Lesen wir Tom Schulz‚ 2016 in der Edition AZUR erschienene „Polnisch-Ukrainische Reise“ als Roman oder als thematisch strikt sortierte Kurzprosasammlung? Letzteres bestimmt nicht – zu homogenisiert, zu aufeinander bezogen sind die mehreren Dutzend kurzen Abschnitte, aus denen das Buch besteht. Roman ist das aber auch keiner. Klar, da reist jemand durch die bröseligen Stadtlandschaften zwischen ca. Kleinpolen und der Bukowina, und die Reihenfolge, in der die Reiseeindrücke auf unsere Großhirne losgelassen werden, ist romanhaft komponiert statt einfach linear. Aber wo so etwas im Text vorkommt, erklärt der Icherzähler sein jeweiliges Hiersein auf eine Weise, die nahelegt, Schulz inszeniert da ein „unkompliziertes Verhältnis“ von Erzähl-Ich und ontischem Autor (will sagen: schreibt halt auf, was er erlebt hat). Aber, wichtiger für die Gattungsfrage: …
… Was wir da lesen, weist keinen bezeichenbaren Zentralkonflikt auf.“Schulz“ fährt herum; er besucht Orte, Universitäten, Gedenkstätten, Leute; irgendwann fällt uns auf, dass es da um mehr als eine einzelne Reise geht –
Zwei Mal bin ich durch Ost- und Westgalizien gefahren, das eine Mal per Zug, das andere Mal im Traum. Was ich von den Landschaften gesehen habe, entspringt den nächtlichen Phasen des Versinkens in einer eigenen Wirklichkeit. War es in einem Nachtzug oder in jenem Traum, als die Hügel, sanft geschnitten, anhoben zu einem Lied? Lied von der Heimat, die jemand besass und verlor. Beides vermischt sich in der Erinnerung.
– dass es da mehrere tatsächliche Fahrten gibt, Erinnerungen von „Schulz“, Erinnerungen anderer Leute, die „Schulz“ aus Büchern oder Erzählungen kennt, Assoziation, Traum, die Unwägbarkeiten schon des individuellen Erinnerns. (Offensichtlich ist, was an dieser Feststellung noch hängt: Die Unwägbarkeit von Erinnerungen, auf die eine Gesellschaft sich einigt und die sie in eine Landschaft einträgt … Welche Gesellschaft? Welche Landschaft? Nur die je eigene?) Es handelt sich bei alledem nicht um Bewusstseinsstrom-Prosa, aber trotzdem sind die Marker, welche die „innere“ Wirklichkeit, die „äussere“ Wirklichkeit und die Wirklichkeit der Archive deutlich voneinander scheiden, spärlich gesät … Ungefähre, sprachgefühlig nahegelegte Scheidung der Ebenen – das gibt es in der „Polnisch-Ukrainischen Reise“ viel häufiger. Aber da geht es dann plötzlich um Interpretationsspielräume und um die Frage, wer interpretiert.
Also keine Kurzprosen und kein Roman. Wir werden dagegen nicht fehlgehen, wenn wir „Das Wunder von Sadagora“ als literarisches Journal lesen; genauer: als … [weiterlesen auf Fixpoetry]