Drüberfahren

Zunächst registrieren wir bei diesen Gedichten von Hans Thill die Bereitschaft, einmal eröffnete Muster in der Luft hängen zu lassen, etwas „mittendrin“ abzubrechen – Sätze, Strophen, Sinnzusammenhänge, Redewendungen, Parabeln – und uns damit Strukturschablonen, wie auf Autopilot geschaltete Poesieroboter, in den Vorstellungsapparat zu setzen, der weiter vor sich hin arbeitet, wenn wir in Wirklichkeit mit dem jeweiligen Gedicht (oder kleinerem Stück Text) abgeschlossen zu haben glauben.

Außerdem finden wir viele paradoxe Formulierungen, bedeutungsverschobene Wendungen wie

ein Zug fuhr
durch die letzten Minuten der Stadt

– und viele Anlässe, bei denen Thill aus den Trennstellen von Zeilen- bzw. Strophenbruch Sinn und/oder Effekte erzielt:

Wenn du den Löffel in die Hand
nimmst, ist schon Krieg in den Gärten
und Brunnen werden unter Sand
gelegt.

Selbe Farbe, selber Preis: Du hast den
Sand im Haar und der graue Wind
müht sich, aber wirklich tief
schläft

der Älteste unter den den Toten. Das
Geld ist eine Maske, eine Verschwörung
der Gesichter. Du nimmst es in die
Hand

wie Wasser, das die Augen reizt.
Du bist ein Wanderer über diesen
Hügel, auf dem Weh des rätselhaften
Hungers. Du sagst wenig,

aber in Brocken. Wenn du den Löffel
wieder neben den Teller legst, ist
der Krieg nicht aus. Das Geld reift in den
Fässern des Schlafs und dein Haar

(…)

Es verhält sich auch so, dass in vielen, nicht allen, der Gedichte die Strophen nummeriert sind, sodass sie gegen das, was jeweils im Text selbst steht, den Anschein erwecken, sie wollten gelesen werden  wie „Kränze“ vieler einzelner Zwei- oder Vierzeiler, und diese Zwei- oder Vierzeiler hätten auch für sich, als Miniatur, Gültigkeit … während doch das Syntagma des Gedichts über diese Nummerierungen einfach drüberläuft, „drüberfährt“. (Wir denken ggf. an das Bonmot, dass die Kunst Sinn machen müsse, nicht jedoch das Leben …)

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