitat, das den Titel bildet, bezieht sich im Textkontext, aus dem es stammt, auf nichts Entlegeneres als einen Schatten in der Magnetresonanz-Tomographie des Subjekts. Der Stummelsatz

(…) bezüg-
lich der schatten. die wuchern. im off.

stellt dort ein Aufbegehren dar: gegen die groß-mythologischen und/oder fein gesponnenen Zusammenhänge, die der umgebende Text atmet. Nicht sie, sondern die blanke Angst davor, ob man an etwas Schwerem, gar Tödlichen erkrankt sei, bildeten die erste Ursache des so verdichteten Erlebens, Sprechens, Denkens, das bzw. über das wir rundherum lesen. ‚Erst vom Tode her‘ sei das ganze andere Zeug überhaupt zu denken. Gleichzeitig sagt der Titel „bezüglich der schatten“ – nicht als jenes Zitat gelesen, sondern „unschuldig“ als die Überschrift über gerade diesen Versen –, dass es um die griechisch-antike Auffassung (oder schon damals: die literarische Fiktion) dessen gehen solle, was, als ein „Schatten“, nach dem Tod vom Menschen bleibe, und um unsere akut-reale ‚Bezüglichkeit‘ gerade auf diese Auffassung (oder Fiktion). Unsere Inadäquatheit – individuell vom Ende her gedacht, als Gattung von der Zukunft her.

Westermann gibt seiner Lyrik ein unaufgeregtes Gepränge: betont schlicht der Stil, wenig extravagant das Vokabular. Die Einfachheit der ersten Verse entwickelt das Programm, dem das Buch folgt, und das wichtigste Stilmittel der folgenden etwa 150 Seiten:

Über Nacht
haben sie den Wald
mit Wald ersetzt,
die Vögel
mit Vögeln, den Fuchs
mit einem Fuchs.
Und draußen
in der Dämmerung
fällt Schnee, ein Auto-
wrack wird weiß
an einem See, im Garten
weder Bienen noch
Libellen noch
ein Kind –
Wir brechen auf.

„Den Wald / mit Wald ersetzt“ – die Setzung verwandelt Identes in bloß noch Homonymes. Oder hier:

Die Grenzen unsrer Sprache
sind die Grenzen
unserer Welt.
Das Schlimmste
ist vorüber. Das Schlimmste
steht noch aus.

An uns Lesern ist es jeweils, mittels der Anhaltspunkte aus der Grammatik oder dem Inhaltlichen nachzuvollziehen, was es denn sei, das die Dinge in der Welt transformiert. (Hier: Wie „das Schlimmste“ einmal etwas ist, von dem wir reden können, und einmal ein Unnennbares. Wie darin zwei verschiedene Arten davon skizziert sind, in der Welt zu sein.) Oder das gelingt uns nicht, soll, wie im ersten Beispiel, nicht gelingen, und wir müssen den Sachverhalt der Metamorphose schlicht zur Kenntnis nehmen, uns für später im Text merken, aufmerksam bleiben. Das setzt dann die darauf folgenden Verse unter vergrößerte Spannung … Diese Operation gibt Westermann auch deutlich komplexer als in den eben zitierten Ur-Beispielen. Etwa … [Weiterlesen auf Fixpoetry]

„barocke Petersilien“

Zur Abwechslung verspricht uns ein Klappentext mal nicht zu viel, sondern zu wenig: Alexandru Bulucz‘ „was Petersilie über die Seele weiß“ sei ein

Buch voller Begegnungen. Neben Briefen (…) [und] Geistergesprächen

handle es sich um

[…] Gedichte, die aus Erzählgebilden hervorgehen, mal humorvoll, mal ironisch oder bitter, mal narrativ, mal metrisch und rhythmisch – wie die Klänge jener orthodoxen Mönche, die, mit Holzhämmern auf Stundenhölzer schlagend, ihre Rufe zum Gebet improvisieren

– und abgesehen von jenem einen konkreten Bildmotiv, dem Stundenholz, und dem Background, den es impliziert (als Kirchenglocken-Ersatz in den ehemals osmanisch beherrschten Gebieten Europas), ist diese Schilderung recht allgemein gehalten. ‚(Geister-)Gespräche wechselnder Partner, bei wechselnden Stimmungen‘ – so etwas finden wir bald einmal in einem Band deutschsprachiger Gedichte. Doch Bulucz‘ vorliegende Sammlung von neun (oder, je nach Zählung, elf) Zyklen verfolgen ein viel enger gefasstes, viel stringenteres Programm.

