gesprächsverlauf, betreffend 1 dissens, betreffend 1 weiße fahne

erstens: frage: worum geht es? antwort: um das da auf dem bild:

zweitens: 20. 04., stefan schmitzer: weiße fahne, schwarzes herz, zensur

drittens: 23. 04., barbara steiner: Diskurs? Diskurs! Zur„Weißen Fahne“ von TEER

viertens: hier/jetzt:

Sehr geehrte Barbara Steiner!

Vorweg: Danke für Ihre Antwort auf die von mir vorgebrachte Kritik; es macht einen großen Unterschied, ob ich in den zufälligen Hallraum einer abstrakten Leser*innenschaft hinein über eine Arbeit spreche, oder ob es sich um ein Gespräch mit einer konkreten anderen Person handelt.

Dann: Bevor es hier um die „Weißen Fahne“ selber gehen kann, komme ich nicht umhin, über das Reden über das Reden zu reden1, dh. auf die Postskripten Ihrer Antwort mich einzugen. In Postskriptum 2 schreiben Sie zum Einen:

Warum nimmt der Autor vorauseilend an, dass wir als Kunsthaus an „ernstlichen Gesprächen“ nicht interessiert seien? Das Gegenteil ist der Fall.

Nun nimmt der Autor das nicht an und schreibt das auch nirgends. Worauf jene Textstelle sich – wie ich gehofft hatte, deutlich und ausschließlich genug – bezieht, ist der bekannte Typus von Gesprächsverläufen auf z. B. Facebook, der sich oft genug entfaltet: Jemand erfrecht sich, die Richtigkeit oder Angebrachtheit irgendeiner Äußerung in Frage zu stellen, und die Antwort ist eine Abdichtung jener Äußerung gegen die Kritik, indem diese Kritik als „Intoleranz“ bzw. „Zensur“ identifiziert wird. Es finden sich mehrere gute Beispiele dafür auch unter dem Link zur „Weißen Fahne“ auf der Facebookseite des Kunsthauses (was freilich nicht den Kurator*innen anzulasten ist; sagt auch niemand).

Im Postskriptum 1 hinwiederum fragen Sie, ob es nicht

ziemlich diskreditierend [sei] Künstlern (TEER), die sich engagiert und auch kritisch mit gesellschaftlichen Fragen (ob Teilhabe von Menschen mit Einschränkungen am öffentlichen und kulturellem Leben oder das Erbe des Nationalsozialismus) befasst haben und befassen (wie Wolfgang Temmel) so salopp, quasi im Darüber huschen, „Trickreichtum“ zu unterstellen?

… und das, ‚tschulligen, geht davon aus, es wäre „Trickreichtum“ schlecht und nicht gut, das Wort selbst sei schon Polemik, und – was mir am Wenigsten einleuchtet – es gäbe einen Gegensatz zwischen gesellschaftlichem Engagement und der „trickreichen“ Beherrschung künstlerischer Stilmittel. Wenn die Rezension über einen meiner eigenen Gedichtbände so beginnen würde wie mein Text über die „Weiße Fahne“ –

Trickreich trickreich, bzw. “g’lernt is’ g’lernt”, wie durch so einfache Mittel […] dieses Überangebot an Interpretationsoptionen (…)

– dann wüsste ich zwar, gleich kommt das „aaaber“ des Kritikers, doch immerhin seinen ersten Satz kann ich auf der Habenseite verbuchen … Nicht nur habe ich nichts gegen Wolfgang Temmel oder TEER – wie käme ich auch dazu? – ich maße mich auch nicht an, ernstlich etwas über die ursprüngliche Arbeit von 1987 zu schreiben.

Da alles dieses abgehakt ist – zur Sache selbst: Weiße Fahne 2018.

