eit dem 14. Juni können wir uns auf Amazon “Too Old to Die Young” ansehen, eine dreizehn Stunden lange, auf zehn Folgen unterteilte Extravaganz des dänischen Filmemachers Nicolas Refn (“The Neon Demon”) und des Comicautors Ed Brubaker. ( https://www.youtube.com/watch?v=I4Dol6VpmWc ) Das Gebilde, das technisch gesehen als Fernsehserie durchgeht, ist ein sorgfältig symmetrisch angelegter, halluzinatorischer, streckenweise ultrabrutaler Neo-Noir. Jede der neunzigminütigen Folgen ist um vielleicht zehn-zwölf gemäldehaft statische Tableaus herum gebaut, mit Menschen, die in farbübersättigten, körnigen Frames weniger agieren als vielmehr herumstehen, auch mit kunstvoll bedeutungsschwangeren Dialogen, mit komplexen, stoischen Antihelden und einem moralischen Kosmos, in dem das harsche Macht-Ohnmacht-Gefälle eine vorsintflutlich enge Verknüpfung von Ethik, Schicksal, Zauberei bewirkt: Kapitalismus –> Flachbauweise zwischen den Highways von Los Angeles –> Märchenwaldlogik.
Manifest ist “Too Old to Die Young” eine Erzählung über Rache und Schuld: Sie kommt in Gang, weil ein Narco-Prinz Rache für den Tod seiner Mutter zu üben versucht, aber dabei zunächst den Falschen erwischt; der “Richtige”, ein korrupter Polizist, arbeitet derweil an seiner Transformation vom nebenberuflichen Auftragsmörder zum moralisch gerechtfertigten Vigilanten. Was Refn und Brubaker uns mit diesen beiden Hauptfiguren auftischen, ist eine Gegenüberstellung unterschiedlicher Ethikmodelle oder Sinnstiftungsmodi, und der tatsächliche Gehalt des Spektakels besteht darin, dass beide gleichermaßen hohl erscheinen.
Sehr knapp unter dieser Oberfläche geht es für die beiden spiegelbildlichen Protagonisten um die ödipalen Verstrickungen der Ich-Werdung / Mann-Werdung: Der Prinz bezieht für seinen Kreuzzug, das verlorene Territorium der Mutter zurückzuerobern, deren Villa, wo er umgeben ist von Bildern dieser Mutter, und seine Braut – die “Hohepriesterin des Todes” (nicht fragen) – schlüpft beim Sex explizit in die Rolle dieser Mutter; dem gegenüber mutet die Figur des erwachsenen Bullen mit seiner siebzehnjährigen Freundin und deren grindig-jovialem Vater beinahe subtil gezeichnet an …
Zusammengefasst: Alles das hat ordentlich mythologische Wucht, aber es fragt sich, wer sich “Too Old to Die Young” ansehen soll: dreizehn Stunden Lebenszeit, von denen erstmal ungefähr sieben nur darauf vergehen, dass wir unseren Figuren beim Schweigen zusehen, während sich die Kamera langsam von hier nach dort bewegt, und erst, wenn diese Bewegung zu Ende ist – plus nochmal ein, zwei Sekunden – sagt wieder wer was … und damit ist von der Effizienz der Szenenfolge noch gar nicht mal geredet. Freilich, es gibt Effekte, die sind schlechterdings nur genauso zu erzielen, vermittels eines Flows, der eintritt, wenn solche Langsamkeit nur konsequent genug durchgehalten wird. Aber Unterhaltung in einem intuitiv verständlichen Sinn des Worts ist das nicht. Es ist vielmehr Arbeit, sich durch diese Serie zu beißen, so, wie es Arbeit ist, sich die Bilder ins Gehirn zu schaufeln, die in der Albertina hängen, oder ein selbstgesetztes Fitnessstudio-Regime einzuhalten. Also: Lohnende Arbeit, potentiell genießbare Sublimation, aber Arbeit nichtsdestoweniger. Man könnte den Sachverhalt so deuten, dass …