Klar, den Texten ist allen das Element von Zwiesprache gemeinsam, innerer Zwiesprache mit einem abwesenden Gegenüber, aber von Interesse für uns sind die bestimmten Formen, die diese Zwiesprachen annehmen, und, was in ihnen verhandelt wird. Dieser thematische Gehalt wäre dann, ungefähr, „Memento Mori“: Umgang mit Sterblichkeit, mit Verschwinden, mit Erinnerung. Das bietet uns auch Gelegenheit, Bulucz‘ Gedichte als Texte-über-das-Schreiben zu lesen, so, als behandelte jeder Text, wenn er vom Verschwinden spricht, sein eigenes Verschwinden explizit mit.

Formal schlägt sich … [Weiterlesen auf Fixpoetry]

»Wir werden leuchten«

„Ousia“ ist das dritte Buch von Verena Stauffer und ihr zweiter Gedichtband. Der Roman „Orchis“ aus 2018, mehrfach ausgezeichnet und inzwischen schon als Taschenbuch nachgedruckt, war zugleich eine selber sehr sinnliche Angelegenheit und eine Dekonstruktion jener Allüren von Sinnlichkeit, wie sie die deutschsprachige Erzählliteratur der letzten hundertfünfzig Jahre in den orientalisierenden Schilderungen und Topologisierungen von allerhand außereuropäischen Schauplätzen und außer-bürgerlichen Milieus gern aufkommen lässt – ein wissenschaftsgeschichtliches Planspiel über ungefähr jene Ideen, die wir in Foucaults „Wahnsinn und Gesellschaft“ finden.

Eine Möglichkeit, den neuen erschienen Band zu interpretieren, ist nun, ihn in unmittelbarer Anknüpfung an Orchis zu lesen. Beide Bücher haben auf der Ebene geschilderter Inhalte die Häufung eines, sagen wir, Dreischritts gemeinsam: von der, erstens, Pflanze, meist Blume – zur, zweitens, Körperwahrnehmung, Selbstvergewisserung – zur, drittens, Ausbreitung einer Theorie- oder einer Technik-Sprache. Die Autorin verneint auf persönliche Rückfrage hin, dass es sich da um absichtsvolles Fortschreiben eines ca. „Orchis-Textkosmos“ handelt. Wir dürfen also in dem Dreischritt ca. das poetische Sensorium, das Denken der Autorin, im vorbewussten Arbeitsmodus vermuten.

Der Buchtitel, Ousia, weist auf das altgriechische Wort für „Essenz“, „Wesenskern“ oder „(innere) Natur“ – wobei es mit der genauen Übersetzung des Begriffs so seine Bewandtnis hat, und zwar eine Bewandtnis für diverse Teilgebiete der Scholastik und der frühchristlichen Konzilsgeschichte; ebenso wie mit seiner Etymologie, die sich ganz ursprünglich von einem „Besitz“ herschreibt.1 Das Wesen einer Sache als das Eigentumsverhältnis, in dem sie steht … oder: wie die Idee einer Essenz, historisch später(e Bedeutung), dem blanken Besitzen entwächst … jedenfalls lässt sich das Kräftefeld des Titelbegriffs praktisch anwenden:

„Ousia“ besteht nicht nur aus filigran, aber streng geformten Naturgedichten, aber es gibt ihrer doch einige. Die Erde als ganze ist der Schauplatz, von dem die Dichterin singt – und was ist das „Wesen“, die „Essenz“ der Erde laut Stauffers dezent-präsenter Didaktik? – Ihr, der Erde, Öl: Erdöl, Petroleum. … dessen Besitz letzter Konfliktgrund von so manchem der menschlichen unter den geschilderten Dramen darstellt … dessen geologische Entstehungsprozesse Stauffers Lyrik … [Weiterlesen auf Fixpoetry]

Kosmisches Leuchten aus Katzenfell-Kotzball

Der Band „Kleine Korrespondenzen“, der bei Das fröhliche Wohnzimmer – Edition erschienen ist, folgt einem einleuchtenden Spielprinzip: 

„Neunundzwanzig Autor*innen sendeten ein Gedicht oder eine visuelle Arbeit. Diese wurden sodann nach dem Zufallsprinzip eine*r der Autor*innen zugeteilt, aufdass diese darauf literarisch oder bildnerisch reagiere. Somit hat jeder Teilnehmer, jede Teilnehmerin einmal einen Ausgangstext geschrieben und einmal auf einen solchen reagiert.“ 

