Vergessen, surreal erinnert. Zu Günter Kaip, „Rückwärts schweigt die Nacht“

Schreibkraft

„Rückwärts schweigt die Nacht“ – der Titel verräumlicht gewissermaßen, was beim Vergessen mit der gelebten Zeit geschieht. Passenderweise beginnt das Buch mit einem Aufruf der Unvollkommenheit von Erinnerung –

Das Gedächtnis ist nicht sehr vertrauenerweckend,
wälzt sich von einer Seite auf die andere […]

und endet mit einem floralen Stillleben:

Rückwärts schweigt die Nacht / verankert Blüten
in der Erde / aus denen Stille strömt.

Dazwischen: ungefähr ein Dialog, zwischen Ich (Normalsatz) und Ich (kursiv), die ungefähr ein Paar sind, alternd; ungefähr über die Drohung des Vergessens, Verlöschens, Verschwindens, von einem Alltag ungefähr umgeben, der seine Rhythmen entfaltet, alles in einer – wie mit dem Wort „ungefähr“ gesagt – artifiziellen und poetischen Sprache. Wir können uns die Situation in etwa wie einen Kunstfilm vorstellen, mit multiplen Voiceovers über das Altern oder das langsame Verschwimmen ineinander.

In diesen poetischen Verlauf eingebettet sind Prosagedichte, plus/minus eine Seite lang, welche die bereits im Dialog verhandelten Themen in symbolgeladenen Traum-Szenarien neu wiederholen bzw. variieren. Traumarbeit angesichts des Vergessens also – und tatsächlich liegt die Vermutung nah, dass diese Stellen der Entstehungskern des Bandes sind; Kaips authentisch-eigene Traumprotokolle oder zumindest solche Traumprotokolle, die Kaip für sein Textsubjekt in besonders glaubwürdiger Weise zu fingieren wusste. Im Licht dieser Leseweise erscheint der  Rest des Bandes, jener poetisch verknappte oder verfremdete Dialog, als ein Prozess der Bewusstmachung, der lebenspraktischen Konkretisierung des vormals bloß Symbolischen. …

Weiterlesen auf edition-schreibkraft.at