Bodycheck, Gedächtnistheater. Zu Max Czollek, „Gegenwartsbewältigung“

Es gibt ein Kapitel in diesem neuen Essay von Max Czollek, das ausgeht von nicht-mehrheitsdeutschen Wahrnehmungen des Mauerfalls 1989, und im Endeffekt über die  polit-künstlerischen Interventionen des heutigen Zentrums für politische Schönheit spricht. Über jenen 9. November 1989 heißt es dort unter anderem:

Die mit dem Begriff Wiedervereinigung markierte Vorstellung des gemeinsamen identitätsstiftenden Deutschseins wurde vonseiten etwa jüdischer, afrodeutscher, queerer und migrantischer Marginalisierter als (…) Bedrohung erlebt, gegen die sie sich zur Wehr setzten.

Damit ist erstens schon ungefähr angedeutet, wie geartet und wie weit verknüpft die einzelnen Theorie- und Recherche-Schauplätze des ganzen Bandes sind. Zweitens aber legt es nahe, den Band zusammen zu denken – aneinander zu denken – mit Durs Grünbeins ebenfalls jüngst erschienenen und auf Fixpoetry besprochenen Oxford Lectures, einem Buch, das sich ebenfalls, und ausschließlicher als das von Czollek, dem subkutanen Fortwirken der Hitlerei im Zeitgenössischen widmet, und aufs Ehrlichste, teils Unbequemste widmet – aber eben explizit genau aus der Perspektive eines Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft, für den der Mauerfall essentiell das erfreuliche Ende einer langen Nacht bedeuten konnte.

Max Czollek ist von Haus aus Lyriker und, wie das wohl heißt, Theaterimpresario, und hat mit dem Band „Desintegriert Euch!“ 2018 das Projekt begonnen, in unmissverständlicher und nach Maßgabe des Feuilletons hinreichend unterhaltsamer Weise den Hinweis in die Gegenwartsdiskurse einzuspeisen, dass das Selbstbild des zeitgenössischen „guten“, „bunten“, „besseren“ Deutschland  durchaus problematisch bleibt – egal, wie viel „Vergangenheitsbewältigung“ da betrieben werde. Die Inszenierungen von „Versöhnung“ nach der Shoah beispielsweise unterstellen die Bereitschaft zur Versöhnung beim (jüdischen) Gegenüber als selbstverständlich; die Rede von der Offenheit dieser Gesellschaft für Integration behält die Scheidung der Welt in „uns“ und „die“ bei, und ändert bloß den Modus, mit dieser so geschiedenen Welt umzugehen. Das ist nicht nichts, aber nicht die Hauptsache: wer als das handelnde Subjekt der deutschen Geschichte gesetzt ist – das Volk – und was dieses „Volk“ ausmacht, hat sich mit seiner „Gutwerdung“ kaum geändert.

Der neue Essay, „Gegenwartsbewältigung“, aktualisiert Czolleks Thema, fokussiert es aber auch andres, nämlich vom Integrations- auf den Heimatbegriff, und darauf, welche Aus- er neben all den Einschlüssen produziert; wie auch ein vorscheinlich fortschrittlicher Begriff von „Heimat“ und „Nation“ gruselige Zustände entweder verschleiern hilft oder hervorbringt:

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