Was dieses Verfahren laut dem Vorwort des Buchs abbilden will, das sind die verschiedenen Arten, auf welche künstlerische Produktionen einander beeinflussen, initialisieren, bedingen können. Es leistet solches auch durchaus: Aus dem thematischen Schlagwort des einen Texts wird die Formvorgabe des anderen – oder es erfährt ein gleiches Motiv zwei ganz unterschiedliche Deutungen – oder aus einem Spaß wird Ernst, bzw. umgekehrt – oder von einem Medium geht’s in ein anderes … doch wesentlich interessanter als das intendierte Objekt der vorgelegten Schau – der, sagen wir, Einfluss-Fluß zwischen den Autor*innen und Texten – erscheint zumindest mir die „Tönung des Glases“, durch welches wir in „Kleine Korrespondenzen“ auf die, nun ja, die Korrespondenzen schauen: 

Was die Sammlung nämlich über 29 Modi des Korrespondierens hinaus sichtbar bekommt, ist, was man den höchst eigenen Zungenschlag der zeitgenössischen „Wiener Szene“ nennen könnte, oder zumindest einer Wiener Szene. Dieses zu Tage tretende Idiom ist tendenziell unprätentiös; offen hin zur aphoristischen Sonderform des Witzes; firm verankert in einer Textwelt, in der die Errungenschaften der Sprachkritik (a) Teil der Inneneinrichtung, aber (b) auch nicht mehr das Neueste sind; es scheut Einfachheit nicht und unterwirft sich ohne Umschweife der Forderung, die eigenen Gründe nennen können zu sollen. Darüber hinaus sind die gemeinsamen Referenzmaterialien, -orte, -texte und -sounds, wie sie als Hintergrundrauschen sicht-, hör-, spürbar werden, näher dem Erfahrungsschatz von Alltag in Ostösterreich als den diversen sogenannten Elfenbeintürmen.

Dass die bildnerischen Beiträge eine leichte Schlagseite in Richtung Fanzine-Ästhetik aufweisen, und die literarisch weiterverarbeitete „Ur-Rede“ vieler der Texte eine Art vor-diskursiver Unbekümmertheit inszeniert – das sind dagegen Effekte, die wir vielleicht eher dem Kraftfeld des Verlags als der Gravitation Wienerischer Literatur zuschreiben sollten: 

Das Fröhliche Wohnzimmer – Edition ist, wie die interessierte österreichische  Leserin vermutlich weiß, … [Weiterlesen auf poesiegalerie.at]

radiohören mit schmitzer

Der Aschermittwochmorgen. Das Radio. Die einzig überhaupt diskutable Qualitätsradiostation. Die Regisseurin einer Produktion des Theaters in der Josefstadt spricht über die Familienkonstellationen im Stück. Es geht um jugendliche Depressionen und elterliche Überforderung. Die Regisseurin wählt zur Einleitung ihrer (ansonsten erhellenden) Schilderung die Formulierung, es würden da vier Figuren “versuchen, miteinander (…) ein Leben zu organisieren und positiv zu gestalten …”

Wenig später: Eine Musikerin erzählt über ihr neues Album. Welche Erkenntnisprozesse sie beim Liederschreiben anstrebt? – “Ich glaube, dass es viel in unserer Welt gibt, das es zu verändern gilt, und in dem Moment, in dem wir uns eingestehen, dass wir nicht genau wissen, was Sache ist – dass wir verletzbar sind, dass viele Fragen offen sind – in dem Moment begeben wir uns auf die Suche nach den Antworten, die vielleicht kompliziert ausfällt, aber hoffentlich nachhaltig ist.”

“Leben (…) positiv gestalten”

“Suche nach Antworten (…) hoffentlich nachhaltig”

Managementjargon, elendiger.

Schrecklicher.

Blöde wie benutzte Schneuztücher, die keiner wegräumen will, in den verborgenen Ecken aller Lebensbereiche gammelnder Managerjargon.

Stinkert an alle Echokammerwände wie noch-zähflüssiger Raclettekäse geschmierter Managerjargon.

Die schöne Geradheit der Sätze durch Schnörksel – mit “s”! – verunzierender Managerjargon.

Managerjargon, dialektische Rache des Gespensts von Margaret Thatcher an den Intellektuellen.

Managerjargon, dein Name ist die widerhallende Bewusstlosigkeit der fünfzehnjährigen Trampel im Nahverkehr.

Managerjargon positiv.

Managerjargon Nachhaltigkeit.

Managerjargon zeitnah, ganz bewusst, effizient, ein Stückweit.

Synergien Managerjargon, Steigerungspotenzial Managerjargon, self-care optimization Managerjargon.

Ich schau dir in die Augen, Managerjargon, und sehe also deine Seele, und sie ist ein Kind im teuren Siebziger-Jahre-Anzug deines Vaters, leitender Angestellter bei Siemens oder so, sehe also das Kind, das sich mit einem kindgerechten Bastelhammer in die Fontanelle drischt, wieder und wieder und wieder, während draußen, hinterm Fenster, die Vöglein vom besseren Leben zwitschern, mit Stimmchen wie aus jenem einen Disneyfilm.

