Erschienen in #3/2024 von Tagebuch – Zeitschrift für Auseinandersetzung
Die Cybernetic Culture Research Unit (CCRU) wurde 1995 an der University of Warwick (England) als Labor für Dissertant:innen gegründet, die zu Netzkultur forschten. Ihre zwei bekanntesten Alumni sind der 2017 verstorbene Mark Fisher, der das nützliche Buch Capitalist Realism (2009) verfasst hat, und sein Antipode Nick Land – heute explizit antiuniversalistischer Rechtsakzelerationist und Hofnarr von Peter Thiel. Wenn Thiel sagt, Freiheit (= Kapitalismus) und Demokratie seien nicht vereinbar, dann plappert er verkürzend dem viel brillanteren Land nach. Denn brillant – und umfassend belesen – ist Nick Land leider wirklich. Seine Einlassungen werden dementsprechend gern an der Silicon-Valley-Flanke des aktuellen Trumpismus-Nihilismus als politisches Programm bzw. als Theorie-Unterfutter der jeweiligen Verschwörungstheorie du jour in Stellung gebracht.
Bis jetzt gab es von dem Vordenker der Gegenaufklärung (Pardon: des Dark Enlightenment) nichts auf Deutsch. Interessant an dem nun bei Matthes & Seitz erschienenen Auswahlband ist nicht der übersetzte Autor (der war auch auf Englisch präsent genug), sondern die Leistung, das elegante Irrlicht für den deutschsprachigen Markt zu kontextualisieren. Dies gelingt dem Verlag bzw. den Herausgebern Philipp Theisohn und Dietmar Dath bravourös: Auf 330 Seiten antihumanistischer Geisterbahn folgen circa 70 Seiten eines Korrespondenzessays, in dem Theisohn und Dath einander und uns diesen Nick Land erklären. Dass der Essay interessanter ist als sein Gegenstand, liegt schon einmal an der Form. Die Fiktion eines Briefwechsels erlaubt, viel Sekundärmaterial aufzubieten. Das schriftlich inszenierte Podiumsgespräch strukturiert gut das Aufbereiten von Lands lockend-finsterem Quatsch für jene Leser:innen, die selber keine Referenzbibliothek zu Hause haben. Auch erlaubt es den Korrespondenten manch sportliche Volte im Argumentieren.
An einer Stelle spielt auch Daths Konzept davon eine Rolle, was die Kritische Theorie in ihrem Kern sei. Darüber wäre wohl gesondert zu streiten. Er sieht da nämlich nicht einfach marxistische Intellektuelle, enttäuscht davon, dass die Sowjetunion nicht tat, wie sie hätte sollen, sondern sieht genauer: solche beleidigten Ex-Marxianer, denen ihr Marx nun »zu MODERN« geworden sei (und komplementär dazu »die Franzosen«, die Marx als »ZU WENIG MODERN« angriffen). Das ist elegant, geht aber nur, wenn wir die Diagnose der Dialektik der Aufklärung fälschlich als Programm lesen.
Theisohn und Dath ordnen Land richtigerweise in eine Traditionslinie von britischen Obskuranten: William Blake, Aleister Crowley, Alan Moore und David Bowie. Der Korrespondenzessay lässt sich dabei auch als Einführung in jüngere theoretische Auseinandersetzungen mit mystischen Devianzen lesen, aufsitzend auf El Sandifer (Neoreaction: A Basilisk) und A. M. Melzer (Philosophy Between the Lines). Land biete dabei die Umkehrprobe auf Melzers These, die Mystik stets als verdrängtes Politisches liest. Und: Je besser die historische Chance für die Verwirklichung des rechten Programms, desto weniger mystisch und dunkel äußere Land sich.
Nicht alle Instanzen neoreaktionären, identitären, antiuniversalistischen Denkens, die derzeit in der Welt sind, wissen von sich, dass sie gegen die Aufklärung gerichtet und letztlich rechts sind. Vielleicht hilft ihnen der Dialogessay zu Nick Land.