Erscheinen auf KiG! am 06. August 2024
Im Prinzip bebildert “Es gibt uns” recht direkt die ethischen Konzepte und Begriffe, auf die die Autor*innen des new materialism – Karen Barad, Donna Haraway, Bruno Latour et al. – abzielen. Der Verfasserin gelingt, die bekannte wiedererkennbare Bild- und Figurenwelt jenes Diskurskosmos (in dem ja nicht umsonst u. a. von einem Chthuluzän die Rede ist) zu einem knappen, didaktischen Roman zu remixen. Sprich: es sind zunächst einmal keine Menschen, sondern es sind ca. Quallen und ca. Schnecken – und es ist diese eine ca. Hirschin-mit-Spinnensymbiont –, die da als Leute, als vollgültige Subjekte der Erzählung, ihre Stadt Anemos bewohnen. (An einer Stelle, die als comic relief zur Haupthandlung dient, flattert gar eine Subjekt gewordene Vulva auf den Schwingen ihrer Labiae durch die Lüfte, verwickelt in ein Satyrspiel inklusive priapischem Faun.) Und diese posthumanen Bürger*innen, sie gehören alle anscheinend ungefähr der gleichen Größendimension an – das muss vorausgesetzt werden, sonst ginge sich manches hier nicht aus, obwohl es in der Welt des Romans schon irreführend wäre, von Arten und Gattungen im strengen Sinn zu reden: die Ähnlichkeit im Phänotyp von Eltern und Kind sind nur eben dies: ungefähre Familienähnlichkeiten. Um das Kunststück, das Klar da gelingt, noch einmal zu betonen: sie vermag, so zu schreiben, dass wir identifikatorisch lesen, auch wenn der Protagonist des Spiels, dem wir beiwohnen, am ehesten einer Nacktschnecke gleicht, aber einer Nacktschnecke mit zusätzlich scharfen Reißzähnen sowie einigen Eigenschaften, die eher an Schleimpilze denken lassen.
Auch lenkt die profunde Fremdartigkeit der abgebildeten Welt, und die Notwendigkeit, die Regeln dieser Welt zu schildern, uns nicht von der Handlung ab. Dies hat zwei Gründe: Zum einen ist die Story selbst, eingedampft auf ihr Wesentliches, also abstrahiert von der posthumanen Spezifik, sehr unkompliziert (dazu später). Zum anderen ist die Form des Buchs jener Posthumanität punktgenau angemessen. So, wie die Figuren, um die es geht, in Donna Haraways Diktion mehr-als-menschlich sind (also charakterisiert u. a. durch einen verschobenen Umgang mit Körper- und Subjektgrenzen), so ist die Erzählstruktur post-linear, gewissermaßen fraktal: