Der Brueterich-Band von Dieter M. Gräf heißt „Falsches Rot“. Wir können also schon erahnen, wohin die Reise gehen wird: Sagen wir: Historiographie durch Lyrik, auf ungefähr 200 kongenial gelayouteten Seiten: eine museal in drei „Räume“ gegliederte Schau, über (den Umstand, dass der) Sozialismus als Utopie und als Prozess seiner eigenen Verwirklichung (offenkundig in der Systemkonkurrenz des zwanzigsten Jahrhunderts weder in den Staaten noch in den Bewusstseinen gesiegt hat, und jetzt wäre natürlich interessant, wo im Einzelnen der Fehler lag). Das ist jetzt inhaltlich im Jahr 2018 nicht die originellste geschichtsphilosophische Spielvorgabe, aber Gräfs Buch funktioniert, weil es diese Vorgabe, als Explizierte, auf zwei Arten erdet:
Erstens über das konsequente Durchziehen poetischer Sprachorganisation – das führt hier zu einer dauerhaften Unschärfe zwischen Rhetorik-als-Sound und Sound-als-Rhetorik – und zweitens, noch wichtiger, über die Fokussierung auf bemerkenswert detailliert recherchierte und klar bestimmte Schauplätze, Stories und Protagonisten:
„Raum eins“ beginnt mit Münster, 1535 (Hinrichtung der Propheten des „Täuferreichs von Münster“); dann: herabgewirtschaftete Orte aus den mehr oder weniger umkämpften Restemassen des Ostblocks, denen neben dieser Gegenwart auch …