Die hier zweisprachig vorliegende Auswahl aus dem Werk von Yitzhak Laor umfasst Gedichte aus der Zeit zwischen 1979 und 2016, aus dem Hebräischen übersetzt und mit überaus nützlichen Anmerkungen versehen von Anne Birkenhauer sowie kommentierend benachwortet von Michael Krüger. Soweit wir solches aus der deutschen Übersetzung allein beurteilen können, entspringt diese Lyrik jemandes Alltag sprachlich wie thematisch recht geradeheraus. Laor verkitscht nicht; er geht neben den bedrohlich lastenden Großbrocken an gesellschaftlichen, kulturellen oder individuell-biographischen Themen auch gelegentlich das „Einfachere“ an, ohne in die eine oder andere Richtung den Bauchfleck eines merklichen Qualitätabfalls hinzulegen.
Besonders herausfordernd ist dabei an diesen Texten, dass sie gewissermaßen die spezielle sprach- und kulturgeschichtliche Situation des modernen Hebräisch greifbar explizieren: Ja, hier wird sichtlich von Lebenswelten gehandelt und in der Absicht gesprochen, auch verstanden zu werden – aber der Horizont, in Bezug auf welchen diese Texte Symbolisches, kulturelle Metaphernvorräte und Intertextualitätsoptionen aufmachen, ist der einer mehrere Jahrtausende alten Sakralsprache und des zu ihr gehörigen Textkanons.
Für den durchschnittlich ahnungslosen deutschsprachige Leser erscheint dieser Kanon trügerisch vertraut, wenn er etwa in Form der bloße Namensnennung einer der bekannteren alttestamentarischen Figuren daherkommt – wenn ein Gedicht etwa heißt „Dieser Dummkopf, Isaak“, dann haben wir eine ungefähre Vorstellung, auf welche Bibelgeschichte wir den folgenden Text beziehen und wie wir ihn präsent halten sollen. Aber der Kern der Literarizität von Laors Gedichten ist, dass sie deutlich komplexer funktionieren als über Alltagsschilderungen und bloßes Namedropping von jenen paar biblischen All-Stars, die man auch als, sagen wir, muslimisch sozialisierter Norweger noch auf dem Schirm hat.
Hier hilft auch die beste Übersetzung wenig: Wenn die Bezüge beispielsweise über grammatikalische Wendungen hergestellt sind, über Anklänge statt Nennungen, oder wenn man die jeweilige Bezugsgröße schlicht nicht (oder nicht als solche) erkennt, dann können wir uns zwar in ein paar Einzelfällen vom schon erwähnten nützlichen Anmerkungsapparat schlau machen lassen – aber wir bleiben auch dann mit der Einsicht zurück, dass uns die dargebotene Oberfläche der Übersetzung über weite Strecken opak bleiben muss, und zwar gerade dort in den Texten, wo „wir“ (dh: nicht-iwritsprachig, nicht im Detail mit einerseits alttestamentarischen Wendungen, andererseits ubiquitärem Alltagskram in Israel vertraut) gar nicht notwendigerweise wahrnehmen, dass es da überhaupt was zu übersehen gäbe. Praktisch bedeutet das, dass ein paar der Texte sehr, sagen wir, pointenlos erscheinen, und „wir“ höchstens rätseln können, was „wir“ übersehen haben.
Wären dies die Gedichte eines deutschsprachigen Gegenswartsautors, könnten wir uns an dieser Stelle noch …