Altar und Selbst und Überschätzung

Ein Gespräch mit Raphaela Edelbauer über „Das Ritual“

Zahlreich sind derzeit die Literatur-Im-Netz-Projekte in Österreich. Sie verdanken sich der Gemengelage von (a) Fadesse unter Quarantäne, (b) fehlenden beruflichen Perspektiven bei den  Kulturschaffenden sowie (c) unserer gut eingeübten Haltung, zu jedem Thema auf Zuruf „was machen“ zu können (und, viel wichtiger: auch zu sollen).

Manche dieser Projekte und Reihen transferieren schlicht die klassische Lesung mit allen ihren zwölf Besucher*innen als Stream ins Netz. Andere bemühen sich um alternative Formen, die etwas mit den geänderten Anforderungen des „neuen“ Mediums zu tun haben (etwa Jörg Piringers QuarantineArtTV). Manche waren vor allem als praktische Lösungen für die Frage gedacht, wie man von institutioneller Seite dem drohenden ruinösen Einkommensausfall so vieler KollegInnen begegnen soll (etwa die Benefizlesung von Camus‘ gesamtem Roman „Die Pest“). Allen diesen Sorten Quarantäne-Programm war gemeinsam, dass sie uns in den letzten sieben Wochen mitunter gut unterhalten haben, und dass sie relativ leicht in unseren neuen, abgeschotteten Alltag integrierbar waren: Man wusste ungefähr, was man jeweils bekommen würde.

… nicht so mit dem Programm, das am Donnerstag, den 14. Mai, von 20:00 bis 21:30 von dem Duo Edelbauer/Goritschnig auf Youtube gestreamt werden wird. Der Text zur Facebook-Veranstaltung lautet:

Edelbauer/Goritschnig (…) führen aus Edelbauers Garten den ersten Live-Stream-Exorzismus aus, dessen Patient die ganze Welt ist: Das Coronavirus wird ausgetrieben. Das Setting: Ein kolossaler Altar, ein Dreibein, ein Schafsschädel, ein Gong, ein chymischer Topf. In höchster Komprimiertheit werden sämtliche mittelalterlichen Techniken – Alchemie und früher Katechismus, pagane Strömungen und Runen – zusammengezogen, um mittels symbolischer Übertragung das Virus zu bannen. Das Ergebnis zeigt eindrucksvoll die metaphorische Bannkraft der Kunst: der Therapie namens Selbstüberschätzung.

Über diese wuchtige Ansage und das, wofür sie steht, unterhielt ich mich für fixpoetry mit Raphaela Edelbauer.

Schmitzer: Liebe Raphaela! Freundlicher als in diesem Schlusssatz eurer Veranstaltungseinladung ist schon länger keine Fundamentalkritik mehr an der Selbstwahrnehmung der Intellektuellen geübt worden …

Edelbauer: Ja, ich habe das rezent in einem Blogeintrag für die Schule für Dichtung, die „Krisentagebücher“ von AutorInnen macht, so paraphrasiert:

Es sind dies (klassische Lesungen, Anm.) allesamt Formate, in denen zumeist einem alphabetisierten Publikum Texte vorgelesen werden, um des Reizes Willen, den es auszumachen scheint, die auratische Präsenz der Autorin im Raum zu spüren. Bar dieser „physischen Repräsentation“ der Kunst – weil sie nun einmal momentan virologisch untersagt wurde – emaniert aus dem was übrig bleibt (nämlich gar nix) in unvergleichlich majestätischer Weise die vollkommene Leere.

Ich finde es also spannend, wie wir einer ohnehin schon sehr umstrittenen und immer unbeliebter werdenden Praxis, der Lesung, zusätzlich eine Skypeversion entgegensetzen, und was diese Form des Relevanzanspruchs über den Literaturbetrieb aussagt.

Schmitzer: Was sagt sie denn?

Edelbauer: Ich beantworte es zunächst jetzt einmal auf einer politischen Ebene: Die … [Weiterlesen auf Fixpoetry]