Ich schrieb, ich fände ein Hakenkreuz im öffentlichen Raum, kontextunabhängig, auch als Swastika gedreht, unerträglich; und wies darauf hin, dass das Spiel mit Ambivalenzen und unscharfen Bedeutungen 2018 – anders als 1987 – nicht mehr bloß eine legitime ästhetische Strategie ist, sondern auch als ein Machtmittel von ungeniert öffentlich präsenten Rechtsradikalen funktioniert; ich biete als ein Beispiel dieser Ambivalenzen das Wort „Ethnopluralismus“ aus dem Vokabular der Identitären an, aber es gäbe da noch so viel mehr. Sie antworten u.a.:

Die von TEER verwendeten Symbole (Kreuz, Pentagramm, Hexagramm, Hammer und Sichel, Swastika) sind nicht austauschbar, und schon gar nicht unschuldig, dazu haben sich bestimmte Bedeutungen viel zu sehr ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Jedes Symbol ist auf seine Weise kontaminiert, bei jedem haben sich im Laufe der Zeit bestimmte Bedeutungen (Hakenkreuz überlagert Swastika) in den Vordergrund geschoben und andere überschrieben. Dies hängt aber wesentlich davon ab wer mit welchem persönlichen und kollektiven Hintergrund wie darauf schaut.

Ich stimme Ihnen vorsichtig zu, gebe aber zu bedenken, dass in jenen letzten zwei Sätzen ein ganzer Berg an geschichtsphilosophischen Unwägbarkeiten eingefaltet ist; unter ihnen besonders wichtig die Frage, ob manche dieser Bedeutungen und persönlichen Hintergründe objektiv besser als andere dazu geeignet wären, gesellschaftliche Desiderata zu formulieren – oder ob das eben nicht so ist.

Klarer wird der Unterschied in unseren Auffassungen von Kunst in der Welt bzw. Welt in der Kunst, und damit auch von den je anzuwendenden Maßstäben, an anderer Stelle:

Den Vorwurf wir möchten den „Schrecken ‚fester Standpunkte und Ideologien’ hinter uns lassen, kann ich nicht entkräften. Natürlich kann ich jetzt nur für mich sprechen. Feste Standpunkte und Ideologien haben genau zu jenen Desastern geführt, die mit den hier gezeigten Symbolen verbunden sind: zu Kreuzzügen, Arbeits- und Vernichtungslagern, kriegerischen Konflikten, Menschenverachtung, Zerstörung und Tod. Eine ethische Haltung haben, sich verantwortungsvoll gegenüber Mitmenschen zu verhalten, sich sozial engagieren, ja unbedingt, aber wenn fester Standpunkt bedeutet buchstäblich unbeweglich zu werden, Annahmen über andere zu treffen, sich diesen „anderen“ nicht aussetzen zu wollen, Behauptungen in die Welt zu posaunen, Wertschätzung und Höflichkeit vermissen lassen – dann nein. Das erzeugt Verhärtungen und Frontbildungen, und das erscheint mir keine gesellschaftliche Perspektive zu sein.

Mir scheint, wir fürchten beide ein derzeit akut drohendes Abbrechen der Gespräche – den Niedergang der öffentlichen Sphäre. Ihnen, wenn ich richtig lese, erscheint dabei die Gefahr der unvermittelten Konfrontation bedrohlicher; mir dagegen die Gefahr, dass reale, materielle Frontbildungen sich verschlimmern, wenn sie unerkannt-unausgesprochen-unaussprechlich bleiben.

Und auf der Grundlage dieser Standortbestimmungen (oder halt anderer Standortbestimmungen, falls meine falsch sind) ließe sich dann im Einzelnen über die künstlerisch-ästhetische Dimension der „Weißen Fahne“ und ihre politischen Implikationen reden – also: Reden, nicht schreiben – und unser Dissens da sich immer genauer beschreiben. Bis er ggf. produktiv wird, der Dissens.


1 Ist das schon ein Sachzwang unserer Internet-Textkultur, deren Goldgrund unter den Diskursen vielleicht nicht den wichtigsten Unterschied zum ’87er-Kontext um TEERS „Weißen Fahne“ darstellt, aber doch mindestens einen deutlich sichtbaren? – dass jeder Text immer gleich mehrererlei Sets Metadata mitliefert, als sei er ein MP3-Track; und man diese besser gleich absortiert, bevor es mit ihnen verwirrend wird …