Managerjargon, Gebrabbel der traurigen blutgierigen Schatten drunt’ im Hades.

Managerjargon, Schlafspritze in der Hand des psychiatrischen Pflegers.

Managerjargon, Gummigeschoß im ewigen Mai ’68 der Seele.

Managerjargon Bullentonfa.

Managerjargon Katzenscheiße unterm Esstisch, nein, halbe Maus in Katzengekotz-Sauce unter dem Esstisch, und ich soll das dann wegräumen, weil ich sonst nicht essen kann oben drüber, geschweige denn Gäste empfangen, aber welches Werkzeug auch immer ich anfasse, die Katze war schon da und hat ihren Schlatz hinterlassen, es ist beachtlich, Managerjargon, soll ich jetzt hier hocken und verhungern oder was?

Fehler im GPS-Grid Managerjargon.

Entkoffeiniertes Koffeinbier ohne Alkohol Managerjargon.

Walpurgisnacht Managerjargon, aber schieche Walpurgisnacht, nicht sexy, sondern knöchern und staubig und kalt kalt kalt ausgeleuchtet vom Scheinwerfermond.

Managerjargon der durch Treppenhäuser hallt, in denen wir uns verlaufen, obwohl’s nur den Hauptschacht gibt, komisch.

Managerjargon wir können nicht mehr darüber reden was einmal die Zukunft gewesen sein wird.

Managerjargon wir … [Weiterlesen auf KiG!]

„auf der Wiese die Blumen im Licht“

Es sind 2520 (zweitausendfünfhundertundzwanzig) nummerierte Verse, aus denen Nikolai Vogels Band „fragmente zu einem langgedicht“ besteht – die Genrebezeichnung „Langgedicht“ lügt also mitnichten. Wobei … der Titel verheißt uns „Fragmente“, Plural, und die 2520 Verse weisen keine Anzeichen weiterer Untergliederung auf … hieße es da nicht richtiger „Fragment“, Singular?

… oder bedeutet uns der Plural, es sei jede einzelne Zeile für sich als eines jener Fragmente zu lesen – und der Band insgesamt bilde diese Fragmente vollzählig ab, umfasse also bereits das ganze (und eben nicht mehr: fragmenthafte) Langgedicht? Entweder, dies letztere ist der Fall, oder mit den „Fragmente[n]“ sind die einzelnen Szenen gemeint, die der uns vorliegende Text schildernd durchmisst – dann wäre er, dieser vorliegende Text, wiederum just nicht das im Titel verheißene Langgedicht, sondern ein anderes, eines, das in dem bei gutleut 2019 erschienenen Buch namenlos bleibt.

Nur auf den ersten Blick sieht also alles ziemlich einfach aus – irgendwas mit Langgedicht, und irgendwas ist Fragmenten; beides Indikatoren, einfach mal drauflos zu lesen – aber wenn wir (selbst nur den Titel) ein wenig genauer lesen, stellt sich sofort Unschärfe ein, die uns zwingt, zwischen mehreren gleichermaßen paradoxen Optionen zu wählen.

Wir dürfen darin das Programm des Verfassers erkennen. Vogel zwingt uns, unsere eigene Position als Leser*in mitzubeobachten, wenn wir seinen Gedichtband lesen – der seinerseits tendenziell die Totalität einer Lebenserfahrung wiedergibt, die vollständige Menge der konstituierenden Einzelbestandteile eines Lyrischen Ich. So legt der Text uns, bevor wir noch weiter sind als auf der ersten Seite, nahe, es gehe ums Eingemachte, nämlich uns-selbst; wir dürften uns getrost dem Prosaversfluss Nikolai Vogels anvertrauen, er spreche, je individuell, zu uns von uns, bzw. von uns zu uns.

Eine der Methoden, um den Effekt dieses solchen vertrauensvollen Ichverlusts beim Leser zu erzielen, mag zugleich als Schwäche von Vogels Herangehensweise erscheinen: je plausibler in den Ordnungen der zeitgenössischen Lyrik verankert die Sprache ist, kraft derer sich das Innenleben von Vogels Textsubjekt entfaltet, desto generischer erscheinen notwendigerweise die einzelnen Details der dazugehörigen Außenwelt – oder zumindest überzeugt uns Vogel versuchsweise davon, dass das Wirklichkeitssubstrat zu jeder seiner Erfahrungen und Beobachtungen recht allgemeinverständlicher, allseits unkontroversieller Natur wäre.

Spektakulär ist also [Weiterlesen auf Fixpoetry]