Der zweite Gedichtband von Tristan Marquardt, Ende ’18 erschienen bei Kook, heißt „Scrollen in Tiefsee“. Schon klar: es geht um die Verselbständigung der Interaktion Mensch-Maschinengedächtnis, eine neue Sorte aufmüpfigen Unterbewusstseins. Oder: Neuverhandlungen darüber, was zwischen Naturzeug und Menschenwelt die Metapher ist, und was das metaphorisch Bezeichnete … Wir rechnen also, bevor wir den Band aufschlagen, mit ca. folgendem:
Abgrundtiefe Kataloge, in denen versunken wird; Neuerungen der Technik als Neuerungen des Bewusstseins- und Sprachvorrats; Externalisierung->Internalisierung->Versinken->Vereinsamen im Sprachstrom der Maschinen, als wäre er ein menschenleeres Andersland under the sea; die Sprache zeitgenössischer Sachtexte als eine Sprache, die dem Unbewussten (drei Uhr morgens, den Finger an der Maus-Taste, nur noch ein! Wikipedia-Artikel …) zu Gebote steht.
Wie sich schnell herausstellt, wenn wir tatsächlich blättern, fehlt in dieser Liste etwas: nämlich das Mittelhochdeutsche, mit dem sich Marquardt gut auskennt, im konkreten Fall: Texte des Eschenbachers, Reinmars und Heinrichs von Morungen. Eine andere Sorte Tiefe, das, können wir denken: Grammatikalische, semantische, klangliche Kräftefelder, die so im Neuhochdeutschen nur noch halb vergessen herumliegen; Vorbewusstes, Tiefsee auch hier.