»Wir werden leuchten«

„Ousia“ ist das dritte Buch von Verena Stauffer und ihr zweiter Gedichtband. Der Roman „Orchis“ aus 2018, mehrfach ausgezeichnet und inzwischen schon als Taschenbuch nachgedruckt, war zugleich eine selber sehr sinnliche Angelegenheit und eine Dekonstruktion jener Allüren von Sinnlichkeit, wie sie die deutschsprachige Erzählliteratur der letzten hundertfünfzig Jahre in den orientalisierenden Schilderungen und Topologisierungen von allerhand außereuropäischen Schauplätzen und außer-bürgerlichen Milieus gern aufkommen lässt – ein wissenschaftsgeschichtliches Planspiel über ungefähr jene Ideen, die wir in Foucaults „Wahnsinn und Gesellschaft“ finden.

Eine Möglichkeit, den neuen erschienen Band zu interpretieren, ist nun, ihn in unmittelbarer Anknüpfung an Orchis zu lesen. Beide Bücher haben auf der Ebene geschilderter Inhalte die Häufung eines, sagen wir, Dreischritts gemeinsam: von der, erstens, Pflanze, meist Blume – zur, zweitens, Körperwahrnehmung, Selbstvergewisserung – zur, drittens, Ausbreitung einer Theorie- oder einer Technik-Sprache. Die Autorin verneint auf persönliche Rückfrage hin, dass es sich da um absichtsvolles Fortschreiben eines ca. „Orchis-Textkosmos“ handelt. Wir dürfen also in dem Dreischritt ca. das poetische Sensorium, das Denken der Autorin, im vorbewussten Arbeitsmodus vermuten.

Der Buchtitel, Ousia, weist auf das altgriechische Wort für „Essenz“, „Wesenskern“ oder „(innere) Natur“ – wobei es mit der genauen Übersetzung des Begriffs so seine Bewandtnis hat, und zwar eine Bewandtnis für diverse Teilgebiete der Scholastik und der frühchristlichen Konzilsgeschichte; ebenso wie mit seiner Etymologie, die sich ganz ursprünglich von einem „Besitz“ herschreibt.1 Das Wesen einer Sache als das Eigentumsverhältnis, in dem sie steht … oder: wie die Idee einer Essenz, historisch später(e Bedeutung), dem blanken Besitzen entwächst … jedenfalls lässt sich das Kräftefeld des Titelbegriffs praktisch anwenden:

„Ousia“ besteht nicht nur aus filigran, aber streng geformten Naturgedichten, aber es gibt ihrer doch einige. Die Erde als ganze ist der Schauplatz, von dem die Dichterin singt – und was ist das „Wesen“, die „Essenz“ der Erde laut Stauffers dezent-präsenter Didaktik? – Ihr, der Erde, Öl: Erdöl, Petroleum. … dessen Besitz letzter Konfliktgrund von so manchem der menschlichen unter den geschilderten Dramen darstellt … dessen geologische Entstehungsprozesse Stauffers Lyrik … [Weiterlesen auf Fixpoetry]